vonBenjamin Kiersch 23.08.2008

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Es hörte sich nach einem fantastischen Angebot an: Im Juli suchte die Baufirma Cidenbol aus Cochabamba Arbeiter für Bauprojekte einer Partnerfirma – im russischen Rostow am Don. Für nur 5000 US-Dollar, so versprach die Firma, könnten Interessierte einen Reisepass, ein Arbeitsvisum in Russland und ein Ticket nach Rostow bekommen. Dort angekommen, könnten sie für die Arbeit auf der Baustelle 1500-2000 US-Dollar im Monat verdienen, bei freier Kost und Logis.

So machten sich 240 Arbeiter am 20. Juli auf die lange Reise von Cochabamba nach Rostow am Don; viele, nachdem sie einen Kredit aufgenommen hatten, um die Reisekosten aufzubringen.

Die Realität in Rostow freilich sah anders aus als das, was der Geschäftsführer von Cidenbol seinen Mitarbeitern bzw. Opfern versprochen hatte: die Arbeiter aus Cochabamba wurden in einem Haus untergebracht, das nach Aussage von einigen Arbeitern, die mit Familienangehörigen telefonieren konnten, mehr ein Gefängnis als eine würdige Behausung war: jedem wurde eine kleine Zelle zugewiesen. Doch damit nicht genug: die Rostower Firma erklärte, dass es nicht genug für alle gebe. Diejenigen, die arbeiten „durften“, bekamen 20 US-Dollar Lohn pro Tag, was nach Angaben der Arbeiter gerade reicht, um sich Essen zu kaufen; die übrigen mussten sich mit Brot und Wasser zufrieden geben.

Die betrogenen Arbeiter wollen zurück nach Bolivien, allein: sie haben kein Geld, um die Rückreise zu bezahlen. Die bolivianische Fluggesellschaft AeroSur hat den Familien der Arbeiter angeboten, verbilligte Rückflugtickets von Madrid nach Cochabamba zur Verfügung zu stellen. Von Rostow am Don nach Madrid ist es allerdings noch ein weiter Weg, und die Arbeiter verfügen nicht über Visa, um auf dem Landweg durch die EU nach Madrid zu reisen.

Los Tiempos de Cochabamba

Gestern in Cochabamba: Familienangehörige der in Russland gestrandeten Arbeiter stehen vor dem Aerosur-Büro an, um die Rückreise ihrer Angehörigen zu organisieren. Foto: Los Tiempos

Der Fall illustriert die immer desperateren Versuche von Bolivianerinnen und Bolivianern, die im Ausland arbeiten möchten, und jedes noch so dubiose Angebot annehmen – besonders nach der Einführung der Visumspflicht durch die Europäische Union im März 2007 (das Boliblog berichtete). Den nach ihrem Abenteuer in Rostow am Don hoch verschuldeten Arbeitern wird es ein schwacher Trost sein, dass die bolivianischen Behörden inzwischen gegen den Cidenbol-Geschäftsführer, der sich selbst als Opfer eines Komplotts sieht, wegen Menschenhandels ermitteln.

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