vonkirschskommode 02.07.2024

Kirschs Kommode

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Ohrabkauer, 3

Seele heißt das Nichts im Korkenzieher oder im Lauf einer Waffe, das Metall ist außen herum, die Seele in der Mitte. Das sprachliche Bild ist kühn gewählt, aber wissenschaftlich unbedingt haltbar. Was will der Missionar von meiner Seele?

Es gibt sie in wahren Heerscharen. Freundlich lächelnd und ohne jeden Sex-Appeal stehen sie im Faltenrock oder dunklen Anzug an den Ecken, gehen von Haus zu Haus, melden sich auf Anzeigen jobsuchender Neuspanier. An der Costa Blanca versprechen Geld, Langeweile und altersbedingte Todesnähe der Bewohner reiche Seelenernte.
Über kurz oder lang kommen sie mit der Frage, ob man nicht einmal die Bibel näher kennenlernen wolle. Das rührt ans schlechte Gewissen. Ein so weltbekanntes, wichtiges Buch und man hat es nicht gelesen. Schon wird man sie nicht mehr los.

Merkwürdig ist nur: Leuten, die sich irgendwie christlich angehaucht fühlen und dabei bleiben wollen, ist im Normalfall vom Bibelstudium eher abzuraten. Das Alte Testament zum Beispiel ist als Geschichtsbuch voller gottgefälliger erfolgreicher Schufte. Was sehr lebensnah ist, aber kaum geeignet, den Glauben zu festigten.

Das in Vielem fadere Neue Testament überzeugt auch nicht. Zu verbreitet ist die Annahme, Jesus sei eine Mischung aus Che Guevara und Mahatma Gandhi, vorbildlich friedlich und revolutionär zugleich. Seine wahre Geschichte muß enttäuschen. Er macht vier Evangelien nicht viel mehr, als das Weltende anzukündigen, durch das alles irdische Streben eitel wird. Eine todsichere Wahrheit. Selbst wenn wir brav die Erde heil lassen, in fünf Milliarden Jahren knipst der Liebe Gott die Sonne aus.

Aber keine Angst, die christlichen Missionare lassen Sie die Bibel nie und nimmer alleine lesen. Sie sagen Ihnen immer gleich dazu, wie Sie das Buch zu verstehen haben. Als von Gott höchstselbst geschriebenes Werk, dessen Inhalt ausreiche, die ganze Welt von Anfang bis Ende zu erklären. Und daß nur, wer sich daran halte, aus dem nahen Weltuntergang errettet werde. Kommen Sie nicht mit dem Argument, daß Gott auch andere Bücher geschrieben habe wie den Koran oder die Veden. Und daß Er doch schlecht in Indien oder Arabien andere Wahrheiten haben könne als in Europa. Nehmen Sie das Ganze lieber ernst. Sie kommen schneller weg.

Der schwache Punkt bei allen felsenfest Bibelgläubigen ist die Schöpfungsgeschichte. Die Beweise für den Urknall und die nachfolgende Evolution des Lebens sind so überwältigend, daß die meisten Gläubigen beides längst in ihren Glauben integriert haben. Nicht so Ihr missionarischer Gesprächspartner.

Er fordert Sie auf, aus einem Haufen Fleisch und Knochen einen Löwen zu basteln, um daraus zu beweisen, daß nur Gott das könne. Beharren Sie ruhig noch eine Weile darauf – Gott ist Ihr Zeuge – daß Löwe und Löwin die besseren Bastler sind. Er weist auf die Augen Ihres Enkels: Die soll nicht Gott gemacht haben? Gestehen Sie ruhig, daß Ihnen beim Anblick von Frauenhaar oder beim Geschmack von Petersilie auch schon Zweifel am Atheismus gekommen sind. Er wird die Ironie nicht verstehen und denken, er habe sie gleich, groß auflaufen: Und wir, Sie und ich, wir sollen vom Affen sein?

Darauf haben Sie nur gewartet. Lächeln Sie ihn an, legen sie ihm die Hand auf die Schulter, sagen Sie sanft: Nein, lieber Herr, Sie sind natürlich von Gott, nur ich bin vom Affen. Das wirkt. Das Gespräch ist beendet. Er wird Sie nie wieder auf die Bibel ansprechen, ich schwörs. Aber er wird Sie grüßen, wenn er Sie trifft.

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