Ob es Zufall war, dass der peruanische Präsident Ollanta Humala ausgerechnet am 12. September 2002 eine Pressekonferenz mit der Auslandspresse anberaumte ? Genau 20 Jahre zuvor, am 12. September 1992, zeigte sein Vor-vor-vorgänger Alberto Fujimori der verdutzten Öffentlichkeit einen Abimael Guzmán im Käfig. Das Bild vom bärtigen Terroristenführer im gestreiften Sträflingsanzug, der hinter Käfigstäben kommunistische Parolen schrie, ging damals um die Welt.
Für Fujimori war dies der wohl bedeutendeste politische Sieg seiner Amtszeit, für Peru bedeutete die Gefangennahme des Anführers des Leuchtenden Pfades den Anfang vom Niedergang der maoistischen Terrorgruppe „Leuchtender Pfad“ oder Sendero Luminoso. Der blutrünstigsten Guerrilla Lateinamerikas – nach den Ergebnissen der nachfolgenden Wahrheitskommission gingen 54% der ingesamt 70 000 Toten auf das Opfer des Sendero Luminoso und der sehr viel kleineren Gruppierung MRTA – weinte in Peru kaum jemand eine Träne nach. Auch Präsident Humala erinnert sich, wie er vor 20 Jahren, noch als Offizier der peruanischen Armee, sich über die Nachricht der Gefangennahme freute, sich aber auch im klaren gewesen sei, dass der Kampf gegen den Leuchtenden Pfad mit der Gefangennahme Guzmáns mitnichten beendet sei.
Mitten im Wirtschaftsboom, den Peru dank seiner Rohstoffexporte momentan erlebt, feiert nämlich der Leuchtende Pfad in Form der politischen Bewegung „Movimiento por Amnistía y Derechos Fundamentales“ (Movadef) fröhliche Urständ. Die Gruppierung möchte mit den Forderungen nach Amnestie aller Bürgerkriegstäter Politik machen und wirbt eifrig an Universitäten und bei Lehrern. Und hat damit erstaunlicherweise Erfolg: gerade junge Leute, die den Bürgerkrieg nicht mehr selbst erlebt haben, lassen sich von der messianischen Botschaft des Leuchtenden Pfades ansprechen. Ein Teil der an sich schon linken Lehrergewerkschaft Sutep hat sich unter dem Namen Conare ebenfalls der Sache des Abimael Guzmán verschrieben.
Die Regierung hält mit einem Gesetzesvorschlag dagegen, der die Leugnung des Bürgerkrieges unter Strafe stellt und damit die Umwandlung der Gruppierung Movadef in eine politische Partei unterbinden soll. Warum aber dieses Revival des Leuchtenden Pfades mitten im Wirtschaftsboom und Konsumrausch, der zumindest die peruanischen Küstenstädte erfasst hat ? Gustavo Gorriti , einer der besten Kenner des Leuchtenden Pfades, meint, dass Phasen des Wirtschaftswachstums immer mit dem Erscheinen extremer Gruppierungen einhergingen. Europa sei mit der RAF oder der Brigada Rossa dafuer das beste Beispiel. Rocío Silva-Santisteban von der Nationalen Menschenrechtskoordination macht die ungerechte Verteilung des neuen Reichtums für die Ausbreitung der Sendero-Luminoso-Ideologie verantwortlich.
Während Movadef sich zwar von den Waffen abgewandt hat, aber dem im Hochsicherheitsgefängnis einsitzenden Abimael Guzmán die Treue hält, hat sich der letzte Sprengel der Bewaffneten von Guzmán abgewendet. Die Gebrüder Quispe Palomino betreiben im Tal der Flüsse Ene und Apurimac ein bewaffnetes Unternehmen, das sich ideologisch mehr an den Resten der kubanischen Guerrilla auf dem Kontinent orientiert. Rund 400 bewaffnete Männer und Frauen sollen in dem für seinen Kokaanbau berüchtigten Gebiet unter ihrem Kommando stehen, darunter auch Kinder. Tags zuvor hatte Präsidentengattin Nadine Humala vor laufenden Kameras ein angeblich von Sendero Luminoso entführtes Kind eigenhändig nach Lima zurückgebracht. Die tatsächliche Wahrheit kam einen Tag später ans Licht: die Kinder waren keineswegs vom Leuchtenden Pfad entführt und ihre kleine Schwester wurd beim Anti-Terrorismus-Einsatz rücklings erschossen.
Friedensgespräche – wie sie z. B. die kolumbianische Regierung mit der FARC angekündigt hat – mit dem Rest des bewaffneten Leuchtenden Pfades kommen für den ehemaligen Offizier Humala aber nicht in Frage. „Mit Terroristen verhandeln wir nicht“, ist sein Diktum. Den Kampf gegen den Terrorismus kennt Humala aus seiner Militärzeit, dagegen weniger die aktuellen Ressourcenkonflikte, die sein Land erschüttern, und in denen Humala eine recht unternehmerfreundliche Haltung einnimmt.
Der Karikaturist Carlín hat denn auch seine tägliche Karikatur dem Präsidenten gewidmet. Nadine Humala hält ihren Präsidenten-Gatten als Baby im Arm. Der Komentar dazu: „Rettung eines Kindes, das vom Unternehmerverband gekidnappt wurde.“