vonPeter Strack 05.05.2023

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Eigentlich hat die „Corporación Socioeducativa Simón Bolívar“ schon Ferien, als Oscar Valencia in den Vorweihnachtstagen 2022 meine Tochter und mich mitnimmt. Es geht an der Nationalen Universität und einer geschlossenen Wohnanlage vorbei den Berg hinauf über ein Nadelöhr hinein in die Barrios und immer höher bis an den Sitz der Nicht-Regierungsorganisation im Kennedy-Viertel im Nordwesten von Medellín. Wir gehen in ein mehrstöckiges Gebäude, wo Maria Elena Salas und Maria Josefa Restrepo Roldán bereits warten. Später sprechen wir auch noch mit der Direktorin Mónica Vélez. Alle vier sind Mitglieder des 1980 gegründeten „Sozial- und Bildungsvereins“ in dem nach dem US-Präsidenten benannten und direkt an das Picacho angrenzenden Wohngebiet im sechsten Bezirk. Wie die benachbarte Organisation „Picacho con Futuro“  sucht auch „Simón Bolívar“ nach einer neuen Rolle und Strategien, um die eigene politische, Organisations- und Sozialarbeit aufrechterhalten zu können. Die Aufarbeitung der Geschichte ist Teil davon. Sie spiegelt sich in der verwinkelten Bauweise des Zentrums mit seinen im Laufe der Jahre hinzugebauten Erweiterungen. Und sie ist in Säcken voller Dokumente, Filme und Fotos aufbewahrt. Und deshalb holt man für den Besuch auch einen alten Diaprojektor aus dem Abstellraum und bringt ihn tatsächlich zum laufen.

Josefa Restrepo und Oscar Valencia bringen den alten Diaprojektor tatsächlich zum laufen, Foto: Julia Gabriela Strack Diaz

Josefa Restrepo arbeitete Ende der 80er Jahre als Sekretärin in einer Schule im benachbarten Viertel Esperanza. Zunächst war das eine Privatinitiative der Kirchengemeinde, die vom Staat nur bezuschusst wurde. Doch weil alle Kinder ein Recht auf Bildung haben, organisierte Restrepo Elterngruppen, um die vollständige Finanzierung zu erkämpfen. Die Schule von Esperanza wurde zu einer der wenigen staatlichen und damit kostenlosen Schulen. Deshalb kamen auch Kinder aus weiter weg gelegenen Vierteln dort zum Unterricht.

Die Anfänge: Komitees zur Gründung staatlicher Schulen

So lag es nahe, Ähnliches auch mit sogenannten „Komitees zur Verstaatlichung“ in anderen Vierteln zu versuchen. Die bestanden aus Eltern, Schüler*innen, Lehrpersonen und Verwaltungspersonal. Über den Austausch unter den Komitees lernte Restrepo die Schulinitiative im Kennedy-Viertel kennen, aus der der Verein „Simón Bolívar“ entstanden ist. Denn die kostenlose Schulbildung war nur eine der Notwendigkeiten in dem schnell wachsenden Viertel. So kümmerte man sich auch um die schlechte Verkehrsanbindung, den Zustand der Straßen, den Müll und andere Probleme. Als Restrepo 1992 in die Nähe des Kennedy-Viertels umzog, engagierte sie sich fortan bei „Simón Bólivar“. Zunächst ehrenamtlich. Damals hätten die Universitäten sich den Basisbewegungen in den Vierteln geöffnet, um sie zu unterstützen. Heute seien die Viertel eher Gegenstand akademischer Studien, als dass Studierende oder Lehrpersonen sich aktiv in die kollektiven Prozesse einbringen würden. Auch in den Nichtregierungsorganisationen sei heute nicht mehr das Engagement entscheidend. Wenn es keine Projektmittel gebe, würde häufig dann auch nichts getan, meint Restrepo. Die Direktorin Mónica Vélez sieht das etwas anders. Gewiss habe es früher umfangreichere Aktivitäten und mehr Mitarbeitende gegeben. Aber „wer hier mitarbeitet, tut das nicht wegen dem Geld.

„Die Stadt in Stereo“, das Kommunalradio gibt es seit 2011, Foto: Archiv Corporación Socioeducativa Simón Bolívar

Das Kommunalradio gibt es seit 2011 und bietet immer noch ein volles Tagesprogramm. Dazu gehören Sendungen, die mit den Sprösslingen oder Eltern des Gemeindekindergartens zusammen erarbeitet werden. Auch würde Information von anderen Viertelorganisationen geteilt. Es gebe ein Programm, das sich mit kommunalpolitischen Maßnahmen beschäftigt, Jugend-, Kulturformate und einen Sendeplatz, in dem die historischen Dokumente und Geschichte des Vereins und des Viertels aufgearbeitet werden. „Das dafür erforderliche Team kann der Verein gar nicht bezahlen,“ gibt Velez zu bedenken, deren erwachsener Sohn ehrenamtlich im Radio tätig ist. Und der Koordinator bekomme auch nur ein Gehalt, das für ein würdiges Leben absolut notwendig sei.

Staatliche Förderung bringt Bürokratische Kontrolle

Voll im Betrieb ist auch noch der Gemeindekindergarten „Susanita Diaz“. Er erhält Gelder aus dem städtischen Programm „Ein guter Anfang“. Man habe sehr dafür kämpfen müssen, sagt Josefa Restrepo, dass bei der damit verbundenen Bürokratie und den Vorgaben die alternative Pädagogik des Kindergartens, bei dem Kinderbeteiligung groß geschrieben wird, nicht unter die Räder komme. „Eine Erzieherin“, ergänzt Mónica Vélez, “ ist von 8 Uhr morgens bis 16:00 nachmittags mit 20 oder 25 Kindern beschäftigt, und dazu kommt das Ausfüllen von Formularen, um Qualität nachzuweisen. Das ermüdet das Personal und droht auf Kosten einer reflektierten Arbeit und wirklicher Beteiligung zu gehen.“

Mónica Velez mit Kindern, Zur direkten Arbeit kommt das ausfüllen von Formularen, Foto: Corporación Socioeducativa Simón Bolívar
Mónica Vélez mit Kindern, Zur direkten Arbeit kommt das Ausfüllen von Formularen, Foto: Corporación Socioeducativa Simón Bolívar

Josefa Restrepo wiederum hat vom Kulturministerium Mittel für ein Projekt bewilligt bekommen, mit der sie und eine Kollegin nun die audiovisuellen Materialien der Geschichte des Viertels und der Organisation für die nachfolgenden Generationen aufarbeiten und dokumentieren. „Wie heißt es? Wer die Geschichte nicht kennt ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen“, begründet Josefa Restrepo diese Arbeit, die sie gemeinsam mit anderen Vereinen vorantreibt, damit die Erinnerung nicht verloren geht. Aber wie sie von der Vergangenheit redet, lässt erahnen, dass sie zumindest manches davon gerne wiederholen würde.

„Die Beteiligung hat sehr nachgelassen“ meint Mónica Velez. Auch weil Sprecher*innen der Basis, aber auch Mitarbeiter*innen der Corporación, von politischen Parteien aufgesogen worden seien. Doch die wünschten sich eigentlich nur Unterstützung für den eigenen Wahlkampf. „Das ging soweit, dass Leute aus unseren Prozessen in der Politik von Korruption angesteckt wurden. Da fragt man sich natürlich, was wir falsch gemacht haben.“ Es sei gewiss nicht einfach, in einem so autoritären Staat im politischen Feld Fortschritte für das Viertel zu erzielen. Die Zusammenarbeit einer Basisorganisation mit dem Staat gehe aber nur aus einer Haltung heraus, die die Unterschiede zwischen den Akteuren akzeptiere und indem man sich ergänze. „Die ethischen Prinzipien und der Sinn für gemeinschaftliches Handeln müssen im Viertel daher wieder gestärkt werden. Wir müssen uns auf unsere Geschichte besinnen, unsere Autonomie bewahren ohne in Anarchie zu verfallen. Damit die lebendige Stimme der Anwohnerschaft erhalten bleibt. “

Schon 1998 gab es Workshop mit Kindern zur Geschichte des Viertels, Foto: Archiv Corporación Socioeducativa Simón Bolívar

Bilder aus einer fast vergessenen Kindheit auf der Straße

„Vor allem die Leute aus den ärmeren Vierteln sollen sehen können, wie das Leben früher war und wie die Leute miteinander umgegangen sind“, erklärt Maria Elena Salas.

Maria Elena Salas, Foto: P. Strack

Sie ist Dozentin an der staatlichen Universität von Antioquia und Mitglied des Kommunikationsteams der „Corporación Simón Bolívar“. „Sie sollen wissen, wie das Viertel entstanden ist, wer die Gründer*innen waren und wie die soziale Arbeit funktionierte.“

Für die Siedlung Moravia im Bezirk 7 habe sie zum Beispiel das Video „Mein Viertel ist mein Zuhause“ produziert, das sie auch auf Filmfestivals gezeigt habe. „Das war sehr interessant, weil ich dabei auch die Geschichten anderer kennengelernt habe. Und die Leute im Viertel schauen sich auch gerne die Gesichter der Personen aus der Nachbarschaft an. Manche der Zuschauer*innen erkannten sich auf den Bildern wieder. Es war etwas Besonderes, als diese Leute gesehen haben, wie sie damals aufgewachsen sind. Wir haben auch die Elterngeneration eingeladen, damit sie sich bewusst werden, wie sich ihre Kinder verändert haben und was inzwischen aus ihnen geworden ist.“

Der Film zeigt wie die Kinder auf sich gestellt durch die Straßen in dem damals wirtchaftlich prekären Viertel Moravia  zogen, während die Mütter Geld verdienen gingen. Auf einem Grundstück sieht man sie Mangos pflücken, an Straßenecken um Geld betteln und an Haustüren um Essen.

„Früher war mein Haus eine Holzhütte mit Lehmboden, heute ist es aus Stein“ – Gestickte Erinnerungen aus dem Viertel Moravia, Foto: Julia Gabriela Strack Diaz

Daher komme auch der Titel des Videos, ergänzt Salas. Man sehe, wie schlecht die Kinder bisweilen behandelt oder gar beschimpft worden seien und auch geweint haben. Um so schöner sei es zu sehen, dass sie heute ihren Weg gefunden hätten, ohne in die Kriminalität abzurutschen. Eine der Protagonistinnen ist heute selbst Medienschaffende, eine andere kümmert sich inzwischen um eigene Kinder.

1500 Audiovisuelle Produktionen dokumentieren die Geschichte des Kennedy-Viertels

Im Kennedy-Viertel werden ähnliche Film- und Gesprächsabende organisiert, bei denen sich Vertreter*innen der Gründungsgeneration mit den jungen Leuten austauschen.

Bei einem Treffen der Jugendlichen mit der Gründergeneration 2001, Foto: Archiv Corporación Socioeducativa Simón Bolívar

Josefa Restrepo gehört zwar nicht zu den Gründerinnen, hat aber lange im Kommunikationsbereich des Vereins „Simón Bolívar“ gearbeitet. Die Medienarbeit sei immer wichtig gewesen, um die Organisation und Basisprozesse zu unterstützen. Es wurden Bildungsbroschüren, Dia-Schauen oder Videos produziert. Und dieser ganze Erfahrungsschatz von 1500 AV-Produktionen habe etwas vergessen in Säcken verpackt im Abstellraum gelagert. Darin sei die Arbeit mit Kindern, Jugendarbeitslosigkeit, Gewalt, die Geschichte der herausragenden Persönlichkeiten im Viertel, die Demonstrationen und Aktionen der Gemeindeorganisationen dokumentiert.

Das Studio des Kommualradios, Foto: Julia Gabriela Strack Diaz

Irgendwann stand dann die eigene Radiostation im Zentrum der Kommunikationsarbeit, erinnert sich Restrepo. Zeitweise war ihnen die Lizenz entzogen worden und musste wieder erkämpft werden. Aber über viele Jahre hinaus wurden dabei auch Viertelbewohner*innen für die Nutzung dieses und anderer Medien geschult.

Nun werden die angesammelten Materialien gesichtet. 900 Produktionen wurden ausgewählt, vor allem Dokumente von Aktivitäten, aber auch 200 editierte Videos. Darunter eines über die Kampagne „Gebt den Kindern eine Stimme“ zur UN-Kinderrechtskonvention und dem Recht auf Beteiligung. Die Kampagne war von terre des hommes Deutschland in mehreren Ländern Südamerikas finanziert worden.

Erarbeitung des lokalen Entwicklungsplanes 1996, Foto: Archiv Corporación Socioeducativa Simón Bolívar

Für lebendige Viertel

Andere Videos dokumentieren die Erarbeitung des lokalen Entwicklungsplanes oder eine gemeinsame Kampagne der sozialen Organisationen aus den Bezirken 5, 6 und 7 für das Recht auf Leben. Das Motto war „Das Leben im Viertel hat Leben“. Damals in den 90er Jahren tobten Bandenkriege in der Zone. „An jeder Ecke wurden Menschen getötet“, erinnert sich Josefa. „So überlegten die Organisationen gemeinsam, wie der Gewalt begegnet werden kann. Ziel war, gewalttätige Umgangsformen abzulegen, um friedliches Zusammenleben zu lernen, angefangen in der Familie, über die Nachbarschaft bis in die Institutionen. Gearbeitet wurde mit den Basisorganisationen und in den Schulen.“

Der Fortbestand der Organisation und der Wirksamkeit der Arbeit sei eng verbunden mit dem angesammelten Wissen, ist Direktorin Mónica Vélez überzeugt. Dazu gehören die Methoden und Materialien, die im Laufe der Jahre zu unterschiedlichen Themen erarbeitet worden seien. „Viele unserer Erfahrungen und Methoden sind aber irgendwann im Archiv gelandet und müssen aktualisiert, andere verbessert werden.“ Aber wenn man diese Methoden ernsthaft umsetze, dann erziele man auch Wirkung. Anders als bei den kurzfristigen Projekten, obwohl es für die die meiste Finanzierung gäbe.

Tatsächlich lebe es sich im Viertel jetzt ruhiger, Foto: P. Strack

Tatsächlich lebt es sich in einigen Vierteln heute viel ruhiger, erklärt Maria Elena Salas. Kennedy gehört dazu. Es gebe keine Auseinandersetzungen mehr zwischen den Banden um die Kontrolle der Viertel. Man habe Abkommen untereinander geschlossen. Es gebe auch keine unsichtbaren Grenzen mehr, bei deren Überschreitung die Jugendlichen um ihr Leben fürchten müssten.

Schließlich hätten in all den Jahren Tausende junger Leute die Sozialprojekte von Organisationen wie Simón Bolívar durchlaufen, begründet Josefa Restrepa. Die Mehrheit von ihnen habe nun andere Vorstellungen von ihrem Leben und Alternativen zur Gewalt zur Hand.

Andere Vorstellungen für das Leben entwickelt, Kulturwoche 1996, Foto: archiv Corporación Socioeducativa Simón Bolívar,

Doch der bewaffnete Konflikt sei auch in Kennedy und wohl in den meisten Vierteln Medellíns noch nicht beendet (siehe auch dieses frühere Interview). Bewaffnete Gruppen üben die Kontrolle über das Territorium aus, erpressen Schutzgelder von Läden und kleinen Betrieben. Es gäbe Kartelle. Nicht jeder oder jede könne zum Beispiel die typischen Arepas (Maisfladen) verkaufen. Man werde permanent überwacht. Und man fühle sich überwacht. „Ich wohne nicht hier in Kennedy. Aber in meinem Viertel passen Jugendliche an den Ecken genau auf, wer in die Straße kommt. Und solange die Vereinbarungen zwischen den Banden eingehalten werden, herrscht Ruhe. In Robledo im siebten Bezirk ist es dieses Jahr allerdings wieder zu heftigen Auseinandersetzungen und Toten gekommen.“

Wirtschaftliche Probleme als Nährboden von Kriminalität

Ein etwas bitteres Lachen bekommen wir als Antwort auf die Frage, ob sich in den Monaten seit Gustavo Petros Regierungsantritt etwas geändert hat im Viertel, etwa durch die Sozialleistungen für finanzschwache alleinerziehende Frauen, wie wir es in der Hauptstadt Bogotá gehört hatten. Es gäbe viele bewaffnete Raubüberfälle, sagt Maria Elena. Das habe aber nicht mehr mit den alten Konflikten um die Macht zu tun, sondern mit den wirtschaftlichen Problemen, den mangelnden Verdienstmöglichkeiten und den Preissteigerungen. Die haben seit Petros Regierungsantritt zugenommen. Und die venezolanische Migration verschärfe die Problematik noch einmal.

Die Maßnahmen der nationalen Regierung könnten so schnell gar nicht wirken, gibt Josefa Restrepo zu bedenken. Aber es gäbe positive Signale, etwa mit der Einbeziehung der Basisorganisationen bei den Planungen einer neuen Kulturpolitik.

Kulturangebote bringen die Menschen im Viertel Kennedy wie hier 1996 zusammen, Foto: Archiv Corporación Socioeducativa Simón Bolívar

Aus Viertelinitiativen sind staatliche Angebote geworden

„Susanita Diaz“, der Kindergarten, das seien in den Anfängen einfach Frauen aus dem Viertel gewesen, die sich entschieden hatten, sich um Kinder aus der Nachbarschaft zu kümmern, erklärt Oscar Valencia. Der Verein „Simón Bolívar“ hat diese Initiativen seit den Anfängen pädagogisch begleitet und zu einem institutionellen Angebot ausgebaut. Staatliche Kindergärten habe es damals noch nicht gegeben. Heute ist „Susanita Diaz“ Teil der staatlichen Versorgungsstrukturen, obwohl er weiter von dem Verein betrieben wird. „Man muss beim Staat die Rechte einfordern, darf sich aber nicht als Stimmenbeschaffer bei Wahlen betätigen“ erklärt Mónica Vélez ihre Strategie. „Manche aus unserer Organisation haben sich für Wahlprozesse begeistern lassen und sich getrennt.

Das Gebäude hat die Nachbarschaft mit der Corporación Simón Bolívar errichtet, das Grundstück ist städtisch, Foto: Julia Gabriela Strack Diaz

Inzwischen ist auch ihnen klar, dass das nicht der geeignete Weg war, ihre Ziele zu erreichen. Ich verstehe auch, dass viele mit der neuen nationalen Regierung Hoffnung in die Politik haben, wenn man das mit der Vergangenheit vergleicht. Aber Alternativen haben uns hier auch frühere Bürgermeister versprochen und nicht erfüllt. Von einer anfangs komplett ablehnenden Position sind wir aber dennoch zu einer Annäherung gekommen.

Die Stadtregierung hat uns dabei Schach erklärt, aber zum Glück nicht matt gesetzt. Denn das Grundstück des Kindergartens zum Beispiel ist städtisch. Das Gebäude hat die Corporación errichtet,“ erzählt Vélez. Einer der Bürgermeister habe bereits versucht, ihnen das Gelände wegzunehmen, um politische Freunde damit zu begünstigen. Vergeblich, denn das hätte auch hohe politische Kosten mit sich gebracht. „Es gibt eine große Identifikation des Viertels mit dem Kindergarten.“

Die Ludotheken, die Spielzimmer, die sie bei „Simon Bolívar“ ins Leben gerufen haben, sind ganz an den Staat übergegangen. Der Kindergarten Susanita Diaz habe über die Woche wie ein solcher funktioniert. An den Wochenenden habe es dort aber künstlerische Angebote wie Tanz- oder Malkurse oder eben Angebote zum Spielen geben, erinnert sich Josefa. Heute findet all das in der staatlichen Ludothek statt. Es ist ein Ergebnis und Erfolg der Arbeit des Vereins „Simón Bolívar“.

Gemeindereporter auch beim Workshop über die Geschichte des Viertels 1998, Foto: Archiv Corporación Socioeducativa Simón Bolívar

Einen Transfer hat es auch bei der Ausbildung von Gemeindereporter*innen gegeben, erkärt Josefa Restrepo. Heute werde das von den Universitäten angeboten. Sie selbst sei jahrelang Dozentin an einer katholischen Universität gewesen, wo sie die Erfahrungen aus der Arbeit in Kennedy an die neuen Generationen habe weitergeben können. Die Universitäten, gibt ihr Mitstreiter Oscar Valencia zu bedenken, hätten auch viel mehr Mittel, um die Ausbildung durchzuführen. Da könne die „Corporación Simón Bolívar“ nicht mit konkurrieren. Der Gemeinde- und Basisbezug ginge dabei allerdings manchmal verloren.

Nicht-Regierungsorganisationen auf der Suche nach ihrer neuen Rolle

Organisationen wie Simon Bolívar müssen deshalb ihre Rolle immer neu finden. Der Austausch untereinander habe durchaus gelitten, weil viele um ihr finanzielles Überleben kämpfen müssen. Manche hätten sich, sagt Restrepo, zu reinen Umsetzungsorganisationen für die Stadtverwaltung entwickelt. Und „Zahlreiche Basisorganisationen im Nordwesten von Medellín sind von der Bildfläche verschwunden“, ergänzt Mónica Vélez. „Viele wegen der administrativen Anforderungen. Man wird behandelt wie ein Wirtschaftsunternehmen.

Behandelt wie ein Wirtschaftsunternehmen – Bei der Mitgliederversammlung 1996, Foto: Archiv Corporación Socioeducativa Simón Bolívar

Andere haben sich aufgelöst, weil sie ihre Aufgabe als erfüllt ansahen, nachdem der Staat diverse soziale Dienstleistungen übernommen hatte. Oder sie beschränken sich auf die soziale Kontrolle. Der Verbund der gemeindebasierten Organisationen, die früher wirkungsvolle Kampagnen gemacht habe, ist auch nicht mehr aktiv, seitdem die Parteipolitik Einzug gehalten hatte. Aber ich denke, unsere Aufgaben sind noch nicht erledigt. Es gibt Themen, die noch nicht ergründet sind, wie die Verankerung der sozialen Arbeit in den kulturellen Wurzeln der Bevölkerung im Viertel oder die venezolanische Migration“, so Vélez.

Die Herausforderung scheint heute nicht mehr, Infrastruktur zu schaffen, Foto: P. Strack

Die Herausforderung ist heute offensichtlich nicht mehr so sehr, Infrastruktur zu schaffen. Aber wahrscheinlich ist, dass es all die Infrastruktur ohne die nun 42jährige Arbeit der Corporación Simón Bolívar im Viertel heute nicht geben würde. Und so wird im Verein derzeit lebhaft über die Zukunft diskutiert.

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