vonlukasmeisner 28.06.2021

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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Auch, eine politisch korrekte Meinung zu haben, ist ein Privileg. Denn sie erfordert Surplus an Zeit, Energie, Bildung. Noch verstanden zu haben, wie sich nicht diskriminieren lässt, bleibt symbolisches Kapital. Denn sprachliche Sensibilisierung muss erlernt werden – was seine lebensweltlichen Ressourcen benötigt. Nachvollzogen zu haben, warum es angemessen ist, sich nicht über den Genderstern zu echauffieren, oder zu begreifen, dass es zur schieren Gewalt wird, eine Transperson heterosexistisch einzusortieren, bedarf des Vermögens: Macht und Wissen sind auch hier verknüpft.

Political correctness ist insofern vollkommen richtig, aber nicht, wenn sie verfälscht, woher die kommen, die sie für verfehlt halten. Deshalb ist nicht einfach herabzublicken auf Menschen, die sich ‚inkorrekt‘ ausdrücken. Im Gegenteil ist zu verstehen, dass diese Inkorrektheit ihrerseits Abdruck von Klasse, Alter, Herkunft ist. Die Felder des Sozialen sind zu komplex zur einfachen Verurteilung von Individuen. Gerade die Linke darf sich nie herablassen zum Moralisieren vom Standpunkt sozialer Distinktion aus – oder gar zur aristokratischen Abgehobenheit. Selbst Weiß- und Männlich- und Heterosexuellsein sind neben Privileg doch immer auch Maske, unsichtbare Gewalten zu verdecken wie Akademisch und Proletarisch, Oben und Unten, West und Ost, …

Linke Intelligibilität ist, wie linker Aktivismus, ein teures Engagement, das meist aus finanzieller Abgesichertheit stammt – und ein noch teureres Selbstverständnis, denn es kann sich schlicht nicht jede*r leisten, noch die Freizeit mit politischer Arbeit zu verbringen. Dazu fallen die meisten nach der Lohnarbeit zu sehr wie tot um in eine ‚Freizeit‘, in der nur noch zum passiven Berieseln die Kraft bleibt. Vor allem bewusst zu sein braucht eben ein Sein, das es ermöglicht. Entscheidend für die Linke: um das politisch Korrekte zu verteidigen, ist nicht Moralisierung geboten, sondern Politisierung. Und die Eigentumsfrage ist zentral noch fürs vermeintlich Periphere des Kulturellen.

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