vonGerhard Dilger 06.06.2015

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Von Martin Ling

Die Buchmacher und die sogenannten Fußballexperten sind sich einig: Der Favorit im Champions-League-Finale heißt FC Barcelona. Einer, der diese Favoritenrolle nicht teilt, ist Barças Trainer Luis Enrique aus Erfahrung: Fünf Mal trat er gegen Juventus Turin an, zwei Mal als Spieler des FC Barcelona und drei Mal als Trainer des AS Rom – mehr als zwei Unentschieden sprangen dabei nicht heraus.
»Wer der wahre Favorit ist«, wird sich erst im Spiel im Berliner Olympiastadion zeigen. Solche relativierenden Allgemeinplätze sind bei Pressekonferenzen des Asturiers, der von 1996 bis 2004 als Spieler für den Verein auflief, durchaus üblich. Für Unterhaltung jenseits des Spielfeldes zu sorgen, ist Enriques Anliegen nicht. Er lässt sich weder in die Karten und schon gar nicht in seinen Gemütszustand schauen. Abfällige Gesten von Starspielern wie Neymar nach Auswechslungen ließ er auch bei Nachfragen unkommentiert, nicht jedoch dessen missglücktes Kunststückchen kurz vor Schluss beim zu diesem Zeitpunkt längst entschiedenen Pokalfinale am vergangenen Wochenende gegen Athletic Bilbao.

Der Brasilianer provozierte die gegnerische Mannschaft damit zu wütenden Reaktionen, die fast in eine Schlägerei gemündet wären wie einst 1984 als Diego Maradona nach der Pokalfinalniederlage gegen Bilbao seine beachtlichen Karatekünste demonstrierte. Luis Enrique zeigte kein Verständnis für Neymar: »Ich hätte genauso oder schlimmer reagiert«, verteidigte er die baskischen Spieler. Neymar reagierte auf Enriques Aussage nur indirekt: »Warum die anderen Spieler sauer wurden, verstehe ich nicht. Ich habe ein normales Dribbling gemacht, so wie ich immer spiele. Ich werde mich nicht ändern.«

Das Verhältnis von Luis Enrique zu seinem sagenhaften lateinamerikanischen Angriffstrio Lionel Messi, Luis Suárez und Neymar (MSN) hat die gesamte Saison immer wieder für Schlagzeilen in den Medien gesorgt, von der These der autonomen Selbstverwaltung dieses Mannschaftsteils bis hin zu Mutmaßungen von einem kompletten Zerwürfnis mit Superstar Messi Anfang Januar, als der zwei Tage nach einem Langstreckenflug bereits wieder von Anfang an spielen wollte. Enrique setzte ihn wie den ebenfalls erst mit Sondererlaubnis nach Silvester heimgekehrten Neymar auf die Bank, der nach dem frühen Gegentor feixend Messi bedeutete, sich warm zu machen.

Ein Affront, den Enrique genauso ignorierte wie die Kritik der Medien an seiner exzessiven Spielerrotation, wenn sie wie bei den Heimspielen gegen Málaga und Celta Vigo oder in San Sebastían 0:1-Niederlagen nach sich zog. Alle Mannschaften setzten dabei auf die Taktik, die auch Juventus anwenden dürfte: hinten einigeln, die Räume für das für 120 Saisontore verantwortliche Sturmtrio MSN so eng wie irgend möglich machen und dann den einen oder anderen Nadelstich zu setzen.

In den letzten Wochen dieser Spielzeit war MSN nicht zu stoppen, was auch immer die gegnerischen Trainer von Bayerns Pep Guardiola angefangen ertüftelten. Mindestens einer traf immer und noch nie war eine Barça-Mannschaft so abhängig von einem Trio: 25 der 28 Tore in der Königsklasse gehen auf ihr Konto, davon alle fünf gegen die Bayern im Halbfinale. Messi sieht die Angriffsreihe als die beste, in der er je gespielt hat: »Ich habe mit großartigen Stürmern zusammengespielt. Ich konnte eine tolle Partnerschaft mit Ronaldinho genießen. Da waren auch noch Samuel Eto’o, Thierry Henry, Pedro, David Villa oder Alexis. Es ist aber schwer, eine Aufstellung zusammen mit Neymar und Suárez zu übertreffen.«

Und hinzu kommt: Das Trio versteht sich auch neben dem Platz, der Uruguayer Luis Suárez trifft sich mit Messi und dessen argentinischem Landsmann Javier Mascherano regelmäßig vor dem Training zum gemeinsamen Matetee-Trinken und Neymar, dessen Ankunft 2013 Messi argwöhnisch beobachtete, ordnet sich selbstverständlich hinter dem argentinischen Zauberfloh ein: »Ich lerne viel von ihm, auf und neben dem Platz«, erklärte Neymar nach einem Spiel, indem Messi ihm einen Elfmeter überließ, obwohl er einen Hattrick hätte erzielen können und gegen Ronaldo im Wettstreit um die Torjägerkrone lag: »Das ist ein Detail, das ich niemals vergessen werde«, schwärmte Neymar von seinem Freund Messi (Foto oben: 2011).

So entspannt wie das Verhältnis von Messi zu seinen Sturmkollegen, ist das zu Enrique sicher nicht, doch die Ungereimtheiten scheinen aus dem Weg geräumt. Kurze Umarmungen in Sichtweite der Kameras und sogar ein Spruch hinter vorgehaltener Hand von Enrique zu Messi am Spielfeldrand, der diesen zum Lächeln brachte, sind für die katalanischen Medien eindeutige und in aller Breite dokumentierte Beweise, dass in »Can  Barça« der Hausfriede wieder hergestellt ist. Fern scheint die Zeit, als von der für das Saisonende fest eingeplanten Entlassung Enriques zu lesen war, weil Messi angeblich dem Präsidenten Josep Bartomeu ein »Er oder ich« anheim gestellt hatte. Fünf Monate danach steht Barça vor dem Triple. Luis Enrique hat noch ein Jahr Vertrag. Ob er weiter macht, wollte er bisher dennoch nicht sagen. Vielleicht in Berlin.

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