vonlukasmeisner 21.12.2022

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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Die Mode ist eine Unterart der Werbung. Auf den Werbetafeln des Kapitals sehen wir vor allem die Mode vorüberziehen, damit nichts, was uns als en vogue eingeredet werden soll, noch verpasst werden könne. Das hat einen triftigen Grund. Sonst machte man am Ende noch so altmodischen Kram wie carpe diem und pflückte den Tag oder vergäße die ständige Antiquierung der eigenen Existenz einschließlich des eben noch Gehypten. Nein, dergleichen darf unter keinen Umständen passieren. Das wäre nicht geschäftsförderlich und folglich der Untergang des Abendlandes. Denn was täten wir, wenn wir nicht länger auf dem Schirm hätten, welche weitere Unsinnigkeit uns in kürzester Zeit aus Silicon Valley auf den Hals gehetzt wird? Wer wären wir, wenn wir nicht die frohe Botschaft empfangen dürften vom neuesten Look der beliebtesten Celebrity? Nichtsnutzig wären wir – zu keiner Entblödung zu gebrauchen.

‚Beliebt‘ ist, wenn es um Celebrities geht, übrigens zu lesen als das Gegenteil zu ‚geliebt‘: während die Liebe bedingungslos bleibt, ist Beliebtheit bedingt durch die Verdinglichung des Beliebten – denn jedes Podest ist eine heimliche Falltür. Das mussten, apropos Mode, schon einige Stars erfahren: leicht fällt es sich aus der Höhe der grundlos Erhobenen – und umso leichter wird man zum Lucifer herabgewürdigt. Das ist die ironische Ambivalenz der Massenpsychologie. Da das Model nicht nur warengewordene Schönheit, sondern Modell der Kommodifizierung aller ist, die sich für ihre Umwelt optimierend hinreichen müssen zum Modell-Standard, ist es nur dem natürlichen Selbstschutz der Massen gemäß, den existenziellen Missgeschicken einer jeden Mode-Persona mit Häme zu folgen. Das geschieht denn auch andauernd in der brave new world zwischen cancel culture und shitstorm, den neuen checks and balances gewaltsamer Spaltung (statt Gewaltenteilung). Da das Model Pate stehen muss für die Standardisierung der Ideale und die Gewalt gegenüber Abweichung – gerade betreffs sogenannter ‚Schönheit‘ – ist nichts so hässlich wie die öffentliche Obduktion einer publik hingerichteten Mode-Ikone. Denn letztlich ahnen noch oder gerade jene, die ganz unten in der Hierarchie-Skala eingereiht wurden: ‚Erfolg‘, wie allgegenwärtig versichert er auch sei, ist nie mehr als eine Mischung aus Zufall, Vetternwirtschaft und opportunistischem Fähnchen im Wind, dessen Gesetz das Echo, die Selbstverstärkung, die sich überschlagende Interferenz, der schwerkraftlose Salto ist. Ergo, konkludiert die vereinzelte Massenseele: Korrektur, sobald sich die Gelegenheit bietet! Was selten genug vorkommt – auch mit den vermeintlich neuen Medien nicht.

Denn wie mit der Personalisierung digitaler Werbung ist auch die Akzelerierung der Mode durch ihre Kurzschaltung mit informatischen Rhythmen weniger Brechen mit alten Mustern als noch tieferes Einsenken dieser Muster ins immer wieder frische Fleisch bestehender Intuitionen. Als Beispiel dafür brauchen wir nur jene Influencer*innen zu nennen, die ihr eigenes Dasein als dekorierbare Werbefläche nutzen und die als solche, längst deep fake geworden, die Modellierung aller Mode perfekt beherrschen. Was sich hier rein exemplarisch, lediglich regelhaft, den Spielregeln gemäß entfaltet ist die Maskierung der Gesichter, die Uniformierung der Körper, die Choreographierung der Seelen. Denn wen die Mode hinreichend gemodelt hat nach ihrem Prototyp, der findet sich, als Umworben-Besessene*r, selbst vorm eigenen Spiegel nicht mehr vor, sondern stattdessen ein Angebot des Marktes, das einem das eigene Gesicht mit seinen Barcodes gestempelt hat.

Nicht fair trade oder grüne oder gar nachhaltige Mode ist folglich die Lösung, sondern einzig die Abschaffung der Mode als solcher. Denn Mode ist Klonung nach den Updates einer Industrie, deren Zyklen identisch sind zum sukzessiven Aussterben der Arten. Mode ist nichts anderes als die Antithese zur Nachhaltigkeit, wodurch ‚nachhaltige Mode‘ zu einem eklatanten Selbstwiderspruch wird. Mode ist, was die Kurzfristigkeit zur Ewigkeit erhebt, was das Heute zur Allzeit verklärt, was alles Sorgen und Kümmern ums bestehend Wertvolle – etwa: um Omas Selbstwert, Mutter Natur oder Vater Sozialstaat – ersetzt durch seinen Austausch gegen das unqualifiziert Andere: komme auch immer, was da wolle. Womit uns Mode hier und allerorten, jetzt und bis in alle Zukunft und wider alles Vergegenwärtigen also droht, ist, dass, wer sich nicht andauernd selbst aktualisiert, nächstens auf dem Schrottplatz der Geschichte aufwachen wird. Ageism, in diesem Sinn, ist das Prinzip der Mode. Das einzige, was in ihr nicht altern darf, ist nämlich das Imperium der Marke. Corporate Identity ist der dünne Film, der bleibt auf den Sehorganen als rosarote Brille oder als Bildschirmschoner, wenn all der schiere Wechsel ohne allen Wandel der Werbefilme und -bilder verpufft ist.

In einem Wort, Mode ist, was Walter Benjamin – in einer Abwandlung Nietzsches – als „ewige Wiederkehr des Neuen“ beschrieb: sie ist der Zustand, in dem täglich das Murmeltier grüßt, doch stets mit der unverwechselbaren Geste des nie Dagewesenen. Wofür jedoch all der Trubel? Einzig und allein, um den kapitalistischen Wahnsinn der Normalität weiter am sich beschleunigenden Laufen zu halten. Denn Mode ist genau jene geplante Obsoleszenz, die nicht materialiter ins Produkt eingebaut ist, sondern die das einwandfreie, voll funktionstüchtige, weiterhin beständige Gut bis zum Nullpunkt – rein mittels Diskurs – entwertet. Kurz, Mode ist die magische Konstruktion, die vollkommen intakte Dinge künstlich obsolet macht. Der einzige Grund für Mode ist somit die Aufrechterhaltung der Überproduktion, in der wir uns befinden, jenes wahnsinnigen Wachstums, das, um nur immer weiter produzieren zu können, der herbeifantasierten Destruktionsmittel bedarf, um die Welt ökologisch und sozial vor die Wand zu fahren. In einer endlichen Welt mit endlichen Ressourcen ist Mode die unmissverständliche Aufforderung zur Selbstmörder*in am Brückengeländer: Spring! Es wird nicht dein letztes Mal sein. Weil Mode aber diese perverse Funktion im Kapitalismus erfüllt, darum gehört sie verboten. Genauso wie die Werbung, der sie als Spezialfall angehört.

Wirklich mal Ende im Gelände: Mit Werbung, Mode und Konsumerismus

Die zwei großen Forderungen gegen den Konsumerismus, ohne den das Kapital sich längst hätte verdünnisieren müssen, wären: Verbot der Werbung und Verbot der Mode. Ich höre die Kinderlein der Verwurstungsmaschine rufen: „Verbot, Verbot!“ Ihre Stimmen klingen ängstlich. Da lässt sich nur sagen: ja, genau – Verbot. Politische Verbote gegen ökonomischen Irrsinn waren immer schon eine gute Idee. Vom Verbot der Sklaverei bis zum Verbot der Kinderarbeit. Nennt sich Fortschritt, solches Verbieten. Gegen den Markstalinismus kann es also nicht „leninistisch“ genug zugehen. Wo wir es schon politisch versäumen, direkt in die produzierende Wirtschaft einzugreifen, sollten wir wenigstens den Konsumerismus als entfremdeten Konsum auf der Nachfrageseite unterbinden. Letztlich könnte solch ein „Eingriff“ auch enorme Kapazitäten einer Reduktion der Arbeitszeit mit sich bringen, wenn nicht der Abschaffung entfremdeter – also auch: ausgebeuteter – Arbeit auf der Angebotsseite. Wäre wir uns das denn nicht wert? Vielleicht hätten wir gar die Kraft, unsere dergestalt erweiterte „Freizeit“ nicht mit Konsumieren als Kompensationsstrategie der Überarbeitung zu verdrängen, sondern sie zu nutzen mit so Absonderlichem wie sinnvollen Tätigkeiten? Gewiss, das wäre ein Desertieren – betrachtet aus dem Blickwinkel der Propagandaministerien des Marktes. Doch warum sollten wir uns etwas Ungehorsam gegenüber den uns brandmarkenden und nach ihrem Bilde modellierenden Werbeagenturen nicht gestatten? Auch der Planet würde es uns danken, wenn wir der Propaganda des Marktes nicht länger glaubten.

 

Zuerst (gekürzt) abgedruckt in: strassenfegerMAG 4/2022, pp. 30-35.

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