vonPeter Strack 01.06.2023

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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von Aleja Cuevas und Karen Gil /Zeitschrift La Brava

Vor einem Jahr berichtete Latinorama und die ila-Zeitschrift über die Bedrohungen bolivianischer Naturschutzgebiete, darunter  die Folgen des Quecksilbereinsatzes im Goldbergbau und die Verwicklung chinesischer oder kolumbianischer Konzerne. Berichtet haben wir auch vom Start eines aus Deutschland geförderten Millionenprojektes zur Bewahrung der biologischen Vielfalt im Madidi-Nationalpark. Dabei stellte sich die Frage nach den Erfolgschancen unter einer Regierung, die mehr an der Refinanzierung von Stellen für ihre eigene Anhängerschaft interessiert zu sein schien, als daran, gegen Goldschürfer vorzugehen, die zu ihren politischen Unterstützern gehören.

Aleja Cuevas und Karen Gil von der online Zeitschrift La Brava haben jüngst die Region besucht (hier ihr ausführlicher Bericht auf spanisch). Getroffen haben sie engagierte Waldhüter, denen von der eigenen Behörde jedoch immer wieder Steine in den Weg gelegt werden und die nötige Rückendeckung verweigert wird. Vor allem gegenüber sogenannten Kooperativen. Die beuten gemeinsam mit ausländischen Konzernen auch in den Naturschutzgebieten Gold aus. Die gelegentlich verhängten Geldbußen sind im Verhältnis zu den Gewinnen peanuts.

Lager von Bergarbeitern am Tuichi-Fluss. Foto: Mauricio Aguilar/Revista La Brava

Gold ist wegen der hohen Weltmarktpreise sehr begehrt in Bolivien: Ein Gramm kostet 60 US Dollar. Im Jahr 2022 wurde Gold im Wert von mehr als 3 Milliarden US-Dollar exportiert, doch der bolivianische Staat bekam davon laut Daten des Bergwerksministeriums nur etwas mehr als 60 Millionen US-Dollar ab. Der Rest verblieb in privaten Händen, vor allem bei den Kooperativen.

Am Tuichi-Fluss zwischen den Gemeinden Santa Rosa und Azariamas gibt es um die 30 Goldbetriebe, fast alle illegal. Das haben sieben Waldhüter der Sektoren A und B des Nationalparks den Reporterinnen von La Brava berichtet. Für die Bergbauaktivitäten werden Bäume gefällt, Hügel erodiert, es kommt zu Wasseransammlung und Sedimentbildung in den Zuflüssen des Tuichi.  

Joaquín, ein Waldhüter des Sektors A, dessen Namen wir zu seinem Schutz wie auch die aller anderen Parkwächter in diesem Artikel geändert haben, macht „gierige Menschen“ dafür verantwortlich: „Sie sind in die Dörfer gegangen und haben gesagt, dass sie mehr Gold schürfen würden, wenn sie die Arbeit mechanisieren würden. Und dann haben sie ganze Hügel gesprengt.“ Sie hätten die Gemeindemitglieder mit dem Versprechen überzeugt, sie zu ihren Geschäftspartnern zu machen. Doch bis heute sind sie höchstens Arbeiter für die Investoren.

Fehlender Rückhalt von der Behörde für die Waldhüter

Die Waldhüter berichten vom fehlenden Rückhalt durch die Naturschutzbehörde und den Druck der Goldkooperativen. Deshalb würden sie sich auf die Anordnung von Bußgeldern beschränken.

Schweres Gerät in der Gemeinde Virgen del Rosario. Foto: Marcelo Pérez/La Brava

Sie würden auch fotografieren, wenn schweres Gerät in die Region gebracht werde, damit es in ihren Berichten zumindest aktenkundig wird. La Brava hat den SERNAP, den zuständigen nationalen Dienst für Naturschutzgebiete, per Brief, bei zahlreichen Telefonaten und mit persönlichem Besuch um ein Interview gebeten. Ziel war es, angesichts mehrerer an das SERNAP geschickter Berichte in den letzten drei Jahren etwas zu den Kontrollmaßnahmen der Behörde zu erfahren. Doch auch nach fünfwöchigem Nachhaken bekam La Brava keine Antworten auf die Fragen.

Die Senatorin Cecilia Requena hat den SERNAP wegen Nichterfüllung seiner Amtspflichten angezeigt.

Mit schwerem Gerät wurde die Abholzung in der Gemeinde Santa Clara im Jahr 2021 für die Goldsuche am Ufer des Tuichi-Flusses verstärkt. Foto: La Brava.

Artenvielfalt in Gefahr

Der Nationalpark Madidi wurde 1995 geschaffen, um das natürliche und kulturelle Erbe zu schützen und eine vernünftige und nachhaltige Nutzung der Ressourcen zu fördern. Er hat eine Gesamtfläche von 1.895.750 Hektar. (Hier ein Überblick der im Madidi vorzufindenen Artenvielfalt auf Youtube)

Die bekannteste Schutzzone sind zwar die Amazonaswälder, doch der Park erstreckt sich insgesamt über fünf Landkreise der Amazonas- und der tropischen Bergregion der Anden. Er umfasst sechs ökologische Zonen: Die Hochanden, den Nebelwald, den Trockenwald, die Hügellandschaft, den Regenwald in der Andenfußregion und die Savanne. Das macht den Park zu einer Heimstatt einer großen Vielfalt von Tieren, wie dem andinen Brillenbär (Tremarctos ornatus), dem Militärpapagei (Ara Militaris), dem Palkachupa-Vogel (Pibabura Boliviana), dem Marimono (Spinnenaffe, Ateles Chamek) oder dem Jaguar.

Dort finden sich nach Informationen der Nichtregierungsorganisation Wildlife Convervation Society (WCS) auch 8244 Arten von Gefäßpflanzen, etwa 60% des diesbezüglichen natürlichen Reichtums von Bolivien.

Foto: La Brava

Auch die Jagd bedroht den Madidi

Am 19. April erregte das Foto eines nahe des Aussichtspunktes von Parabal de Caquiahuara durch einen Schuss getöteten Jaguars Abscheu in den sozialen Netzwerken. Das Bild ist nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was im Sektor A des Naturparks im Landkreis von San Buenaventura geschieht. Doch die 13 Waldhüter, die dort gegen unkontrollierten Fischfang und Jagd vorgehen müssen, sind der Ineffizienz ihres Arbeitgebers, des SERNAP, ausgesetzt.

Die Jäger und Fischer kommen mit 14 oder 15 Meter langen Booten über den Beni-Fluss in den Madidi. Geladen haben sie zwischen 20 und 30 Zentner Salz, um das Fleisch der erlegten Tiere zu dörren und später zu verkaufen“, erklärt Joaquín. 

Diese illegalen Aktivitäten in einem so weitläufigen Gebiet zu stoppen ist schwierig und die nötigen Patrouillen sind ermüdend“, berichtet der Parkwächter, der gerade von einer viertägigen Kontrollfahrt zurück kommt. Am Schlimmsten sei, dass seine Berichte vom SERNAP regelmäßig zurückgewiesen würden.  

Du berichtest ihnen (was du mit eigenen Augen gesehen hast) und sie glauben dir nicht. Sie denken, die Lage sei noch so wie vor 20 Jahren. Heute gibt es aber Menschen, die in der Zone in der Nähe wohnen und mit ihnen Geschäfte machen“, ergänzt sein Kollege Rodrigo. „Du legst deinen Bericht vor und sie antworten, ‚die Gegend ist doch unzugänglich‘, ‚es ist eine Lüge‘, ‚das muss woanders sein‘. Und das obwohl wir die Fotos der Jäger präsentieren, wenn sie eindringen“. 

Bis heute sei niemand wegen der Zerstörung der natürlichen Ressourcen ins Gefängnis gekommen, beschwert sich Rodrigo. Stattdessen bekämen die Parkwächter Druck. Das gehe von Beschimpfungen bis zu physischer Gewalt.

Der Madidi ist auch eine wichtige Wasserquelle. Foto: Marcelo Pérez/La Brava

Das von der deutschen Bundesregierung unterstützte Schutzprogramm für den Madidi, für dessen Umsetzung der staatliche SERNAP und die internationale NGO Wildlife Conservation Society (WCS) zuständig sind, hat laut der Beschreibung im Internet fünf Ziele. Das Hauptziel ist, die biologische Vielfalt und die Leistungen des Nationalparks für die Umwelt zu bewahren, sowie die Lebensbedingungen vor Ort zu verbessern. Doch beim Hauptproblem, der illegalen Goldproduktion, bei dem der Einsatz von Quecksilber auch schwere gesundheitliche Schäden für die einheimische Bevölkerung mit sich bringt, kommen die Waldhüter nicht voran. Die Direktorin des WCS in Bolivien, Lilian Painter, erklärt, man habe vereinbart, zunächst bessere Bedingungen für das Gespräch mit den Akteuren zu schaffen, um später zu Vereinbarungen zu kommen.

Im Mai 2022 sprach der Direktor des SERNAP Teodoro Mamani davon, dass die Gelder des Fonds mit der Verpflichtung weiteren Fachpersonals zu einer besseren Kontrolle des Naturparks beitragen würden. Aber für Personalkosten gibt es eine Obergrenze im Projekt, so dass diese Verbesserung nicht spürbar ist.

Río Beni. Foto: Rocío Condori/La Brava

Mangelnde Kontrollbesuche wegen fehlendem Treibstoff

Die Parkwächter wissen, dass sie eine festgelegte Zahl von Kontrollbesuchen durchführen müssen, in einigen Fällen auch gemeinsam mit Bewohner*innen der ansässigen Gemeinden. Ziel ist vor allem, dazu beizutragen, den strikten Schutz eines Kerngebietes möglich zu machen. Und alle diese Aktivitäten müssen sie auch dokumentieren, um die Gelder für den Naturpark zu rechtfertigen, erklären die Waldhüter.

Diese Patrouillen sollen monatlich stattfinden und in bestimmten Zonen drei oder vier Tage andauern. Doch im vergangenen Jahr hätte es nur wenige Kontrollbesuche gegeben. Die Bewohner*innen hätten nicht genug Zeit dafür. “Aber wenn du keine Patrouille machst, dann füllt sich die Zone mit Jägern“, erklärt Rodrigo. Außerdem gibt es im Madidi auch Routen und Unterkünfte für Tourist*innen. “Die kommen bestimmt nicht, um einen Jäger oder Fischer zu sehen.”

Der Madidi ist einer der wichtigsten Attraktionen für Tourismus in Bolivien. Foto: Rocío Condori/La Brava.

Die Überwachungstätigkeiten erfordern aber nicht nur Fahrzeuge, in diesem Fall ein Boot, sondern auch den nötigen Treibstoff. In der Zone A werden in zwei Distrikten Kontrollbesuche gemacht. Man fährt den Tuichi-Fluss hinauf bis zum oberen Madidi und macht von dort aus zwei Exkursionen. Dafür werden 500 Liter Treibstoff benötigt. In der Zone B in Richtung Qundeque werden 300 Liter verbraucht. Bis zum Mai diesen Jahres bekam dieser Posten jedoch nur 200 Liter pro Monat zur Verfügung. Das reicht nicht aus, um diese Region zu kontrollieren, in der rücksichtslos gejagd wird.

Vor ein paar Wochen berichteten Bewohner*innen von Santa Rosa von Jägern, Fischern und illegalen Holzfällern in ihrer Gemeinde. Doch wie schon in ähnlichen Fällen zuvor konnten die Parkwächter wegen fehlendem Treibstoff nicht dorthin gelangen. Sie haben auch nur ein Boot zur Verfügung.

Die Parkhüter von der Flussenge von El Bala haben ein geschenktes Boot, das aber nicht in gutem Zustand ist. Oscar, ein Parkhüter der Zone A meint, am besten wäre es, auf die Fahrten immer auch ein paar Ersatzstiefel mitzunehmen (er hat aber nur ein Paar), eine Taschenlampe, ein GPS (was er nicht hat, weswegen er sein Mobiltelefon benutzt), eine Drohne (die sich aber gerade in der Zone A befindet), ein Fernglas, Campingausrüstung und eine Hängematte.

Und um in manche abgelegenen Gegenden wie Ixiamas zu kommen, sei auch noch ein kleineres Boot nötig, um enge Flüsse befahren zu können, sowie ein Motorrad oder Cuatra Track. “Letztes Jahr haben wir ein Zelt und einen Satz Kleidung bekommen, aber ich weiß nicht wie alt die waren“, beschwert sich Rodrigo.

Kontrollpunkt am Eingang des Madidi-Parkes in Buenaventura vom Beni-Fluss aus. Foto: Rocío Condori/La Brava

 

Mehr Geld für vor Ort Besuche

Die Parkwächter wurden es Leid, um mehr Geld zu bitten. So haben sie sich auf eigene Kosten ausgestattet, um ihre Kontrollbesuche durchführen zu können. „Denn sonst“, erklärt Óscar, “hätten wir keinen Überblick darüber, was geschieht. Und sie fordern von uns auf jeden Fall Berichte.” 

Der WCS kennt die Probleme. Ihre Vertreterin informiert, dass von ihrer Institution bis Ende 2022 die Menge von 32 Uniformen samt dazugehörigen Stiefeln, 42 Zelte, 15 Luftmatratzen, 61 Rucksäcke und 27 Schlafsäcke übergeben wurden. Hinzu kamen ein Außenbordmotor, acht Ferngläser, drei GPS-Geräte, zwei Laptops und 8 Drucker. Im April diesen Jahres waren es noch einmal ein Außenbordmotor, vier Motorräder und ein Geländefahrzeug.  

Die Priorität bei der Ausstattung liege in den ersten fünf Jahren des Projektes bei der Erhaltung des Gebäudes der Parkleitung in San Buenaventura und von zwei Außenstationen, die in miserablem Zustand sind. Die Verfügbarkeit mit GPS werde man auch verbessern.

Sitz der Parkhüter in Santa Cruz del Valle Ameno, Foto: Marcelo Pérez/ La Brava.

Da jedoch die bürokratischen Mühlen langsam mahlen, haben die Parkwächter Anfang April diesen Jahres noch nichts von den Verbesserungen mitbekommen. “Wir dachten, es würde besser, und wir haben uns gefreut. Wir sagten uns ‚Jetzt haben wir Treibstoff, Fahrzeuge in gutem Zustand und neues Equipment‘, aber all das kommt nur langsam an“, meint Rodrigo. Seine Kollegen bestätigen das. Sie haben vor allem Sorge, dass sie ihre Vorgaben nicht erfüllen können und die Projektunterstützung vor der geplanten Dauer von 15 Jahren enden könnte. „Dann wären wir erledigt.“

Werden die Ziele erreicht?

Das Vorhaben ist ehrgeizig. In den ersten fünf Jahren soll erreicht werden, dass das menschliche Eingreifen die Fläche von 1% im strengen Schutzgebiet nicht überschreiten soll, damit die Finanzierung fortgeführt wird. Auch soll die Anzahl und geographische Verbreitung von Tierarten wie dem Jaguar, Tapir, Wildschwein, Otter und Kragenbär erhalten sowie die Einstellungen in der Bevölkerung zum Naturschutz und nachhaltigem Wirtschaften verbessert werden.

Lageplan des Madidi-Park, rot eingezeichnet die Gebiete, die höchsten Schutz genießen sollen, Grafik: La Brava

Die Direktorin des WCS in Bolivien ist überzeugt, dass mit den Ergebnissen des ersten Projektjahres die Erreichung der Ziele möglich und dass das Projekt gerade wegen der Probleme so wichtig ist, um den Bedrohungen zu begegnen. Wir können doch nicht die Arme verschränken und sagen, das sei alles zu schwer zu erreichen. Die Ergebnisse des ersten Jahres machen uns Hoffnung. Das Projekt hat die Rahmenbedingungen des Parkmanagements entscheidend verändert“, erklärt Painter.

Zum Projekt gehöre auch auch die rechtliche Beratung und Fortbildung des SERNAP, damit diese Institution ihre Strategien zur Bekämpfung illegaler Aktivitäten verbessere. Ein Ergebnis seien vier Strafanzeigen im April diesen Jahres gegen die illegale Bergwerkswirtschaft. Die nationale Leitung des SERNAP habe sich auch einer Anzeige eines Aktivisten von Ende März beim Agrargericht angeschlossen. Das hat vergangene Woche die Unterstützung des Militärs bei den Patrouillen sowie den Stopp der Aktivitäten an einem Bergwerksstandort am Tuichi-Fluss angeordnet.

Der im Mai 2023 neu eingesetzte Direktor des Madidi-Naturschutzparks, Rolando Pérez, hat sich verpflichtet, gegen Ende jeden Jahres die Projektergebnisse zu prüfen. Er ist sich bewusst, dass die Zerstörung durch Bergwerksaktivitäten am Tuichi-Fluss eine Bedrohung und diese nur schwer zu kontrollieren ist. Wir brauchen mehr Parkwächter, sagt er.

Marcos Uzquiano, ein früherer und in den Beni versetzter Parkdirektor ist weniger optimistisch in Bezug auf die Erreichung der Projektziele. Bei der Messung der versprochenen 1% würden die indirekten Auswirkungen gar nicht berücksichtigt.

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