vonGerhard Dilger 11.10.2008

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Aus Paraguay hat uns Hermann Schmitz folgenden Text geschickt:

Es gibt Erzählungen des Grauens, in denen der wahre Schrecken sich gnädig hinter einer Art Ersatzgeschichte verbirgt, die den Zuhörer die eigene Fantasie gebrauchen und ihn selber bestimmen lässt, wieviel er aushalten will. Eine solche Geschichte erzählte mir vor Jahren B., einer der Langzeithäftlinge der Stroessner-Diktatur, den ich bei der Übergabe des Endberichtes der „Comisión de Verdad y Justicia“ im August wieder treffe.

B. war in der falschen Partei, ein „subversives Element“ – Staatsfeind also in einem Gewaltregime, das unbequeme Kritiker unter Kommunismus- verdacht stellte und gnadenlos jagte, zur Freude des „großen Bruders“ im Norden. Der Häftling verbrachte lange Zeit in einer Art Erdverlies, der Hitze, der Kälte und Feuchtigkeit schutzlos ausgesetzt.

Als einer der „persönlichen Gefangenen“ Stroessners war er es zu Beginn seiner Haft nicht einmal wert, in einem auch noch so schäbigen Raum zu vegetieren. Erst als der Hass des Diktators ein wenig nachließ, tauchte B. aus seiner Hölle auf, und es folgten weitere endlose Jahre in „normaler“ Gefangenschaft.

Um diese zu kennzeichnen, reicht ein Blick auf die spezielle, fantasie- volle Terminologie der Folter in Paraguay: „Badewanne“, „Fledermaus“, „Fötus“, „Sarg“, „Zigarre“ oder „Pferdchen“ – was bei diesem perversen, quasifolkloristischen Vokabular  in der eigenen Fantasie aufsteigt, bleibt vermutlich hinter der Realität zurück.

Die verzehrenden  Erinnerungen an seine Familie, die längst nur noch in seinen Träumen und seiner Sehnsucht existiert, sind für B. oft noch schlimmer als der Hunger oder der Schmerz. Vor allem quälen ihn die Gedanken an seine Tochter, die er zärtlich liebt, und die bald ihren in Paraguay so wichtigen fünfzehnten Geburtstag feiern wird.

Da fällt ihm eines Tages ein großer Rinderknochen in die Hände, und dieser abgenagte Knochen regt seine väterliche Fantasie an: Daraus ließe sich doch vielleicht eine Harfe basteln für die Tochter, ein Instrument, das sie so sehr liebt.

Der Gedanke lässt ihn nicht mehr los. Er versteckt den Knochen, und immer wenn er, unentdeckt von den Wachen, „arbeiten“ kann, schabt, sägt und feilt er voller Angst, aber mit größter Akribie an ihm herum – mit improvisiertem Gerät, das er sich unter den rigiden Haftbedingungen nur mühsam „organisieren“ kann.

Nur ja vorsichtig sein, er hat nur dieses eine Stück, wie schnell ist das Werk missraten!

Langsam, in Tagen und Wochen angespannter Arbeit, verwandelt sich der Knochen und nimmt immer mehr die Gestalt einer Harfe an. B. hat in der Haft nicht seine Geschicklichkeit und seine Geduld eingebüßt.

Später sagt er mir: „Die vier Monate Arbeit an diesem mir bald heiligen Knochen waren die einzig einigermaßen erträglichen in den langen Haftjahren.“ Als ich das kleine, filigrane Schmuckinstrument sehe, es berühre, kann ich kaum begreifen, wie es unter diesen Bedingungen aus den Händen des Häftlings B. entstehen konnte, und unwillkürlich kommt mir der Gedanke, dass es eigentlich nur die Kraft der Liebe des Vaters zu seiner Tochter gewesen sein kann, der es seine Fertigstellung verdankt.

Als B. schon eine verschwörerische Methode weiß, wie er das kostbare Geschenk seiner Tochter zukommen lassen kann, ertappt ihn ein besonders verhasster Aufseher genau in dem Moment, in dem er die knöcherne Harfe verpackt.

Tiefster Schrecken erfasst ihn, fast noch größer als in den Momenten, wenn man ihn zur Folter abholte! Flehend erzählt der Häftling dem Wärter, für wen und für welchen Anlass erarbeitet wurde, was er da in Händen hält.

Der nimmt ihm die Spielzeugharfe ab, begutachtet sie dann aber mit einem für ihn ganz ungewöhnlichen, beinahe andächtigen Erstaunen. B. wartet jetzt nur darauf, dass der Aufseher sein Geschenk auf dem Boden zertrümmern wird, der aber nimmt sie einfach mit und sagt beim Hinausgehen: „Die wird auch meinem Liebchen gefallen ….“

Später berichtete mir der Häftling: „Ich war selten in meinem Leben so untröstlich wie in diesem Augenblick! Monate der heimlichen Arbeit umsonst! Und vor allem, ich konnte nun meiner Tochter nicht die Freude machen, die ja auch meine größte Freude war!“

Aber es passiert ein Wunder: Einige Tage später, als er von einem Verhör zurückgebracht wird, findet B. seine Harfe unversehrt in der Zelle. Ob sich bei dem Wärter ein unerwartetes Mitgefühl geregt oder er einfach das Interesse an dem Kunstwerk verloren hatte, kann B. nicht mehr feststellen. Der Mann wurde versetzt, und er blieb auch später verschollen.

Überglücklich findet der Gefangene noch rechtzeitig einen Weg, seiner Tochter die Harfe zu ihrem fünfzehnten Geburtstag zukommen zu lassen. Hat es je ein wertvolleres Geschenk gegeben?

Dieser Bericht von Stroessners „persönlichem Häftling“ B. berührt mich bis heute mehr als mancher Folterbericht, obwohl (oder weil?) er ganz ohne grausige Einzelheiten auskommt.

Am 28. August begegne ich also B. nach langen Jahren wieder, und sofort ist die Harfengeschichte präsent. Im Abschlussbericht über die Verbrechen der Stroessner-Diktatur kommt diese Geschichte nicht vor. Wie Tausende, die nicht Erwähnung finden können. Deshalb habe ich sie hier erzählt.

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P. S. Hermann Schmitz: Sechs Wochen nach Lugos Amtseinführung

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