vonPeter Strack 16.05.2023

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Von Ara Goudsmit Lambertín / Revista La Brava*

San Agustín de Puñaca ist eine traditionelle Gemeinde (Ayllu) im Munizip Poopó, das im südlichen Altiplano der Provinz Oruro liegt. Mehr als 400 Familien erleben dort im Einzugsbereich des Poopó-Flusses die Auswirkungen einer über Jahrzehnte andauernden Umweltzerstörung durch Bergwerksbetriebe. Die lassen den Menschen kaum sauberes Wasser übrig und haben ihre landwirtschaftliche Produktion und Viehzucht beeinträchtigt. Das Leben der Böden und derer, die dort wohnen, ist bedroht. Der Staat verlangt immer noch Beweise. Eine „Acción Popular“, eine kollektive Klage, die auf Entschädigungen und einen Stopp der Vergiftung von Wasser und Böden zielt, liegt bei den Behörden auf Eis.

Die überbordende Energie im zierlichen Körper von Eleuteria mit ihren 72 Jahren auf dem Buckel scheint bis zum Ende der Welt zu reichen. In der Hochebene des Ayllu San Agustín de Puñaca im Munizip von Poopó, Oruro, gibt es keinen Schatten, in dem man sich vor dem Brennen der Haut schützen könnte. Eine schier unendliche Ebene und ein immens weiter Himmel beherbergen ihre Bewohner*innen, die Tag für Tag auf der Suche nach Wasser und Nahrung für ihre Tiere sind.

Während sie den Pfaden der Zerstörung und Vergiftung von Wasser und Böden folgt, zeigt Mama Eleuteria, wie sie hier respektvoll genannt wird, die Orte eines fast kompletten Lebens an der Seite von Schafen und Rindern, die ihr als Begleitung und Lebensunterhalt gedient haben.

Einst migrierte sie auf der Suche nach Arbeit nach La Paz und schuftete als Hausangestellte. Nach zwölf Jahren kehrte sie zurück, um ihre Eltern zu versorgen. Und mit ihrem sechsjährigen Sohn im q’epi (dem traditionellen Tragetuch) lernte sie erneut, das Vieh über die Weiden zu treiben.

Mama Eleuteria in ihrem Haus. Foto: Ara Goudsmit.

Der Exodus aus dem Ayllu ist an das Versprechen einer Rückkehr geknüpft, sei es wegen wirtschaftlicher Krisen, fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten oder eben um diejenigen zu pflegen, die alt geworden sind. Das Land ist ein Ort für die Rückkehr. Der bietet jedoch immer schlechtere Bedingungen. Das Wasser ist verschmutzt und die Pflanzen, die den Tieren als Futter dienen, sterben immer weiter ab.

Erinnerungen 

— Wenn ich das sehe, würde ich mir am liebsten die Augen zubinden und in einen Abgrund stürzen, — meint Eleuteria.

Unser Weg gleicht einem Salzsee. Keine Pflanze und kein Tier sind weit und breit zu sehen. So fällt es schwer zu glauben, dass das früher einmal anders war.

Rogelia wandert über die in eine Salzwüste verwandelte Ebene, es gibt kaum noch Pflanzen. Foto: Ara Goudsmit.

Das in den Erzverarbeitungsanlagen verwendete Wasser wird anschließend ohne eine angemessene Behandlung in die Landschaft abgelassen. Es fließt durch die Ebene, dringt in die Erde zum Grundwasser vor und wird von Pflanzen aufgesogen, die absterben als hätten sie Gift genommen. Der Cauchi, ein früher weit verbreiteter Busch, der auch als Tierfutter dient, gilt als eine der wenigen Pflanzen, die den extremen klimatischen Bedingungen hier widerstehen können. Doch angesichts der Landschaft, durch die Eleuteria schreitet, kommen Zweifel auf. Der Pfad ist umsäumt von Friedhöfen verbrannter Cauchi-Büsche. Und sobald deren Reste verschwunden sind, wird sich die Salzwüste auf den Spuren vergifteter Pflanzen weiter ausbreiten.

Von der Verschmutzung zerstörter Cauchi-Strauch, Foto: Ara Goudsmit.

Wir erreichen das Zuhause von Rogelia und laden unsere Bündel auf dem Boden ab. Als erstes kommt es zum Geben und Nehmen. Eleuteria übergibt die Hälfte der Koka, Kekse und Madarinen, die wir mitgebracht haben, an ihre Schwester und diese lädt uns zu einer Bohnensuppe ein.

Rogelia freut sich über die Koka, die Eleuteria mitgebracht hat. Foto: Ara Goudsmit.

Sie verständigen sich auf Quechua. Nur wenn sie mich einbeziehen wollen, sprechen sie Spanisch, die „Gringo-Sprache“, wie sie es nennen. Ein anderes Haus ist in erreichbarer Nähe nicht zu erkennen. Uns begleiten ein paar Hunde und zahlreiche Schafe, die Rogelia einen Monat lang alleine gehütet hat, um dann für den nächsten Turnus mit Eleuteria zu tauschen.

Unsere Suppe war mit Wasser aus dem Ort Poopó gekocht worden, der 45 Autominuten entfernt liegt. Hier gebe es kein Trinkwasser, erklärt Rogelia. Mehrmals habe man versucht, Brunnen zu graben, doch aus denen sei nur eine gelbliche nach Mineralien riechende Flüssigkeit herausgekommen.

Das Haus von Rogelia steht inmitten vertrockneten Schilfgrases. Foto: Ara Goudsmit.

— Meine Tiere wollen nicht einmal mehr fressen, was grün ist. Sie wissen wohl, dass alles kontaminiert ist. Meine Tochter hatte einen heftigen Durchfall und ich selbst bekomme manchmal Blasen an den Lippen. Dieser Ort vertreibt uns.

Früher war es auch nicht leicht. Denn es ist nicht einfach, eine Frau zu sein. Und dann noch eine Frau auf dem Land, die ihre Kinder alleine aufzieht. Eine Tochter, die sich um ihre Eltern kümmert. Eine Ehefrau eines Trunkenbolds. Aber früher hat dieser Ort wenigstens keine Mineralgifte ausgespuckt. Das Totora-Schilf wuchs grün und hoch und ließ sich verzehren. Heute sind die Pflanzen klein, gelb und verbrannt und bedecken kilometerlange bedauernswerte Totorafriedhöfe am Ufer des Desaguadero.

Das Trinkwasser wird aus dem Ort Poopó herbeigeschafft. Foto: Ara Goudsmit.

¿Und was bringt die Zukunft?

Ich denke an ein Gedicht der kolumbianischen Schriftstellerin Tania Ganitsky:

(…) Das Wort Skelett bezog sich nur auf menschliche Reste / denn es dürfte eine jeweils besondere Form geben / die Ansammlung von Knochen zu beschreiben / von jeder ausgestorbenen Art (…) Und es dürfte ein Lexikon der Abschiede geben / denn sie würden in so viel Formen ausgedrückt / dass sie ein ganze Buch füllen (…)

Totes Schilf am Ufer des Desaguadero-Flusses. Foto: Ara Goudsmit.

Der Karneval wird im Ayllu nicht mehr gefeiert. Ich frage Don Abel, einen anderen Dorfbewohner, warum er wohl glaubt, dass das Fest verloren gegangen ist. Seine Antwort gehört zu denen, auf die man nur mit einem verzweifelten Schweigen reagiert: Die Fröste seien sicher der Grund. Denn wenn es keine Ernte gebe, was solle dann noch gefeiert werden?

¿Ein Adios?

Doña Eleuteria zeigt ihre vom Frost geschädigte Quinoa. Foto: Ara Goudsmit.

Cebadilla, ch’iphi, q’empara, cauchi, liwi sind Pflanzen, die als verschwunden gelten, weil man sie nicht mehr findet.

— Diese Pflanzen ließen reichlich Milch aus den Eutern der Kühe fließen. Jetzt reicht es nicht einmal mehr für die Kälber. Früher hat alles gelebt. Im Winter trocknete es aus, aber wuchs danach wieder neu. Aber das hier ist verbrannt. Es gibt Pflanzen, die sind so empfindlich wie die Menschen, erzählt Eleuteria.

¿Noch ein Adios?

Während Rogelia und Eleuteria sich Mühe geben, ein noch lebendes Schilfgras zu finden, um die Wurzel zu zeigen, die sie auf Quechua Ara nennen, berichten sie, dass ihr Essen früher vielfältig war. Sie kochten Ara mit Chuño (gefriergetrocknete Kartoffeln), und ihre Blüte habe Magenschmerzen gelindert. Sie hatten auch andere Rezepte mit Cuari, Lurma, Lacho. Die seien aber heute nur noch schwer oder gar nicht zu finden.

So viele Menschen, die sie in der Zukunft nicht mehr kennen und nicht wissen wie sie schmecken. Und keine Tiere, die Cebadilla, Ch’iphi, Q’empara, Cauchi oder Liwi probiert haben.

Verbranntes Schilf. Foto: Ara Goudsmit

¿Weitere Abschiede?

Nein, hoffentlich nicht. Eine Art zornige Hoffnung ruft „Nein!“, ebenso wie das Lächeln und die Wünsche, dass Eleuteria, Rogelia und Abel ein gutes Leben haben mögen. Noch ist es nicht Zeit, Abschied zu nehmen.

Die Dorfgemeinschaft hat eine Acción Popular, eine kollektive Klage, auf den Weg gebracht. Auch wenn diese sich auf das Recht auf eine gesunde Umwelt beruft, sucht man dies durch eine Perspektive der kollektiven Rechte der Völker zu untermauern. Damit versucht man nicht nur, die systematische Menschenrechtsverletzung auf diesem Territorium offen zu legen, sondern auch die Unverhältnismäßigkeit zwischen den Abgaben der Bergwerksunternehmen und der Gemeinde, die nicht nur den größten Schaden davon trägt, sondern auch am wenigsten von den Geldern bekommt. In der Gemeinde gibt es nicht einmal eine Gesundheitsstation.

Während eines Workshops, organisiert von der NRO Centro de Comunicación y Desarrollo Andino (CENDA), die Gemeinden bei der Entwicklung eigener Strategien zur Bewahrung ihrer Territorien und dem Schutz der natürlichen Ressourcen begleitet, beklagen die Bewohner*innen des Ayllu San Agustín, dass Regierungsvertreter*innen und Bergwerksunternehmen sie nicht ernst nehmen würden. Sie bekämen einfach keine Antworten. Wenn sie Kontrollbesuche machten, um zu sehen, wie Abwässer und Müll behandelt werden, sagt man ihnen, dass es nicht mehr die gleiche Bergwerkskooperative sei, oder dass der verantwortliche Manager gewechselt habe, und dass sie deshalb eine neue Klage einreichen müssten.

Sollte der Ayllu dennoch vor Gericht gewinnen, gibt es unterschiedliche Strategien für die Wiederherstellung des Rechts und eine Wiedergutmachung: Eine verbesserte Kontrolle der Bergwerksaktivitäten; die Anpflanzung von einheimischen Sorten wie der Sehuenca, die als lebendige Barriere imstande ist, Giftstoffe zu binden, und schließlich Entschädigungszahlungen.

Die Beendigung der Bergwerksaktivitäten gehört nicht zu den Vorschlägen.

Deshalb sagt Mama Eleuteria auch, dass sie im Alter skeptischer geworden sei. Sie hätten schon lange Kanäle angelegt, um Cauchi neu zu pflanzen. Es seien aber nur wenige davon angegangen. Und obwohl sie gerne mehr Einkommen hätte, verspricht sie sich nicht viel von Entschädigungszahlungen. Denn die würden nicht die Zukunft sichern, wenn das Geld aufgebraucht sei.

Sie macht sich Sorgen: ”Alles ist schon verschmutzt. Wie kann das Grundwasser gereinigt werden? Sie werden uns wieder Samen zum pflanzen bringen, aber sie werden nicht gedeihen. Sie werden Brunnen bohren, aber das Grundwasser ist bereits vergiftet. Mal sehen, was sie versuchen werden. Schon seit Jahren versprechen sie uns Entschädigungen für die ganzen Misshandlungen. Aber bis heute warten wir vergeblich darauf. Ich will, dass mein Land nicht kontaminiert ist. Sie sollen mir gesunde Erde zurückgeben, damit meine Kinder und Enkel einen Platz zum leben haben“.

Eine Frau aus der Gemeinde hütet ihre Tiere. Foto: Ara Goudsmit.

¿Umsiedlung?

Wir stehen am Ufer des Desaguadero-Flusses, der stillste Ort an dem ich je gewesen bin.

—Ah, das liegt daran, dass es kein Leben gibt, — argumentiert Don Abel.

¿Warum hört man nicht den Fluss fließen? ¿Warum hört man nicht, wie das Schilf sich im Wind wiegt? ¿Warum hören wir keine Vögel singen?

Die Augen, die Nase und die Ohren vermitteln uns die Tragödie des Einzugsgebietes des Poopó. Die Belastung mit Schwermetallen wie dem Kadmium, des Bleies und von Arsen in der Luft, im Wasser und in der Erde. Allein die lange Liste der Krankheiten zu lesen, die von all diesen verursacht werden, lässt an Flucht denken.

Das Arsen gilt als gefährlichstes Schwermetall. Es verursacht chronische Erkrankungen der Haut, der Augen, des Magens, des Gehirns, der Gallenblase und der Leber, der Lungen, im Darm, an der Speiseröhre und im Rachen. Und das ist noch nicht alles. Das Kadmium hat ähnliche Wirkungen. Beide sind stark krebserregend. Und Blei beeinträchtigt das Denk- und Sprachvermögen und die Erinnerungsfähigkeit von Kindern.

Die Bergwerkswirtschaft ermöglicht die Ansammlung von Reichtum, aber sie verhindert ein gutes Leben derer, die hier ansässig sind.

Don Abel am Ufer des Desaguadero. Foto: Ara Goudsmit.

Während wir abends ein in Kaffee getunktes Brot aßen, hatte ich Eleuteria gefragt, woran sie denkt, wenn sie mit ihren Tieren los zieht.

— Ich sorge mich darum, ob meine kleinen Kühe ihre Mägen voll bekommen. Ich kann selbst alte, lang aufbewahrte Trockenkartoffeln essen, aber sie nicht. Ich leide, wenn ich sie sehe. Sie haben Fieber bekommen, weil sie verschmutztes Wasser getrunken haben. Ihr Hunger schmerzt mich.

Müde vom Warten auf Gerechtigkeit und der Schrecken der Umweltverschmutzung haben dazu geführt, dass in der Gemeinde überlegt wird, ob man wegziehen und im bolivianischen Tiefland um neues Land bitten soll. In einer Versammlung hieß es: Entweder wir gehen gemeinsam, oder wir bleiben.

Es ist nicht einfach, sich eine Zukunft vorzustellen, nicht so sehr ihre eigene, aber die ihrer Kinder und Enkel. Überlegt wird in zwei Richtungen und Zeiten: Aus der Vergangenheit heraus, das Ökosystem wiederherzustellen und das Erbe der Ahnen zu bewahren. Und von einer Zukunft her gedacht, in dem diejenigen Wohlstand haben, die noch nicht geboren sind und in der das Leben weiter gedeihen kann.

Die Tiere von Mama Eleuteria. Foto: Ara Goudsmit.

Das Land soll ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln als ihr Ort in der Welt für den Fall bleiben, dass die Migration scheitert, wenn sie andernorts keine Arbeit finden, wenn sie sich um ihre Eltern kümmern wollen und Heimweh spüren. Vielleicht auch einfach deswegen, dass das ihr Land ist.

Don Abel erwähnt immer wieder, dass auch die Bergleute vor Jahrzehnten umgesiedelt wurden. Warum also nicht auch sie?

Das Dekret 21060 aus dem Jahr 1985 privatisierte mit der Neuen Wirtschaftspolitik den Staat, begünstigte Auslandsinvestitionen, reduzierte die Sozialausgaben und schloss weitgehend die staatlichen Bergwerksbetriebe. Heute denken Bewohner*innen des Ayllu ebenfalls an Umsiedlung, weil es vor Ort nicht mehr möglich ist, würdig zu leben. Die Würde ist dabei eng verbunden mit dem Wasser. Beides, die Umsiedlung aufgrund von Privatisierung und die aufgrund von Umweltproblemen folgen einer staatlichen Logik, die das Kapital dem Leben vorzieht.

Don Abel schaut auf das Land, dass nach Metallen riecht. Foto: Ara Goudsmit.

— Wie viele Studien haben sie schon durchgeführt, wie oft haben wir protestiert. Sie zögern Lösungen hinaus. Sie leugnen alles, als ob wir es nicht am eigenen Leib erfahren würden. Das hier ist keine Lüge, sagt die indigene Frau.

Eleuteria erzählt, wie weh es ihr tut, dass noch so viel erst getan werden soll, um zu „beweisen“, ob es Umweltverschmutzung gibt oder nicht, während die Gemeinde das Tag für Tag sieht. Es ist eine andere Form einer rassistischen Sicht auf das Territorium. Denn denen, die dort wohnen wird das Recht verweigert, eine Wahrheit auszusprechen. Man verlangt „Besuche“ von Seiten des Staates, wissenschaftliche Untersuchungen, und wiederholte Bestätigungen, damit das, was in San Agustín Realität ist, auch andernorts zum Thema wird. Die Erfahrungen und Berichte der Ortsansässigen reichen dafür nicht aus.

Doch die gesamte Gegend riecht nach Metall, nach Bergwerken, obwohl die Stollen weit entfernt liegen.

¿Was sonst ist nötig zu wissen?

Es sei nötig, den Grad der Vergiftung der Lebewesen zu bestimmen. Das Verfassungsgericht hat die Klage angenommen. Die Untersuchungen sollten im ersten Halbjahr 2023 durchgeführt werden, das bald schon zu Ende ist.

«Hier wuchsen früher Pflanzen», berichten die Bewohnerinnen. Foto: Ara Goudsmit.

Mama Eleuteria betont, dass sie sich überall eingewöhnen könne, wenn es dort nicht verschmutzt sei und wenn sie ihre Tiere mitnehmen könne. Jeder ihrer Schritte gibt Zeugnis ihres Durchhaltevermögens auf den Tausenden von Kilometern, die sie in ihrem Leben unter glühender Sonne zurückgelegt hat, Zeugnis von ihrer Resilienz als alleinerziehender Mutter, als Witwe mit der Sorge um sechs Kinder, mit ihrem sarkastischen Humor und ihrem Willen, gut zu leben. Ja, Eleuteria würde sich anpassen können.

Rogelia dagegen hat Angst. Sie fühlt sich erschöpft und weiß, dass sie auch Geld benötigt, um sich ein neues Haus bauen zu können. Trotzdem scheint es auch ihr eine Option zu sein.

Abel meint:

— Wir vom Land mögen die Pflanzen. Ich würde tatsächlich wegziehen, nur um Leben zu finden.

Blick aus dem Gemeindesaal. Foto: Ara Goudsmit.

Unterdessen

Der Tata Mallku und die Mama T`alla, die höchsten Autoritäten am Ort, sitzen auf Ziegelsteinen und Kleiesäcken, die das Landratsamt von Poopó dem Ayllu geschenkt hat. Sie führen die Gemeinde durch die Punkte, die auf der Versammlung wechselnd in zwei Sprachen – Quechua und Spanisch – diskutiert werden. Die älteren sind in der Mehrheit und die meisten Frauen.

Frauen während der Gemeindeversammlung. Foto: Ara Goudsmit.

Das Leben geht mitten in der Zerstörung weiter, auch die allzu menschlichen Fragen.

Man fordert von den Autoritäten weniger Korruption. Sie sollen Rechenschaft ablegen und koordinieren, wann die Planierraupe die Straße herrichten wird. Man macht Vorschläge, lernt die lokalen Konflikte kennen, teilt sich ein Zimtgetränk, kaut Koka, lacht… aber unzählige Male wiederholt sich das Wort „Wasser“.

¿Was bedeutet das Wasser für die Gemeinde?

Es bedeutet stundenlange Debatten auf Dorfversammlungen, Projektanträge um Brunnen zu bohren und Pumpen anzuschaffen. Es bedeutet kommen und gehen, diskutieren, graben, verhandeln, Zeit, Worte, Verschmutzung, Tiere, Durst und Einfluss.

Um das Wasser herum werden Machtbeziehungen aufgebaut oder neu bestimmt.

In Cochabamba hatte der „Wasserkrieg“ (im Jahr 2000) die Wut gegen Formen der Privatisierung des Lebens entfacht. Die Gegner der in den 1930er Jahren gegründeten indigenen Schule Warisata (siehe auch diesen früheren Latinorama-Beitrag) schnitten ihr den Zugang zum Wasser ab. In seinem Buch nannte der Schulgründer Elisardo Pérez das „Kämpfe um das Wasser.“.

Um die zentrale Frage des Wassers herum, stellt der Ayllu von San Agustín de Puñaca einmal mehr die Frage nach einem würdigen Leben und wer den Zugang dazu bekommt. Diesmal ist die Herausforderung noch größer: Es ist nicht nur nötig, Wasser zu bekommen, sondern die Reserven auch von toxischen Stoffen zu reinigen, damit die Erde sich nicht mit den letzten Großmüttern verabschiedet.

Oder wie die Dorfbewohnerin Benita es ausgedrückt hat:

— Wenn Mutter Erde am sterben ist, dann sollte man sie heilen, nicht wahr?

Frauen während der Gemeindeversammlung. Foto: Ara Goudsmit.

 

 

 

 

 

 

 

 

* Ara Goudsmit Lambertín ist eine Politikwissenschaftlerin der Universidad de Los Andes aus Bogotá, die für verschiedene bolivianische Medien geschrieben hat. Ihr Hauptinteresse gilt dem Verhältnis und Verständnis von Mensch und Natur, der Ökologie und dem Extraktivismus, ebenso wie einer Neustrukturierung der Drogenpolitik. Ihre Reportage aus der bolivianischen Hochebene ist zuerst in dem bolivianischen Online-Medium Revista La Brava erschienen (hier der Link zur spanischen Originalversion), aus der wir auch schon einen früheren Beitrag von Karen Gil über Wasserprobleme und Abholzung im Indigenen und Naturschutzgebiet TIPNIS für Latinorama übersetzt haben. Wir danken „La Brava“ auch diesmal für die Abdruckgenehmigung.

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https://blogs.taz.de/latinorama/bergbau-und-verwuestetes-land/

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