vonkirschskommode 26.04.2022

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

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22.03.2022 – zum Nachhall des Deutschen Herbstes:
Was mir heute anlässlich des Ukrainekrieges noch in den Kopf kam: Ich empfinde das moralisch aufgeladene „Entweder bist du auf unserer Seite oder du bist ein Unmensch!“, mit dem momentan durch alle Medien auf sogenannte Putinversteher eingedroschen wird, als ganz und gar unerträglich. Widerlich ist mir es wohl vor allem wegen meiner Erinnerungen an den Herbst des fernen Jahres 1977. In jenen aufgeregten Wochen wurde die bis dahin übliche, ohnehin schon schwer erträgliche, kalt-kriegerische Kritikabwehr des „Dann geh doch rüber!“ durch die Unterstellung gesteigert, dass jeder, der etwas an den bestehenden Verhältnissen auszusetzen habe, im Grunde Terroristen unterstütze. Auch damals gab es eine Welle einer großen, hysterisch betriebenen Lagerbildung um ein Wir der selbst ernannten Guten und Anständigen herum, dazu massenhaft Aufrufe, sich vom Gegner zu distanzieren, und wahrscheinlich noch viel, viel zahlreichere Versuche, von sich aus, im vorauseilenden Gehorsam, mea culpa zu rufen, um ja schnell die Seiten zu wechseln. Es war eine Zeit, in der ich mich als Verurteilter gefühlt habe, als Paria – entsprechend meiner psychischen Struktur sicherlich, aber doch auch zu Recht: Der Deutsche Herbst, das war der gesellschaftliche Tod der nach Faschismus und Krieg gerade erst wieder neu entstandenen radikaleren Linken, ihre totale Ächtung. Sie war danach weitgehend aufgerieben und hat nur in unbedeutenden Restgruppen weitergelebt. Was die Art der Diskussionsführung angeht, sieht mir das Frühjahr 2022 dem Herbst 1977 entschieden zu ähnlich.

24.03.2022
Irgendwo gibt es sogar einen Wettbewerb für absichtlich hergestellte schlechte Literatur, je grottiger der Text, desto höher die Gewinnchancen. Nur zu! Gegen die Zumutungen eines Denkens in reinem Schwarz-Weiß, bei dem jeder Grauton schon Verrat an der guten Sache ist, würde vielleicht überzogene Einseitigkeit helfen:

Quod licet Iovi, non licet bovi (Zur atlantischen Leier zu singen)

Der Westen integer, die anderen: Vieh.
Der Westen glänzt immer, die anderen nie.
Die Streitkraft des Westens bringt Freiheit und Glück,
der Haufen der andern wirft alles zurück.
Drum lasst euch nicht täuschen, wer gut ist, wer schlecht,
im Krieg ist der Westen von selber im Recht.
Er handelt im Einklang mit seiner Natur,
geborner Vertreter der höh‘ren Kultur.
So Fluch über den, der dem Guten verwehrt,
die Welt zu beherrschen, und ihn nicht verehrt.

Aber, ehrlich gesagt, auch wenn das klappernde Versmaß im Prinzip Warnung genug sein sollte, ich fürchte, es gäbe doch Leute, die den Text sofort und gerne unterschrieben, ohne dass sich bei ihnen auch nur für einen Moment der Verdacht regen würde, es könnte Ironie im Spiel sein.

 

Nachtrag zum Frauentag:
Mir ist schon lange bewusst, dass ich in einem Frauenberuf arbeite. Anfang der Neunziger hatte ich noch etliche Kollegen, aber nach und nach verweiblichte das Kollegium der Lehrkräfte, viele Hühner, aber nur ab und an ein Hahn im Korb; nach dem Universitätsabschluss blieben meistens Frauen in den Sprachschulen hängen. Ich selbst stolperte aus einer anderen Ecke hinein, Handwerkslehre, abgebrochenes Studium und schließlich Jahre als Hausmann und Vater, in denen mir der Rest der Kontakte verlorenging, die ich zur Verwirklichung meiner alternativen beruflichen Projekte dringend gebraucht hätte. Ein Frauenberuf, lernte ich auf diese Weise, ist ein Beruf, mit dem man-frau-maus sich behilft, wenn alle anderen Züge abgefahren sind. Und die Züge rauschen davon, weil man-frau-maus mit kleinen (bei vorausschauenden Arbeitgebern sogar mit ungeborenen) Kindern ewig Probleme hat und so für alles zu spät kommt. Wahrscheinlich ist es eine Art schräges Privileg, dass ich als Mann auch einmal diese Erfahrung machen durfte: Kinder, Küche, Karriereknick. Aber einen für Frauen reservierten Delegiertenplatz wollte mir meine Gewerkschaft trotz meiner einschlägig weiblichen Erfahrungen nicht geben. Wahrscheinlich mit Recht nicht: Ich habe oft verwundert festgestellt, dass Kolleginnen zwar über 80% meines Kollegiums ausmachen, aber in unseren Initiativen zur Verbesserung unserer Arbeitsbedingungen das Verhältnis von Männlein zu Weiblein doch wieder ziemlich ausgeglichen ist. Offenbar drängt es Männer stärker als die meisten Frauen dazu, sich gegen Zumutungen zu wehren. Und dabei dürfte eine Portion gekränkter männlicher Eitelkeit mit im Spiel sein. Was dann doch das falsche Motiv wäre, sich zu wehren. Unsere Arbeitsbedingungen sind, ganz unabhängig vom Geschlecht, kränkend, weil wir viel zu viel geben und viel zu wenig dafür erhalten. Doch im Fall von Frauen findet die Gesellschaft das völlig normal. Würden die Frauen diese Normalität stärker hinterfragen und weniger hinnehmen, wären sie in unseren Initiativen stärker vertreten, wären unsere Initiativen erfolgreicher, gäbe es irgendwann keine typischen Frauenberufe mehr.

 

16.02.2022 – Ein Nachruf auf die Homöopathie:
Als ich, vor Jahren, über den heiligen Franziskus mutmaßte, dass es vielleicht seine in allen Vögeltönen pfeifende Lunge gewesen sein könnte, die bei der berühmten Vogelpredigt die Piepmätze massenhaft mitgerissen habe, überfiel mich flugs folgende Erkenntnis: Wenn man ein Wunder erklärt, verschiebt man es nur. Denn pfiffe die Lunge des ewig fastenden, also schlecht genährten Heiligen dermaßen, wäre Wunder zu nennen, dass er das längere Zeit überleben konnte.

So ist es auch mit der Homöopathie. Dass ihre Präparate nichts enthalten, dem man eine Wirkung zuschreiben könnte, ist inzwischen so oft bewiesen worden, dass Diskussionen darüber überflüssig geworden sein dürften. Und da Placebos nur wirken, solange die Patienten nicht wissen, dass sie welche einnehmen, führt steigendes Bewusstsein über die Wirkungslosigkeit der Zuckerkügelchen tatsächlich genau dazu: zu ihrer zunehmenden Wirkungslosigkeit. Es ist daher eine Frage der Zeit, bis diese Medikamente aus den seriösen Apotheken in den Internetmarkt für hartgesotten Gläubige verschwinden werden.

Aber das Wunder der Homöopathie bleibt. Wenn es nicht die Substanzen selbst samt ihrer mehr als umständlichen Verarbeitung sind, die viele erstaunliche Genesungen bewirkt haben, dann macht staunen, wie gut, wie viele Jahrzehnte und und in welcher Breite die homöopathischen Kügelchen und Tröpfchen als Placebos funktioniert haben.

Es handelt sich eben um sorgfältig gemachte Scheinmedizin, um mehr als nur flüchtigen, leicht durchschaubaren Hokuspokus. Der Homöopathie liegen Charakterbeschreibungen zugrunde, die sogenannten Arzeneimittelbilder – voller wunderlicher Details wie, dass einer oder eine angstbesessen von blanken Messern träume oder das Gefühl habe, die Organe hingen im Innern wie nasse Säcke an Strippen – und die teilweise, je nachdem aus welchen Quellen man schöpft, durchaus literarische Qualitäten haben können. Weshalb viele denken, Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, könne sich gut und ausgiebig bei Johann Karl Wezel bedient haben, der ein Dichter war, ein an Medizin interessierter dazu, und in seinen letzten Lebensjahren des jungen Hahnemanns Patient. Ich selbst war, als ich über Homöopathie las, fasziniert genug, mich einige Zeit mit dem Gedanken zu tragen, einen Kriminalroman zu schreiben, in der eine junge Mutter, die ihre Kinder gewohntheitsmäßig mit Zuckerkügelchen verarztet, aufgrund von Arzeneimittelbildern einem Verbrechen auf die Spur kommt, den Täter als nux vomica (Brechnuss) identifizieren und mit ihrem Wissens über seinen Charakter überführen kann. Diese kleinen nach Heilmitteln geordneten Studien ermöglichen also etwas recht Genaues, ein minutiöses Beobachten von Symptomen physischer oder psychischer Art, genaues Abgrenzen von ähnlichen, aber nicht gleichen. Und der Triumph, endlich das ganz und gar richtige Mittel unter vielen nur fast richtigen gefunden zu haben, muss bei dem Behandelnden, Arzt oder Laie, eine Siegesgewissheit hervorrufen, die seinen Patienten, selbst wenn es sich bei ihnen um Säuglinge oder Tiere handeln sollte, in so große Sicherheit wiegt, nunmehr gerettet zu sein, dass die Selbstheilungskräfte, davon angestoßen, leicht den Rest erledigen können (falls sie nur im Prinzip stark genug dafür sind).

Auch in der Herstellung der Präparate gibt es viel ordentliches Handwerk. Sie wird mit Akribie, vieler Apparatur und einem solchen Ernst durchgeführt, dass die damit Befassten gar nicht anders können, als das Vermischen von einem Tropfen Wirkstoff mit Hektolitern von Wasser für das Potenzieren von Kräften zu halten, der gewissenhaft präzise betriebene Aufwand suggeriert ihnen das. Im Alltag liegt die Schwachstelle der Homöopathie deshalb am ehesten bei den Apothekern, die von dem Produkt, das sie ja lediglich verkaufen, überzeugt sein können oder nicht. Sind sie es nicht, wird die Kette der Wirksamkeitssuggestion unterbrochen. Ich habe einmal für mein kleines Kind ein Mittel (Chamomilla C30) bei einem Apotheker gekauft, der sich leider nicht zurückhalten konnte, mir in diesem Moment zu sagen, dass er die Globuli prinzipiell nicht empfehle. Das Mittel schlug prompt nicht an. Als ich aber bei anderer Gelegenheit in einer anderen Apotheke das gleiche Mittel wieder erwarb und mir ein anderer Apotheker dazu sagte, es sei von einer sehr vertrauenswürdigen, erfahrenen Firma, hat es ganz fabelhaft funktioniert. Das Kind war im Nu wieder putzmunter, es grenzte an Zauberei. Es war bloß keine: Die Wirksamkeit des Medikaments war mein Glaube an seine Wirksamkeit.

Nun steht die Homöopathie nach über 200 Jahren endlich öffentlich entzaubert da. Für meinen Teil weiß ich nicht, was ich denken soll. Einerseits freut es mich; ich empfinde zaubernde Esoteriker meistens als geistlos und je weniger sie irgendwo in meiner Nähe herumzuwesen haben, umso besser. Andererseits wäre mir lieb, es würde gewürdigt, welch außergewöhnlich hochwertige Placebos die Homöopathie über lange Zeit bereitgestellt hat. Es ist verflucht einfach zu sagen, dass in den Kügelchen nichts stecke außer Glaube. Interessanter wäre der Blick auf die andere Seite des Geschehens, auf die Fabrikation der Inhalte des Glaubens, ein Vorgang, der sich vielleicht ebenfalls entzaubern, also erden ließe. Denn was bei der Einnahme von homöopathischen Arzneimitteln zur Genesung führt, ist, wie gesagt, die Gewissheit, dass jemand sehr genau herausbekommen hat, was mir fehlt, und dass das, was ich jetzt lutschen, essen oder trinken soll, meinem Körper das Nötige mitteilt, um sich zu wehren. Warum sollte das nicht auch in einem bewusst eingegangenen Pakt zwischen Behandeltem und Behandelndem und einer eigens dafür ausgesuchten Speise möglich sein? Mit einem Apfel zum Beispiel, den ich eingedenk der Diagnose verzehre, als eine Technik der Autosuggestion in einem psychotherapeutischen Verfahren. Die Kügelchen sind sicherlich entbehrlich. Aber das ganze Drumherum ohne jede Sichtung der Details gleich mit?

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