vonlukasmeisner 25.03.2022

Kriterium

Die Rechnung 'Krise vs. System' geht nicht auf. Was wir brauchen, ist eine Kritik am System der Krise.

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Nicht nur ‚consent‘ wird ‚manufactered‘ (hergestellt), wie Noam Chomsky einst darstellte, sondern auch Dissens. Dazu verhilft, was George Orwell ‚Grammophonmentalität‘ nannte: Je häufiger dieselbe Platte aufgelegt wird, desto leichter geht das Marschlied von den Lippen. Es braucht insofern keine Zensur und Schwärzung, es reicht die geteilte Lust am Rave auf dem Vulkan.

Die kanalisierte Affektpolitik des reinen Ressentiments ist inzwischen derart überidentifiziert mit der einen Seite der Aggression, dass der neue ‚Pazifismus‘ auch den Atomkrieg für eine akzeptable Übergangslösung zu halten scheint. Wer da noch argumentiert, gilt schon als herzlos, fragt man etwa ‚Genossen‘ à la Gysi. Und wer historische Hintergründe heranzieht – etwa, um das Weltbild nicht nach Gut und Böse zu scheiteln – als empathiefern.

Nun ist Debattenkultur passé spätestens seit Covid und den Bubble-Sekten der Parallelsozialisierung auf Instagram und co. Diese Instagramisierung der Politik ist längst auch in den offiziellen Medien angekommen, wo moralisiert und emotionalisiert wird, bis kein klarer Gedanke mehr fassbar ist. Faszinierend bleibt, dass vor allem jene Monaden, die von Politik sonst nie etwas wissen wollten, sich nun auf den Straßen versammeln zur alttestamentarischen Feuerbekämpfung des Feuers: für Nato-Erweiterung und Waffenlieferungen. Dergleichen lässt sich wohl nur militante Apolitizität taufen, erzeugt die Pawlowsche Konditionierung unserer Tage doch vor allem eines: Schaum vorm Mund.

Glücklicherweise gibt es zurzeit immerhin einen Appell zur Zivilisierung: https://derappell.de/. Wer will, dass wir als Europäer*innen einmal nicht nur die Barbarei exportieren, sollte unterschreiben. Vielleicht sind Petitionen von unten das letzte Mittel zur Errettung der Öffentlichkeit.

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