vonClaudius Prößer 23.08.2008

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Der gemeinste, verschlagenste, rücksichtsloseste Macho, den Chile je erlebt hat – er tobt sich Tag für Tag auf den Bildschirmen aus. José Luis Echenique heißt er, man kennt ihn aber auch als El Señor de la Querencia. José Luis ist Großgrundbesitzer, ihm gehört das Gut „La Querencia“ im Norden von Santiago und im Jahr des Herrn 1920. Wen das Los getroffen hat, auf José Luis‘ Latifundium zu arbeiten, der muss mit dem Schlimmsten rechnen: Der patrón geht nicht nur gewohnheitsmäßig fremd und beutet seine Arbeiter nach Strich und Faden aus, er prügelt, vergewaltigt und mordet auch. Um anschließend in der gutseigenen Kapelle niederzuknien und um Vergebung zu bitten.

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Das von Wikipedianern zusammengetragene Sündenregister des Gutsherrn ist beachtlich, und nicht von ungefähr hat die vom staatlichen Kanal TVN aufwändig produzierte Fernsehserie bereits zu erhitzten politischen Debatten geführt. Zu viel Gewalt, monieren die einen, zu viel nacktes Fleisch, die anderen (aus der katholischen Ecke). Schließlich die Vorwürfe aus der nationalkonservativen Ecke, der telenovela mangele es an historischer Exaktheit. Gutsherren als Mörder und Ehebrecher – da könne es sich nur um eine gezielte Verleumdungskampagne des von der Linken dominierten Senders handeln.

Dabei ist es gerade das Verdienst der Serie, den Großgrundbesitzers als echtes Schwein darzustellen. In den vergangenen Jahrzehnten, zumindest in den Jahren der Diktatur, wäre das völlig unmöglich gewesen. Und dass es derartigen Machtmissbrauch gegeben hat, daran kann es keinen Zweifel geben. Weil den Machern der Serie der Sinn ganz offenbar danach stand, eine allgemeine Figur der chilenischen Geschichte und deren Nachwirkung im gegenwärtigen Machismo zu denunzieren, wirkt vor allem die Kritik von Laura Albornoz, der chilenischen Frauenministerin, befremdlich. Sie monierte die vielen Gewaltszenen (bei denen der Mann eindeutig der Aggressor ist) mit dem Argument, Frauen könnten auf die Idee kommen, das unterwürfige Verhalten der Protagonistinnen zu übernehmen – und Männer die dargestellten Gewaltorgien imitieren.

Über die künstlerische Seite der Serie, die Qualitäten des Drehbuchs oder der Schauspieler sprechen wir an dieser Stelle besser nicht, auch wenn manche chilenische novelas deutlich anspruchsvoller und komplexer sind als die venezolanische oder brasilianische Massenware, die hier selbstverständlich auch läuft. Wer nicht weiß, was „Overacting“ bedeutet, kennt sich nach fünf Minuten aus: so viel aufgerissene Augen, so viele Ohnmachten und Wutausbrüche. Dazu dramatische Musik, alle paar Minuten ein Cliffhanger oder irgendjemand, der irgendjemand anderen bei irgendetwas Verbotenem überrascht. Aber davon wollten wir ja nicht sprechen.

Jetzt ist Hauptdarsteller Julio Milostich seine Rolle offenbar zu Kopf gestiegen. Der noch vor kurzem weitgehend unbekannte Schauspieler zertrümmerte die Einrichtung eines Restaurants und verletzte den Wirt schwer, am folgenden Tag ließ er sich freiwillig in eine psychiatrische Klinik einweisen. Das könnte problematisch werden, weil die Serie ja noch nicht zu Ende gedreht ist – aber mit so etwas werden erfahrene guionistas auch fertig.

Auch in Puerto Montt machte die Serie gestern wieder Schlagzeilen: Der Platzwart des regionalen Fußballstadions wurde von einer fünfköpfigen bewaffneten Bande überfallen, geschlagen und ausgeraubt. „Meine Frau und ich haben nicht mitbekommen, wie sie sich an der Tür zu schaffen machten“, so das Opfer im Llanquihue, “ wir waren so gefesselt vom Señor de la Querencia.“

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