vonPeter Strack 06.03.2024

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Der bolivianische Präsident Luis Arce Catacora ist derzeit relativ  schweigsam. Sein Ansehen beruht auf seinem ökonomischen Sachverstand. Doch die Wirtschaft läuft alles andere als rund. Aber weil die politische Basis wegbricht und Präsident Arce nach der Abspaltung der Gefolgschaft von Evo Morales auch im Parlament die Mehrheit verloren hat, greift Arce auf die Gerichte, Verfahrenstricks und sogar Einsätze eines gewalttätigen Mobs gegen Abgeordnete zurück, um sich durchzusetzen. Und trägt damit zur Zerstörung der demokratischen Institutionalität bei.

In diesem Beitrag von Ende 2023 auf Latinorama hatten wir auf die wachsende kriminelle und Schattenwirtschaft, das staatliche Haushaltsdefizit, die steigende Auslandsverschuldung und die Devisenknappheit als wirtschaftliche Hauptprobleme Boliviens hingewiesen, ebenso auf die Notwendigkeit von fiskalpolitischen Kurskorrekturen.

Maßnahmenpaket gegen Devisenmangel

Nun hat Arce seiner Regierung und den Privatunternehmen etwas Luft bei der Frage des Devisenmangels verschafft: Dies mit der Auflage eines staatlichen Anleihepaketes mit durchaus attraktiven Zinsen und Verzicht auf die Transaktionssteuerabgaben, mit der Vereinbarung zum direkten Handel mit China in Yuan statt US-Dollar über die staatliche Banco Unión, mit der Aufhebung von Exportbeschränkungen für die Agroindustrie sowie der Auflösung des Monopols der staatlichen YPFB für den Import von Treibstoffen. Letzteres mag mit der Möglichkeit des direkten Ankaufs durch Privatunternehmen im Ausland zwar die Verdienstspannen der bisherigen Zwischenhändler schmälern, es hat aber vor allem den Vorteil, dass diese Importe nicht mehr subventioniert werden und damit den Staatshaushalt entlastet wird.

Der Extraktivismus verschärft die Klimakrise

Einen Dämpfer gab es jedoch gleich von den Sojaproduzenten. Die erwarten wegen Überschwemmungen und Dürre eine in diesem Jahr um 600.000 Tonnen verringerte Ernte. Das bedeutet über sechs Millionen USD weniger an Devisen. Zum Vergleich: Die Summe der ausgegebenen Staatsanleihen lag nach der ersten Woche bei 1,6 Million USD.

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Die müssen allerdings zum größeren Teil aufgrund kurzer Laufzeiten noch innerhalb diesen Jahres zurückgezahlt werden. Es sind Maßnahmen, die Liquiditätsprobleme lindern, aber nicht die strukturellen Ursachen der Probleme beheben.

Überschwemmung in Cobija, Foto: José Luis Castro/FAUTAPO

Die Wetterextreme haben zu Jahresbeginn auch dafür gesorgt, dass 36.000 Familien wegen Überschwemmungen Hab und Gut, manche gar ihre Häuser verloren haben. 43 Menschen sind gestorben. Und während Präsident Arce jüngst auf internationaler Bühne beklagte, die Staaten des Nordens würden die Klimakrise nicht ausreichend ernst nehmen, weisen Kritiker*innen zu Hause auf die Zerstörung der Regenwälder für den Goldbergbau und Arces Politik Ausweitung der Anbauflächen für den Export hin. (Hier eine jüngste Video-Dokumentation der Stiftung Tierra und der Zeitschrift Nómadas zur Klimakrise in Santa Cruz ). Allein in der Stadt Cobija im Norden an der brasilianischen Grenze, die um die 65.000 Einwohner*innen zählt, mussten jüngst über 1100 Familien wegen der Fluten ihre Häuser verlassen.

Neue Kredite für Zugeständnisse bei der Kontrolle über die Justiz

Anfang Februar hatten wir auf Latinorama von dem politischen Kuhhandel zwischen dem größten Teil der Opposition und der Regierung berichtet, mit der Straßenblockaden beendet wurden, die zwei Wochen lang das Land lahm gelegt hatten. Für die Genehmigung neuer Kredite wollte die Regierung Neuwahlen für die obersten Gerichte und die Nichtverlängerung der Amtszeit der derzeitigen Amtsträger akzeptieren. Doch auf deren Gefälligkeitsurteile scheint Präsident Arce derzeit angewiesen zu sein, um seinen innerparteilichen Konkurrenten Evo Morales im Kampf um die Kandidatur für die nächsten Wahlen auszuschalten. Denn die aktuellen Probleme wurden zwar schon in damaliger Zeit angelegt. Doch Morales preist jene als die Zeiten des Wirtschaftswunders. Arce sei damals keineswegs dessen Architekt gewesen, wie Morales selbst früher gern behauptet hatte, sondern nur der Kassenwart. Und wer jetzt Präsident Luis Arce unterstütze, der als Bettler um Kredite auftrete, fördere nur die Korruption. Die Regierung betont dagegen, die beantragten Kredite würden benötigt, um die Produktion anzukurbeln. Doch was haben da überteuerte Beratungsaufträge zu suchen? Oder auch ein COVID-Sonderfonds, den man 2020 während der COVID-Pandemie der damaligen Übergangsregierung verweigert hat? Die Erweiterung des Seilbahnsystems von La Paz in das Randviertel von Pampahasi ist sicher sinnvoll, Gewinne werden damit aber nicht erzielt werden, wenn es gut geht die Refinanzierung des laufenden Betriebs.

Kreditfinanziert und wenig genutzt: Station der neuen Stadtbahn in Cochabamba an einem gewöhnlichen Werktag. Foto: P.Strack

„Warum lehnen wir die Kredite ab?“, fragt die indigene Oppositionsabgeordnete Toribia Lero: Weil sie mit der weiteren Zerstörung der Natur und der indigenen Territorien bezahlt würden. Die Senatorin Andrea Barrientos, ebenfalls von Comunidad Ciudadana, fragt zudem, warum neue Kredite beantragt werden, obwohl die vier Milliarden Auslandskredite, die die Regierung Arce in den letzten Jahren genehmigt bekommen hat, bei weitem noch nicht ausgeschöpft sind. Wohl deshalb, weil die bereits überwiesenen 2,3 Milliarden noch nicht, oder nicht für den beantragten Zweck ausgegeben wurden und deshalb keine neuen Tranchen überwiesen werden.

Gewalttätiger Streit um die Tagesordnung im Parlament

Und weil keine der Fraktionen der anderen traut, eskalierte im bolivianischen Parlament der Streit um die Tagungsordnung. Die Anhänger des von Liquiditätsproblemen geplagten Präsidenten Arce bestanden darauf, dass zunächst die neuen Kredite verabschiedet werden müssten. Die Anhänger von Evo Morales und der Oppositionsparteien wollten erst die beiden Gesetze verabschieden, die das Dienstende der obersten Richter und die Übergangszeit bis zu den Neuwahlen regeln sollten. Da der Arce nahestehende Sitzungspräsident nicht über die Änderung der Tagesordnung und zunächst nur die Kredite abstimmen lassen wollte, wurde tage- und nächtelang lang das Podium besetzt. Es kam zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Die Fraktion von Präsident Arce mobilisierte Anhängerschaft aus El Alto. Die drangen ins Parlament ein, versuchten die Abgeordneten mit lautstarken Parolen einzuschüchtern, versperrten die Zugänge zum Plenarsaal und den Büros und selbst die Notausgänge. Der Innenminister und oberste Befehlshaber der Polizei erklärte sich für nicht zuständig. Der Parlamentspräsident war nicht bereit, gegen den Mob vorzugehen, der über offizielle Einladungen seiner Fraktion verfügte.

Vor dem alten Parlamentseingang (links) an der Plaza Murillo, Foto: P.Strack

Korruption und Willkür

Die gewaltbereite, aber mit wenig Rechtsbewusstsein ausgestattete Truppe verhalf ihm schließlich, die Oppositionellen vom Podium zu holen und die Sitzung fortzusetzen. Gleich der erste Kredit wurde dann allerdings per Stimmengleichstand abgelehnt. So ordnete der Sitzungspräsident einfach neue, diesmal geheime Abstimmungen an. Mit denen erreichte die Regierung schließlich die Mehrheit für 800 Millionen USD neue Kredite durch das Unterhaus, um erntete umgehend Vorwürfe von Geldkoffern oder anderen Zugeständnissen.

Um das Maß voll zu machen, beendete der Versammlungsleiter Israel Huaytari die mehrere Tage andauernde Sitzung dann, bevor die letzten beiden Gesetzentwürfe der Tagesordnung behandelt wurden: Die zu den obersten Richterinnen und Richtern. Sein Argument: Das Parlament habe die zeitlichen Fristen nicht gewahrt und sei nicht mehr zuständig. Darauf habe ihn der Präsident des Senates Andrónico Rodríguez hingewiesen. Der ist Mitglied der Kokabauernorganisation des Chapare und steht Evo Morales nahe und ließ Huaytaris Interpretation entsprechend gleich dementieren. Zumal das oberste Gericht ihm im Dezember verboten hatte, Aktivitäten des Parlamentes fortzusetzen. Das hatte der Vizepräsident David Choquehuanca gegen die Stimmenmehrheit der Abgeordneten damals in Zwangsurlaub geschickt, um die Behandlung dieser Gesetzentwürfe zu verhindern.

Das Parlament geschwächt, der Konflikt geht weiter

Mehr noch, statt nun den Senat einzuberufen, der die neuen Kredite ebenfalls genehmigen muss, forderte Rodríguez das Unterhaus auf, zuerst die Unregelmäßigkeiten bei der Verabschiedung der Kreditgesetze zu klären. Dazu gehörten die elektronische Annullierung der Ausweise von Oppositionellen und verschlossene Türen, um ihnen den Zutritt zum Parlament zu erschweren und vor allem die physische Gewalt gegen die und unter den Anwesenden (siehe diese Videoaufnahme).

Verletzungen statt politische Lösungen, Foto: Privat

Eine Abgeordnete wurde von der Gerichtsmedizin für eine Woche arbeitsunfähig geschrieben. Eine andere, Luciana Campero (siehe das frühere Interview auf Latinorama) wurde erst mit einem Stuhlbein malträtiert. Dann trat eine Abgeordnete der Arce-Fraktion so sehr auf den Fuß der ohnehin vor Schmerzen schreienden Campero, dass nun die Bänder verletzt sind und das Gelenk fixiert werden musste. Nicht nur Campero spricht von diktatorischen Methoden und einer Entmachtung des Parlaments durch die Regierung. In den 1990er Jahren wurde die Frage der Legimität der Forderungen der Kreditgeber aus den voangegangenen  Zeiten der Militärdiktaturen und ihre Mitverantwortung bei der Vergabe diskutiert. Wie es mit den Neukrediten weiter geht, ist derweil ebenso offen wie der interne Machtkampf zwischen Präsident Arce und Parteichef Morales in der MAS.

 

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