vonKnut Henkel 20.03.2014

Latin@rama

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Am gestrigen Mittwoch bekam Bogotás Bürgermeister Gustavo Petro eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute war, dass die OAS-Kommission für Menschenrechte Kolumbiens Regierung aufgefordert hat das Amtsenthebungsverfahren gegen Petro zu stornieren. Die schlechte, dass Präsident Juan Manuel Santos dem nicht folgen will. Der Bürgermeister wird somit zum Opfer der extremen Rechte.

Kolumbien werde dem Urteil der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte nicht folgen, erklärte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos am Mittwoch. Die kolumbianische Justiz habe “transparent, effizient und angebracht agiert”, urteilte der konservative Präsident und sorgte für lange Gesichter unter den Unterstützern von Gustavo Petro. Der Bürgermeister von Bogotá, immerhin das zweitwichtigste Amt in Kolumbien, ist damit – im übertragenen Sinne – zum Abschuss freigegeben worden. Er wird ein weiteres Opfer des Prokurators Alejandro Ordoñez, der bereits mehrere Bürgermeister und mehrere Abgeordnete wegen unterschiedlicher Verfehlungen des Amtes enthoben hat. Ordoñez, dem allerbeste Kontakte zum Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez und dem nationalkonservativem Lager nachgesagt werden, ist nicht zum ersten Mal aktiv geworden gegen populäre Repräsentaten des linken politischen Lagers. Auch gegen die Ex-Senatorin Piedad Córdoba hat er im Spetember 2010 ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet – wegen ihrer Verbindungen zu den Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC), der größten Guerillaorganisation des Landes.

Seitdem ist die charismatische Politikerin politisch kaltgestellt und das Schicksal droht auch Gustavo Petro. Der Bürgermeister von Bogotá, einst als Guerillero für die M-19 aktiv, wurde 2011 bei den Kommunalwahlen mit rund 32 Prozent der Stimmen zum Bürgermeister der Neun-Millionen-Metropole Bogotá gewählt. Zwar gilt er nicht gerade als effektiver Administrator, aber immerhin agiert er mit sozialpolitischen Gespür.Der Justizpalast in Kolumbien ist das Symbol der Rechtssprechung. Die funktioniert aber nicht immer vorbildlich....

Nicht nur mit dem neuen, innovativen Müllentsorgungskonzept, dass seit Dezember 2012 in Bogotá gilt, sondern auch mit der Entscheidung allen Bewohnern der kolumbianischen Hauptstadt der beiden unteren Einkommenssegmente sechs Kubikmeter Trinkwasser unentgeltlich liefern zu lassen. Eine Entscheidung mit der sich Petro viele Freunde gemacht hat. Das gilt auch für die Reformierung des Müllentsorgungssystems der Hauptstadt mit der Petro einem Urteil des obersten Gerichts nachgekommen ist. Das hatte die Stadtverwaltung aufgefordert mehr für die Integration der rund 14.000 Familien zu tun, die vom Müllsammeln und -sortieren leben und die Stadtverwaltung ist dem Urteil mit dem neuem Entsorgungskonzept gefolgt. Dabei wurde mit dem im Dezember 2012 eingeführten Entsorgungssystem Neuland beschritten. “Vom strikt privatwirtschaftlichen Konzept ist man zu einem der Inklusion und Partizipation gewechselt”, erklärt Federico Parra von der Nichtregierungsorganisation Wiego. Die engagiert sich weltweit dafür Beschäftigungsalternativen für Frauen und Müllsammler aufzuzeigen und sie von der informellen zur formellen Tätigkeit zu begleiten. Bei den Recicladores, wie die Müllsammler und -verwerter in Kolumbien heißen, und die sich oft in kleinen Betrieben oder Genossenschaften im Süden Bogotás zusammengeschlossen haben, kam das ausgesprochen gut an. “Heute gibt es direkte Arbeitsverträge mit der Stadtverwaltung, die Leute verdienen mehr als den offiziellen Mindestlohn, tragen Arbeitskleidung und werden nicht mehr so ausgegrenzt wie zuvor”, schildert Parra die Erfolge. In einer gerade veröffentlichten Studie mit dem Titel “Recycling ja, aber mit Recyclern” plädiert er für die Inklusion der Recicladores auch in anderen Städten des Landes. Das Symbol der Demokratie Kolumbiens ist der Sitz des Parlaments. Doch die in den letzten Jahren nachgewiesenen Verbindungen zwischen Paramilitärs und rund 65 Abgeordneten haben das Vertrauen vieler Wähler empfindlich gestört.

Die Entscheidung aus dem Präsidentenpalast das Amtsenthebungsverfahren gegen Petro laufen zu lassen, könnte dem einen Dämpfer verleihen. Davon profitieren könnten die großen privaten Müllentsorgungsfirmen für die der Müll der Hauptstadt ein lukratives Geschäft ist. Sie waren 2012 bei der Umstellung schon alles andere als hilfreich wie  der Hauptstadtsenders „Canal Capital“ Anfang Januar 2014 aufdeckte.  Der wies nach, dass es bei der Umstellung der Müllentsorgung zu absichtlichen Fehlern der vorher verantwortlichen Unternehmen gekommen war. Die sind demnach verantwortlich dafür, dass es zu Umstellungsproblemen kam, so dass sich einige Tausend Tonnen Müll in den Straßen Bogotás türmten. Für dieses “unverantwortliche” Müllchaos hat Prokurator Ordoñez Gustavo Petro verantwortlich gemacht. Das Entsorgungschaos liefert ihm den Vorwand für das Amtsenthebungsverfahren. Folglich ist Petro Opfer eines doppelten Komplotts- jenes der privaten Müllentsorger, die ihn zu Fall bringen wollten, und des Prokurators. Der vertritt allem Anschein nach eher die politischen Interessen der Rechten als seinen Job zu machen. Eigentlich ist Ordoñez für die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung verantwortlich und die Procuraduria wurde als Bastion gegen die Veruntreuung von Finanzmittel eingerichtet.

Ohnehin ist das Vorgehen des Prokurators für viele Linke nur eine Retorukutsche, denn Gustavo Petro war es, der als Senator zahlreiche Verbindungen zwischen Paramilitärs und national-konservativen Anhängern des damaligen Präsidenten Uribe aufgedeckte. Folgerichtig wittern Abgeordnete wie Iván Cepeda vom Polo Democrático ein Komplott gegen Petro. Der wehrt sich mit allen juristischen Mitteln gegen seine Absetzung und hat mit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eigentlich starke Unterstützer gefunden. Deren Empfehlungen und Urteile sind in der Vergangenheit in Bogotá in aller Regel befolgt worden, so die Corporación Colectivo de Abogados ’José Alvear Restrepo’, eine der renommierten das Menschenrechtskanzleien Kolumbiens. Die mahnt in einer Presseerklärung nicht mit dieser Tradition zu brechen.

Doch genau das hat Präsident Juan Manuel Santos getan und damit auch das politische Klima in Kolumbien zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen verändert. Das könnte sich negativ auf die Friedensverhandlungen in Havanna auswirken wie Gustavo Petro bereits vor Wochen nicht ganz uneigennützig warnte. Der Ex-Guerillero musste Mitte der Woche sein Büro in der Stadtverwaltung an der Plaza Bolívar im Zentrum von Bogotá räumen und es war Präsident Juan Manuel Santos, der Arbeitsminister Rafael Pardo Rueda damit beauftragte die Amtsgechäfte des Bürgermeisters zu übernehmen. Santos bezog sich dabei auf ein Urteil des Staatsrats, in dem am Dienstag die Absetzung Petros und das für 15 Jahre geltende Verbot politische Ämter zu bekleiden, bestätigt wurde. Das blieb nicht unkommentiert: in Havanna warnte die FARC die Absetzung Petros habe einen negativen Effekt auf die Friedensverhandlungen und in Bogotá wurde die erste Klage gegen die Absetzung Petros sechs Stunden nach der Vereidigung des neuen Bürgermeister eingereicht.

 

 

 

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kommentare

  • Herr Wolf, das klingt aber arg plakativ. Selbst wenn Gustavo Petro aus Caracas finanziert worden wäre (in welcher Form denn eigentlich, wurde sein Wahlkampf finanziert?), warum rechtfertigt das denn seine Absetzung unter recht fadenscheinigen Vorwänden? besten Gruß

  • Petro wurde von Chavez finanziert. Cordoba war mehr in Venezuela als in Kolumbien und wurde von der ven. Regierung sogar mit Kreditkarten ausgestattet.

    Zu was die Chavezsche Politik fuehrt sehen wir jetzt in Caracas: SA-aehnliche Truppen der Chavez-Nachfolge-Regierung morden und pluendern.
    Die Welt schweigt und ich bin sicher, TAZ ist auf Seiten der Unterdruecker, so lange sie nur sich links nennen.

  • Vielen Dank, eine ausgezeichnete Darstellung. Nur eine kleine Korrektur: Petro hat bereits gestern sein Buero an senen Nachfolger Pardo uebergeben musen.

  • Vielen Dank, ein ausgezeichneter Artikel. Kleine Korrektur: Petro musste bereits gestern sein Buero an seinen Nachfolger Pardo uebergeben.

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