Im Juli berichteten wir auf latinorama über die Problematik der wiederkehrenden Waldbrände im ostbolivianischen Tiefland. Juanito Cuellar, ehrenamtlicher Feuerwehrmann aus Santiago de Chiquitos, war damals noch verhalten optimistisch: Man sei inzwischen besser auf Waldbrände vorbereitet als im Katastrophenjahr 2019. Am 4. September, dem Tag der Naturschutzgebiete, meldeten die bolivianischen Medien Brände unter anderem in den Naturschutzgebieten Otuquis, San Matias sowie Noel Kempff Mercado. Dort sei das erste Mal in Bolivien ein Löschhelikopter zum Einsatz gekommen, twitterte Präsident Luis Arce Catacora. Wenige Tage später erreicht uns ein erneuter Hilferuf von Juanito Cuellar aus dem Naturpark Tucabaca. Nach fünf Tagen Kampf gegen das Feuer seien die über 40 ehrenamtlichen Helfer am Rande der Erschöpfung. Wie schon 2019 warten sie auf Unterstützung der Regierung. Wieder stehen die Brände im Zusammenhang mit illegalen Abholzungen. Wieder machen sich Hilfstrupps für verletzte Tiere auf den Weg. Und auch diesmal setzt Cuellar auf private Spenden für Medikamente, Transport, Verpflegung, Taschenlampen…
Der Tucabaca Park ist nur einer von derzeit etwa 200 Orten, in denen es in Bolivien brennt. Bolivien ist gemeinsam mit Brasilien (siehe den Beitrag „Noch ist Amazonien nicht verloren“ von Thomas Fatheuer) für den größten Teil der Zerstörung des Amazonas verantwortlich.
Über die Hintergründe und was dagegen getan werden kann, sprachen wir im Juli mit Carlos Pinto, der das Projekt zum Umgang mit Bränden in der bolivianischen Stiftung Amigos de la Naturaleza (FAN) in Santa Cruz leitet. Die sorgt sich seit 17 Jahren um die Problematik der Waldbrände. Wir fragten Pinto, der ebenfalls gerade wieder bei Löscharbeiten im Einsatz ist, damals, was für die nun eingetretene Trockenzeit zu erwarten war.
Carlos Pinto: Das wird stark von der Intensität des Frostes abhängen. Den ersten hat es in der Chiquitania bereits gegeben. Das war ein Warnzeichen, das eine erneute Katastrophe möglich ist, wenn auch wohl nicht in der Dimension von 2019. Denn bis in den Mai hinein hat es noch geregnet. Aber wenn der Frost sich häufig wiederholt, dann wird er diese Regenfälle in der Wirkung neutralisieren.
IMMER SCHON HAT ES WALDBRÄNDE GEGEBEN
Die Waldbrände sind kein neues Phänomen. Sie beschäftigen sich seit 1999 mit dem Thema. Damals kam es in Ascención de Guarayos zu einer Katastrophe.
Immer schon hat es Waldbrände gegeben. Alle 10 bis 15 Jahre war es auch zu größeren Bränden gekommen. 1999 ist auch weltweit ein Jahr großer Trockenheit und verheerender Waldbrände gewesen. Und auch wegen dem Effekt der Niña hatten sie eine davor nicht gekannte Dimension.
Wir waren eine Gruppe von jungen Leuten. Ich ließ mich im Monitoring schulen. Wir erstellten Karten und Risikomodelle für tropische Wälder. Im Bolivianischen Forstforschungsprojekt BOLFOR II untersuchte ich die Folgen der Waldbrände für die Forstwirtschaft. 2004 und 2005 kam es wieder zu Brandkatastrophen. Aber man konnte nicht bei der Forschung stehen bleiben. So haben wir enger mit den Dorfgemeinden zusammen und daran gearbeitet, wie sie den Bränden begegnen können. Zuletzt war ich auch an der Ausbildung von Freiwilligen zu Forstfeuerwehrleuten beteiligt.
VON TATSÄCHLICHEN, VON POLITISCHEN UND MEDIALEN BRÄNDEN
Es heißt, die Waldbrände hätten 2019 zum Sturz des damaligen Präsidenten Evo Morales beigetragen. Der aus Santa Cruz stammende heutige Bauminister Montaño streute jüngst den Verdacht, Oppositionelle hätten damals absichtlich Brände gelegt, um die Regierung zu stürzen. Was sagen sie zum Einfluss politischer Konflikte und Entscheidungen auf die Dynamik der Waldbrände?
Es gibt zunächst die tatsächlichen Waldbrände, die mit den klimatischen und demographischen Entwicklungen, wirtschaftlichen Fragen und der Art der Landnutzung, also mit komplexen Ursachen zu tun haben. Dabei ist schwer zu sagen, ob 60 oder 80% der Waldbrände auf die Siedlungspolitik zurückzuführen sind, oder ob die Grasflächen und die Abholzung am Rand der Überlandstraßen einen größere Rolle spielen. Denn viele Waldbrände beginnen am Straßenrand durch Jäger oder durch Unachtsamkeit. 99% aller Brände sind durch den Menschen verursacht. Und die bewegen sich nun einmal über Straßen, Wege oder Pfade.
Aber dann gibt es um die realen Waldbrände herum noch die medialen Brände in den Netzwerken der radikalen Umweltaktivist*innen. Da hängt es stark von der Art der Information ab, ob diese Gruppen und deren Mobilisierung zur Lösung der Probleme beitragen, oder ob sie diese eher behindern.
Schließlich gibt es die politische Dimension. Wenn die Brände sehr groß werden, dann rücken die Fachleute in den Hintergrund und die Politik bestimmt die Dynamik.
WAS TUN ZUR EINDÄMMUNG DER WALDBRÄNDE
Wir als FAN versuchen, uns aus der Politik herauszuhalten und uns auf die realen Waldbrände zu konzentrieren, um mit Information zu einem vernünftigen Vorgehen beizutragen. Wenn man tagelang in vorderster Linie Brände löscht und dabei natürlich auch körperlich und psychologisch unter Druck steht, dann will man nicht auch noch auf Kommentare oder Gerüchte reagieren müssen.
Abgesehen von der Beteiligung bei den Löschaktionen: Was tun sie und ihre Stiftung zur Eindämmung der Waldbrände?
Seit 1999 haben wir das Paradigma in Bezug auf die Waldbrände aufgebrochen. Vorher war es auf die Löscharbeiten zentriert. Nun nehmen wir stärker die ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Aspekte und die Frage der Prävention in den Blick. Feuer ist ein Instrument der Landwirtschaft. Deshalb muss es auch um den angemessenen Umgang mit dem Feuer gehen.
Die Kleinbauern sagen, sie wüssten, wie man mit Feuer umgeht und dass sie es kontrollieren können.
Das Abbrennen gerodeter Flächen für den Ackerbau ist eine traditionelle Technik in der Subsistenzwirtschaft. Die geschieht auf Flächen, die in der Regel kleiner sind als fünf, maximal zehn Hektar. Diese Größen können ohne Maschinen vorbereitet werden. Früher haben sie tatsächlich die Feuer kontrollieren können. Aber mit der zunehmenden Trockenheit durch den Klimawandel hat sich das geändert.
GESETZE, DIE SCHADEN ODER DIE NICHT ANGEWANDT WERDEN
War das Dekret der Regierung, die Genehmigung für das Abbrennen von Äckern auf 20 Hektar zu erweitern, ein Fehler?
Egal wie groß die Fläche ist, muss in Bolivien dafür jeweils eine Genehmigung eingeholt werden. Allerdings wird das in der Praxis meist nicht eingehalten. Wir haben aber nicht untersuchen können, ob das Dekret der Ausweitung der Genehmigungen wirklich die Hauptursache für die Zunahme der Waldbrände ist. Sicher hat es dazu beigetragen. Aber zu behaupten, dass in politischen Entscheidungen die Hauptursachen liegen, wäre ein Schuss in den eigenen Fuß. Es gibt so viele andere Faktoren, die zu berücksichtigen sind.
Spielt die Ansiedlungspolitik eine Rolle? Sie steht ja im Zusammenhang mit dem 2015 verabschiedeten Nationalen Entwicklungsplan. Die Ausweitung der landwirtschaftlich genutzten Fläche und die vermehrten Genehmigungen zur Abholzung der Wälder waren ein wesentlicher Bestandteil der „Agenda Patriótica“, wie die Stiftung „Tierra“ in einer jüngeren Studie gezeigt hat.
Wie ist es dann zu den verheerenden Bränden von 1999 gekommen, als es diese Politik noch nicht gab? Und in Kalifornien gibt es auch ohne eine solche Besiedlungspolitik verheerende Waldbrände. Damals wie heute mussten in Bolivien immer mehrere Faktoren zusammen kommen: Politische Entscheidungen, Bevölkerungsentwicklung, Ansiedlungen und extreme Klimaverhältnisse. Im Jahr 2019 hat all dies zusammen dann zum Feuersturm geführt. Wir versuchen, aus den ganzen Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte zu lernen.
WIE BRÄNDEN VORGEBEUGT WERDEN KANN
In Santa Cruz sind es zu 60% Grassavannen, die brennen, 40% sind Wälder. In ganz Bolivien 70% Grassavannen und 30% Wälder. Darauf müssen wir uns einstellen, wenn es um die Brandbekämpfung geht. Seit zehn Jahren arbeiten wir mit dem Ansatz des gezielten kontrollierten Einsatzes des Feuers. Da geht es zunächst um rechtliche Regelungen wie die Genehmigungen in Zusammenarbeit mit der Forstbehörde. In je zehn Dorfgemeinden in den Munizipien von Roboré, San José, San Ignacio und Concepción haben wir dazu auch Schulungen durchgeführt.
Weiter geht es um kulturelle Prävention, sprich die Weitergabe des lokal vorhandenen Erfahrungswissens, wie man Feuer kontrolliert einsetzt. Da gibt es spezielle Techniken, die man je nach Vegetation und zu bestimmten Zeitpunkten anwenden soll. Und wir fördern kontrollierte Brände in der Regenzeit in Savannen, in denen sich viel leicht entzündliche Trockenmasse angesammelt hat. Mit den kontrollierten Feuern wird die brennbare Masse reduziert, um Schutzkorridore zu schaffen, an denen in der Trockenzeit das Feuer sich nicht nicht mehr weiter ausbreiten kann. Lokale Personen werden dazu ausgebildet, die Ausgangslage vor Ort zu untersuchen und dann Maßnahmen zu ergreifen. Bei zehn Dörfern sind es etwa 300 Felder. Unser Ziel ist es, dass sich von keinem dieser Felder das Feuer ausbreitet. Die gezielten Brände werden am Ende der Trockenzeit organisiert, wenn die Regenfälle einsetzen. Je nach Beschaffenheit des Ortes, kann die brennbare Masse auch mit Geräten verringert oder beseitigt werden, nicht notwendigerweise mit Feuer. So kann der Gefahr einer katastrophalen Ausbreitung lokaler Brände vorgebeugt werden.
SCHULUNG VON LÖSCHTEAMS
Zum Löschen von Bränden bilden wir seit zehn Jahren lokale schnelle Eingreif-Gruppen von je 8 Personen pro Dorf aus und unterstützen eine bessere Ausstattung. Wenn sie es nicht schaffen, ein Feuer zu löschen, können Gruppen aus Nachbardörfern oder nötigenfalls die munizipale Feuerwehr zur Hilfe kommen. Unsere Arbeit deckt allerdings nicht die ganze Region ab, sondern nur ausgewählte Gemeinden. Dort, wo es diese Gruppen gibt, kann innerhalb von 2 Stunden auf den Ausbruch eines Feuers reagiert werden. Wo es keine solche Gruppen gibt, sind erst nach 8 oder 10 Stunden Löschteams vor Ort. Dann ist das Feuer schon viel weiter fortgeschritten. Aber 2019 war die Dimension der Brände ohnehin zu katastrophal.
Mit welchen Gemeinden arbeitet FAN?
In San José vor allem mit den indigenen Gemeinden, in San Ignacio und Concepción mit Kleinbauerndörfern. Wir haben auch begonnen mit Viehzüchtern und mit den Mennoniten zu arbeiten.
Sind nicht die Siedlungen der Migrant*innen aus dem Hochland wegen ihrer fehlenden Erfahrung in der tropischen oder subtropischen Landwirtschaft diejenigen, deren Aktivitäten das höchste Risiko bergen?
In den meisten Neuansiedlungen von San José gibt es noch keine reguläre Aktivität. Die Leute wohnen dort noch nicht. Aber Ziel wäre es schon, auch mit ihnen zu arbeiten, so wie wir es in San Ignacio und Concepción bereits tun. Allerdings sind die Mittel auch begrenzt.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Munizipien, mit der Forstbehörde ABT, die für die Genehmigung der Abholzungen zuständig ist, sowie mit dem Agrareforminstitut INRA, das das Land zuteilt?
VERBESSERUNGSPOTENTIAL BEI DER ZUSAMMENARBEIT VON STAAT UND ZIVILGESELLSCHAFT
Wir arbeiten direkt mit den Munizipien und der Regionalregierung zusammen. Auf lokaler Ebene auch mit der Forstbehörde in Fragen der Vorbeugung. Wir wünschen uns, in den nächsten Jahren unser Modell auch auf andere Gemeinden ausweiten zu können. Denn sonst werden wir Brandkatastrophen haben, die noch schlimmer werden als 2010 und 2019… und auch wieder mediale Katastrophen.
Wie löscht man denn eine mediale Brandkatastrophe?
Man kann die Sorgen der Leute ja verstehen. Und ganz offensichtlich benötigen die von den Bränden betroffenen Menschen vor Ort Unterstützung. Aber dann kommen zig Leute aus den Städten, um Feuer zu löschen und gefährden nicht nur ihr eigenes, sondern auch das Leben derer, die dafür ausgebildet sind. Die müssen sich dann bei ihrem Einsatz nicht nur um den Brand, sondern noch um die Sicherheit der anderen kümmern! Da gab es welche, die nachts irgendwohin zum Löschen gegangen sind, wo sie sich nicht auskannten. Es ist auch kompliziert, wenn Freiwillige Nahrungsmittel bringen, aber nur für einen Teil der Löschgruppe, den sie kennen. Sie sollten besser die gesetzlich geregelte munizipale Organisationsstruktur des Risikomanagements mit der dazugehörigen Einsatzleitung, dem Logistik- und dem Kommunikationszentrum respektieren. Wenn das Munizip nicht mehr Herr der Lage ist, muss das regionale Katastrophenmanagement einsetzen. Und wenn die es auch nicht schaffen, gibt es auf nationaler Ebene das Vizeministerium für zivile Verteidigung.
Aber in Bolivien werden die Verantwortlichen in den Munizipien und Ministerien ständig ausgetauscht. Wie vorbereitet sind diese Instanzen wirklich?
2019 hat die Notwendigkeit von stabilen Strukturen offen gelegt. Wir bieten immer wieder Fortbildungen an, um solche Strukturen mit klaren Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu schaffen. Eigentlich muss man das alle fünf Jahre mit jeder neuen Kommunalregierung machen. Wir können als Zivilgesellschaft uns nur bemühen, Einfluss zu nehmen, damit die staatlichen Strukturen funktionsfähig werden und nicht jeder oder jede macht, was er oder sie will. Sonst werden die Brände noch verheerender und es wird zu Toten kommen. In unserer Arbeitsregion hat es bislang zum Glück keine Toten gegeben, anderswo schon. Es ist sehr riskant, sich dem Feuer entgegenzustellen. In den Gemeinden sieht man nach den Bränden die klassischen Augen-, sowie die Magen-Darmerkrankungen und die Kontaminierung der Wasserquellen. Die Feuerwehrleute haben Lungenprobleme.
WIRTSCHAFTLICHE INTERESSEN UND UMWELT IM ZIELKONFLIKT
Laut Statistik sind die Pro-Kopf Emissionen von CO2 in Lateinamerika inzwischen höher als die von Europa.
Das Abbrennen der Wälder spielt da eine wichtige Rolle. Der Klimawandel übt heftigen Druck auf unsere Wälder aus. Und die Bevölkerung muss ihre wirtschaftlichen Probleme lösen. Zusammengenommen nehmen die Katastrophen zu. Deshalb ist es nötig, mehr Orte des Dialogs und Konsens zu schaffen, ohne dass irgendeine soziale oder Interessengruppe beansprucht, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben, oder diejenigen, die sich am lautesten zu Wort melden. Das klingt jetzt vielleicht nicht besonders anspruchsvoll. Es ist aber der einzige Weg, künftigem Chaos vorzubeugen. Wir brauchen einen gemeinsamen Plan mit klar zugewiesenen Rollen und Verantwortlichkeiten für staatliche Stellen und zivilgesellschaftliche Gruppen. Und wir müssen von der Kritik zu den Vorschlägen kommen und dabei alle vorhandene Expertise nutzen.
Zum Engagement zur Erhaltung des Naturparks von Tucabaca siehe auch das Interview mit dessen früheren Leiter Richard Rivas in der aktuellen Ausgabe der ila Zeitschrift, sowie dies Interview mit der Aktivistin Zoyla Zeballos auf Latinorama. Zur prekären Situation der Naturparks in Bolivien allgemein und dem jüngsten Besuch der deutschen Entwicklungsministerin Svenja Schule im Madidi-Nationalpark siehe den Beitrag „Wasserfabriken und Heimstätten der Artenvielfalt“.