vonPeter Strack 11.02.2022

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Érase una vez, el mundo al revés“, als die Welt einmal Kopf stand, ist der Titel eines Kinderliedes von José Agustín Goytisolo und Paco Ibañez. Es geht darin um einem guten Wolf, der von den Schafen schlecht behandelt wird, um einem hässlichen Prinzen, eine schöne Hexe und einen ehrlichen Piraten… Im Lied ist alles ein Traum. In Bolivien kann man das nicht unbedingt immer sagen, wie auch dieser zweite Teil der kleinen Latinorama-Serie zeigt.

COVID-19 hat dazu geführt, dass die Welt nicht mehr so ist, wie wir sie kannten. Auch in Bolivien wird heftig darüber gestritten, wie mit der Pandemie umgegangen werden soll.

Lange Schlangen an den Impfstellen, Foto: Gonzalo Jallasi Huanca/ABI

Etwa in der Frage einer Impfpflicht. Die hatte die bolivianische Regierung Anfang des Jahres angesichts mäßiger Impfraten sozusagen durch die Hintertür einführen wollen: Ab dem 26. Januar sollten nur noch Personen mit kompletter Impfung Zugang zu öffentlichen Dienststellen, Banken aber auch Überlandbussen bekommen. Prompt gab es lange Schlangen an den Impfstellen.

Proteste gegen die indirekte Impfpflicht

Aber in einem so diversen und rebellischen Land gab es auch zahlreiche Proteste und Straßenblockaden in den größten Städten Boliviens gegen die Impfausweispflicht. Evangelikale waren sich sicher: Die Pandemie sei das Zeichen des nahen Weltendes, predigten sie auf den Dörfern. Beten sei angesagt, nicht Impfen. Traditionelle Indigene waren empört, auch alternative Mediziner*innen, Kapitalismuskritiker*innen und Liberale äußerten ihre Bedenken. Ob religiöse Motive, Modernisierungsängste, die Kritik an der Einschränkung der Freiheitsrechte oder am Geschäft der Pharmakonzerne: Ein Gutteil der Proteste kam aus der Basis der regierenden „Bewegung zum Sozialismus“ MAS. Und tatsächlich war die Situation nicht zuletzt auch wegen der Impfungen wesentlicher entspannter als im ersten Corona Jahr. So verkündete der Gesundheitsminister schließlich, dass die Pflicht, den Impfausweis vorzulegen, bis zum Ende des sanitären Notstands ausgesetzt werde. Wie bitte? Wenn, dann macht die Maßnahme doch eigentlich im Notstand Sinn, nicht wenn die Welle vorbei ist.

Eine Mülldeponie als politischer Brennpunkt

Vielleicht wollte die Regierung mit der verklausulierten Verkündung des Endes der Impfausweispflicht nur nicht zugeben, wieder einmal mit einem Gesetzesvorschlag gescheitert zu sein. So wie das Geldwäschegesetz, mit dem man zwar auch ein paar neue Mechanismen der Kontrolle Oppositioneller einführen wollte, das aber ebenfalls vor allem an der eigenen Basis gescheitert war.

Und trotz Aussetzung der Ausweispflicht ging im Süden Cochabambas in der Nähe der Mülldeponie die Straßenblockade der sogenannten „Autoconvocados“ (Selbstorganisierten) weiter. Impfgegner seien sie nicht, aber sie wehrten sich gegen die Pflicht. Schon im Jahr der Übergangsregierung hatte diese stark von ländlichen Migrant*innen geprägte Zone mit Blockaden fast im zweiwöchentlichen Rhythmus immer wieder Müllberge in der Innenstadt verursacht. Mal waren es politische Forderungen wie nach dem Rücktritt der Präsidentin, mal fanden die Blockaden aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen statt. Ab und an ging es auch um Forderungen zur Verbesserung der Infrastruktur im Viertel.

Diesmal hatten die von der Blockade betroffenen Bus- und Taxifahrer Cochabambas nach zwei Wochen ohne Klärung oder Einschreiten der Staatsorgane genug. Und wie es sich in einer Welt gehört, die auf dem Kopf steht, protestierten sie mit Straßenblockaden gegen die Straßenblockade. Hätten sie sich nicht einfach neben die Protestler von K’ara K’ara stellen können, wo die Straße ohnehin blockiert war? Nein: Sie blockierten die Überlandstraße nach La Paz und zahlreiche weitere Verkehrsknotenpunkte in der Stadt. Nun bekam die Polizei die Anweisung, die Blockade in K’ara K’ara aufzulösen. Bis zum nächsten Anlass. Was am Ende das Anliegen an der Mülldeponie war, bleibt ungeklärt.

Der Karneval soll die Wirtschaft beleben

Nach dem Versuch, die Impfquote per Zwang zu steigern, versuchten es die Behörden von Cochabamba dann mit Motivation. Schließlich steht der Karneval vor der Tür und viele drängen auf eine Rückkehr zur „Normalität“.

Er zumindest ist geimpft, Foto: Gonzalo Jallasi Huanca/ABI

Sollten bis dahin 80% der Bevölkerung geimpft sein, könne der große Karnevalsumzug wieder stattfinden. Biologisch sicher, wie es hieß, mit Hygieneauflagen. Hoteliers, Schneiderbetriebe, Getränkefirmen und das Gaststättengewerbe unterstützen das Anliegen.

Auch wenn Investitionen in andere Sektoren der Wirtschaft vermutlich produktiver und wachstumsfördernder wären, sind die Umsätze beim Karneval doch erheblich. Für viele, die seit Beginn der Pandemie wirtschaftlich auf dem Zahnfleisch gegangen sind, könnten sie erstmals wieder relevante Einnahmen bringen.

Bolivien erwartet Dich: Werbeplakat für den Karneval von Oruro aus einem früheren Jahr

Da die meisten anderen Städte die wesentlichen Karnevalsaktivitäten bereits genehmigt haben, ist nun auch Cochabamba gefolgt. Davon schienen auch die meisten Impfskeptiker*innen ausgegangen zu sein. Denn der Andrang bei den Impfstellen war seit der zur Impfung  motivierenden Ankündigung keineswegs angestiegen. Dass die Hygieneauflagen kontrolliert werden können, darf bezweifelt werden. Das Alkoholverbot am Rande des Umzugs war schon früher nicht durchzusetzen.

Am Ende der vierten Welle?

Etwas beruhigend ist dabei, dass die extrem hohen Infektionszahlen der vierten Welle gerade in allen Landesteilen zurückgehen. In Cochabamba wurde gestern das bislang letzte mit COVID internierte Kind aus dem Krankenhaus entlassen. Gewiss wird der Karneval die Infektionszahlen noch einmal hochtreiben. Ob es aber der Einstieg in eine fünfte Welle wird, wie der Präsident der Ärztevereinigung befürchtet? Eine Hoffnung liegt darin, dass Omikron zu milderen Verläufen führt. Denn viele der Krankenhäuser arbeiten immer noch am Anschlag. Immerhin sind die Todesziffern inzwischen drastisch gesunken. Laut „Our World in Data“ vom 6. Februar haben auch 58% der Bevölkerung Boliviens inzwischen ihre erste Dosis, 46 % die zweite und 8 Prozent den Booster erhalten. Damit liegt Bolivien deutlich unter dem Durchschnitt der Region, wenn auch ein klein wenig besser als Venezuela und Paraguay. Dass der Regierungssitz La Paz eine Impfquote von über 100% gemeldet hat, kann man als statistische Fehlinterpretation abhaken.

Soweit zu den Zahlen und COVID. Zu einer Justiz, die auf dem Kopf zu stehen scheint, kommen wir im nächsten Beitrag der kleinen latinorama-Reihe. Da wird es nicht nur um den Prozess gegen die Übergangspräsidentin Jeanine Añez gehen, der am 10. Februar  beginnen sollte, aber wegen zahlreicher Mängel im Verfahren verschoben wurde, sondern auch um einen zu 30 Jahren Gefängnis verurteilten Frauenmörder, der gegen Schmiergeldzahlung „Hausarrest“ bekam und dort sein makabres Treiben fortgesetzt hat.

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https://blogs.taz.de/latinorama/blockieren-gegen-die-blockade/

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