vonPeter Strack 05.02.2022

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Érase una vez, el mundo al revés“ – „Es war einmal, dass die Welt Kopf stand“, ist der Titel eines Kinderliedes von José Agustín Goytisolo und Paco Ibañez. Darin geht es um einen guten Wolf, der von den Schafen schlecht behandelt wird, von einem hässlichen Prinzen, einer schönen Hexe und einem ehrlichen Piraten…

Im Kinderlied ist all das ein Traum. In Bolivien kann man das nicht unbedingt immer sagen. Im ersten Teil der kleinen Latinorama Serie „Die Welt steht Kopf“ geht es um Kokain.

Gewöhnlich versuchen Kriminelle unentdeckt zu bleiben, vermutet man zumindest. Doch auf Tik Tok kursieren inzwischen selbstgedrehte Videos von Autoschmugglern: Fahrten über abgelegene Strecken des Altiplano inszeniert als Abenteuer, um Likes zu bekommen. Und wie sicher müssen sich die jungen Männer gefühlt haben, die Anfang Februar in Tik Tok mit Videos auf ihre illegalen Aktivitäten in den bolivianischen Tropen aufmerksam gemacht haben? Mit Smileys und dem – konsequenterweise – orthographisch falsch geschriebenen Hinweis, was man tun könne, wenn man die Prüfungen zur Universität vermasselt habe. Die Bilder zeigen, wie sie die Installationen einer Bananenplantage zum Transport der benötigten Chemikalien benutzen, wie sie mit ihren bloßen, muskulösen Oberkörpern mit Stangen in Plastiktonnen Koka und Chemikalien zu einer Masse anrühren. Man sieht, wie sie die Masse aus den Behältern schaufeln und anschließend – begleitet von Musik – mit tanzenden Schritten zum Trocknen ausbreiten, und wie die Produkte im Boot über einen Fluss transportiert werden. Dabei wird viel gelacht, es gibt die ein oder andere obszöne Geste und reichlich Alkoholkonsum. Ein weiteres Video zeigt die jungen Leute an ihrem freien Tag beim Biertrinken auf einer Fahrt im Geländewagen.

Vertreter der Föderation der Kokabauern in den Cochabambiner Tropen betonten, sie duldeten keine solchen Aktivitäten in ihrer Region, die Bilder könnten irgendwo im bolivianischen Tiefland entstanden sein und forderten die zuständigen Stellen auf, den Fall zu untersuchen.

Präsenz der internationalen Mafia

Kommentar auf Tik Tok: „Ich kann mit Euch arbeiten“, Internetaufnahme Red UNO

Doch der Tik Tok’er selbst zumindest behauptet, aus Shinahota zu sein. Was auch eine falsche Fährte sein kann. Dass es sich um einen Komplott der „Rechten“ mit gefälschten Nachrichten handeln würde, behauptet bislang jedoch niemand. Wie auch immer: Laut UNO landen 94% der Koka aus dem Chapare nicht auf dem legalen Markt. Trotzdem hat die bolivianische Regierung erst kürzlich die genehmigten Flächen für Anbau von Koka in der Region um mehrere Tausend Hektar erweitert. Und dass die Kokainfabrik von Tik Tok nicht im zentralen Siedlungsbereich liegt, sondern in einem der Territorien von Indigenen oder einem Naturschutzgebiet, die von den Kokaproduzenten immer weiter kolonisiert werden, wäre keine Überraschung.

Gewiss hat die Drogenmafia schon lange ihre Tentakel in die bolivianischen Einrichtungen zur Drogenbekämpfung ausgestreckt. So ist von den geforderten Untersuchungen nicht unbedingt viel zu erwarten. Vor Jahren beschuldigten Vizeminister Felipe Cáceres und der Chef der Drogenbekämpfungspolizei FELCN Máximiliano Dávila die Presse noch der Lüge, als diese über die Präsenz der internationalen Drogenmafia in Bolivien berichtet hatte. Die FELCN habe alles im Blick und unter Kontrolle, so Dávila damals in der Pressekonferenz.

Man habe alles unter Kontrolle und es gebe keine Drogenmafia in Bolivien: Maximiliano Dávila und Vizeminister Caceres bei einer früheren Pressekonferenz, Foto: Internet

Mit letzterem mag er, was ihn selbst betrifft, sogar Recht gehabt haben. Meist wurden Skandale erst aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen den Mafiagruppen oder innerfamiliärem Streit bekannt.

Dass der Polizeigeneral seit kurzem in Untersuchungshaft sitzt, ist auch nicht zuerst den bolivianischen Behörden zu verdanken, sondern der US-amerikanischen Drug Enforcement Agency DEA. Wie schon in ähnlichen Fällen wie dem des Polizeigenerals René Sanabria. Der war von der DEA selbst geschult worden und hatte zwischen 2007 und 2009 die bolivianische Antidrogenpolizei geleitet. Später wurde er im Ausland gefasst und in den USA wegen Drogenschmuggels zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt.

Die DEA und die „vollständige Souveranität“

Die DEA war bereits 2008 von Präsident Evo Morales aus dem Land geworfen worden. Doch allem Anschein nach hatte sie im jüngsten Fall einen verdeckten Ermittler ins Land geschickt, statt sich der „Nationalisierung“ der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels zu beugen, sprich der Forderung an das „Imperium“, sich in Bolivien nicht mehr einzumischen. Laut Tonaufnahmen, so die DEA, habe Dávila bewaffneten Begleitschutz für die Lieferung von Tonnen von Kokain versprochen.

Als Dávila in das Gefängnis San Pedro eingeliefert wurde, bezeichnete er den für die Polizei zuständigen bolivianischen Innenminister vor laufenden Kameras als „Kleinbürger“, der nur versuche, Evo Morales etwas anzuhängen. Tatsächlich hatten die Morales nahestehenden Organisationen zuvor Castillos Arbeit kritisiert und seinen Rücktritt gefordert.

Dabei wurde gegen Dávila von der bolivianischen Justiz nur eine Anklage wegen Geldwäsche erhoben, nicht wegen Drogenhandels, weswegen ihn die US-Justiz sucht. Eine Auslieferung von Dávila komme nicht in Frage, beeilten sich MAS-Abgeordnete und Senatspräsident Andrónico Rodríguez vom MAS zu betonen. „Warum sollte ein Landsmann im Ausland vor Gericht gestellt werden, wenn man das auch im eigenen Land tun kann?“, so Rodríguez. Bolivien sei vollständig souverän in der Drogenbekämpfung.

Irgendwo in den bolivianischen Tropen, Symbolfoto: Peter Strack

Verhandlungen hinter den Kulissen?

Dass der mutmaßliche Komplize Dávilas, und auf Wunsch der DEA in Panama inhaftierte ehemalige bolivianische Polizeioberst, Omar Rojas in die USA ausgeliefert wird, werden sie nicht verhindern können. Auch wenn sein Bruder zum Ende seiner Karriere als Generalinspektor das dritthöchste Amt in der bolivianischen Polizei inne hatte. Ob Rojas in den USA auch reden wird, ist eine andere Frage.

Vielleicht hat Arturo Murillo geredet? Gegen den bolivianischen Innenminister der Übergangsregierung aus dem Jahr 2020 läuft in den USA, in die Murillo geflohen ist, ein Verfahren wegen des Vorwurfs der Geldwäsche. Der starke Mann der Regierung Añez bestreitet die Vorwürfe. Frühere Mitarbeiter haben jedoch gestanden. Es geht um Korruptionsgelder aus Beschaffungen u.a. von Polizeimunition. Es heißt, dass vom Gericht ein Termin zu einer außergerichtlichen Einigung mit dem bolivianischen Staat angesetzt sei.

Die von der DEA untersuchten Vorgänge beträfen die Zeit der Übergangsregierung, versucht der Innenminister Eduardo del Castillo Kritik an ihm selbst, aber auch an der regierenden MAS abzuwehren. Dabei waren die Cochabambiner Tropen während der Zeit der Übergangsregierung über weite Strecken unregierbar. Polizeistationen wurden überfallen und ausgeraubt, den Polizeieinheiten war zeitweise der Zugang verwehrt.

Schwierige Beweislage?

Die DEA spricht ohnehin von dem Zeitraum ab Juli 2019. Das war einige Monate vor dem Rücktritt von Morales und dem Foto, auf dem Dávila mit dem „Genosse“ Präsidenten im Chapare, in Präsenz der Presse, Geburtstag gefeiert hatte: Die Torte mit emporgestreckter revolutionärer Faust.

Nichts für Kleinbürger: Geburtstagstorte mit emporgestreckter Faust, dritter von Links: Maximiliano Dávila, Foto: Internet

Schon früher hatte Morales bei ähnlichen Gelegenheiten darauf hingewiesen, er könne nicht alle die kennen, die sich ihm nähern oder ein Foto mit ihm haben wollen. Das ist richtig und es macht mafiöse Strukturen aus, dass sie versuchen, sich in den staatlichen Institutionen festzusetzen.

Dávila schien sich bei seiner Festnahme recht sicher gewesen zu sein, als er dem Innenminister und Polizeichef zurief „Wir werden noch sehen“. Sicherer anscheinend als die US-amerikanischen Behörden mit der Beweislage. Denn die haben 5 Millionen Dollar Belohnungen für Hinweise ausgelobt, die zu einer Verurteilung Dávilas beitragen würden. Richtig ist aber auch, dass Dávila unter der Morales-Regierung ins Amt gehievt, in der Übergangsregierung davon abgezogen und von dem aktuellen Präsidenten Luis Arce wieder mit einem hohen Amt betraut wurde, dem des Polizeichefs von Cochabamba. Und das, obwohl es schon früher Anzeigen gegen Dávila gegeben hatte, etwa wegen „volteo“ (Unterschlagung) von beschlagnahmtem Kokain oder Erpressung. Auch hatte er sich just zu dem Zeitpunkt in der nordbolivianischen Stadt Trinidad in der Nähe des Flughafens aufgehalten, als dort große Mengen Kokain umgeladen wurden. Die Anzeigen gegen Dávila waren jedoch im Sande verlaufen.

Aber zum Thema Justiz siehe dieser oder dieser frühere Beitrag und auch die übernächste Folge der kleinen Reihe „Die Welt steht Kopf“ auf latinorama.

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https://blogs.taz.de/latinorama/kokainproduktion-auf-tik-tok/

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