2017 waren es 59.128 Menschen, die in Brasilien ermordet wurden. 2018 wurden 51.558 Menschen ermordet. 2019 waren es 41.726 Menschen. Dabei sind rund 75 Prozent der Opfer Schwarz. 2018 wurden 5.716 Menschen durch die Polizei erschossen. 2019 waren es 5.804 Menschen. Die Polizei Brasiliens gehört damit zu den tödlichsten der Welt.
Die Waffen des Todes durch brasilianische Polizeikräfte werden vorrangig von einem Waffenhersteller produziert: Es gibt zwar unter den halbautomatischen Waffen, die die Militärpolizeien Brasiliens nutzen, auch Heckler&Koch und andere Fabrikate ausländischer-internationaler Hersteller, aber die Mehrzahl der von brasilianischen Polizist:innen eingesetzten Waffen stammen von der brasilianischen Aktiengesellschaft CBC/Taurus.
Dies hängt damit zusammen, dass die Gesetzeslage in Brasilien der nationalen Waffenindustrie de facto ein Monopol zugesteht. Zwar können Glocks, Heckler & Kochs, Sig Sauers et al aus aller Welt importiert werden, diese Importe werden allerdings solange mit Zöllen von bis zu 73 Prozent belegt, wie es in der gleichen Kaliberart in Brasilien einen einheimischen Produzenten gibt. Dies war von der Regierung Lula im Jahr 2004 im Rahmen des Status zur Entwaffnung so festgeschrieben worden. Und diese Rolle übt CBC/Taurus bis heute aus.
.Auch wenn die Produktion etlicher Kaliber eher Verluste einbringt, so erhält CBC/Taurus sein Quasimonopol. Die Tageszeitung Folha de São Paulo sieht CBC/Taurus deshalb auch als „nahezu einzigen Produzenten von Waffen für Zivile und Militärs im Land“. In den Produktionslinien bei CBC/Taurus werden 14 unterschiedliche Kaliber hergestellt, rund 4.000 Waffen am Tag, 120.000 im Monat oder 1,4 Millionen im Jahr. 88 Prozent dieser Waffen werden ins Ausland exportiert, aber rund 170.000 werden jedes Jahr in Brasilien verkauft, Großabnehmer dabei: Das brasilianische Heer und die Militärpolizeien der Bundesländer.
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Waffengesetze in Brasilien nicht nur liberalisieren und flexibilisieren will, nicht nur die Militärpolizei mit mehr und besseren Waffen ausstatten will, nein, er hat mehrmals auch öffentlich erklärt, dass sich auch Privatleute leichter und mehr mit Waffen müssten ausrüsten dürfen.
Für Menschenrechtsaktivist:innen in Brasilien ist dies eine Horrorvorstellung. Die steigenden Tötungszahlen durch Polizist:innen in Brasiliens Vorstädten und Favelas zeigen sich vor allem dort, wo meist arme, junge Schwarze wohnen und diese zahlenmäßig deutlichst zu den Opfern der Polizeigewalt gehören. Auch dort, wo die Mafiamilizen – meist selbst (Ex-)Polizist:innen – ganze Territorien beherrschen, durch Einschüchterung, Erpressung, Schutzgeld und illegale, aber umso wirtschaftlich lukrativere Tätigkeiten ausüben, sich bereichern und mit dem Leben all diejenigen bedrohen, die nicht spuren und sich nicht der De-Facto-Territorialherrschaft der Mafiamilizen unterwerfen, auch dort herrscht das Recht derjenigen, die Waffen haben.
Eine Reportage der Tageszeitung Estado de São Paulo vom 10. Mai dieses Jahres legte offen, wie „die Veruntreuung von Waffen und Munition aus den Kasernen von Polizei und Heer hin zu den kriminellen Banden, zu den Schießklubs und Milizen zur Routine wurde“. Die Drogenkonglomerate verfügen ebenfalls über ein großes Arsenal. Auch auf dem Land zeigt sich die steigende Zahl von bewaffneten Bedrohungen und Morden in Brasilien, ausgeübt von Großgrundbesitzer:innen und deren gedungenen Pistoleiros, wo lokale comunidades der Profitgier der agroindustriellen Latifundien im Wege stehen und denen durch Einschüchterung, Bedrohung oder gezielten Mord das Territorium geraubt werden soll.
So löst all dort die zunehmende Bewaffnung und Aufrüstung von Polizei und Pistoleiros, von Mafia und Miliz die Angst aus, dass es zu einer noch massiv weiter gesteigerten Gewaltexplosion kommen könnte. Nicht umsonst sprechen Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro und seine politisch einflussreichen Söhne unverhohlen von Putsch, Diktatur, Gemetzel und Bürgerkrieg.
Was steckt hinter den Plänen Eduardo Bolsonaros, Sis Sauer auch nach Brasilien zu holen? Eduardo Bolsonaro lichtet sich oft und gerne mit einem T-Shirt ab, das das Konterfei des bekanntesten und grausamsten Folterers der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) trägt, Carlos Alberto Brilhante Ustra, Leiter des Folterzentrums DOI-CODI in der Rua Tutóia, im Stadtteil Paraíso („Paradies“) in São Paulo.
2016 posierte Eduardo Bolsonaro zusammen mit seinem damaligen Politfreund, dem Senator Major Olímpio, ebenfalls bekennender Waffennarr, aber zum Leidwesen Eduardos heute persönlicher Intimfeind des Bolsonaro-Clans, lächelnd und martialisch vor den Kameras des brasilianischen Nationalkongresses. Damals, im Jahr 2016 hatten sie noch gemeinsame Interessen und forderten neben der Liberalisierung der Waffenimporte auch eine parlamentarische Untersuchungskommission zu möglichen Materialdefekten beim brasilianischen Waffenhersteller Nummer 1, CBC/Taurus.
Taurus erkannte früh die Gefahr, die ihrem Monopol durch die einflussreichen Bolsonaro-Söhne droht und hat seinerseits seit Jahren auch vorgesorgt. Gezielte Wahlkampfspenden sollen dabei die spätere Loyalität der Politiker:innen zusichern. Bei einem Politiker haben sie einen eigentlich ziemlich guten Treffer geleistet: In den vergangenen drei Wahlkämpfen, so berichtet die Zeitschrift Época, hatte Taurus dem Politiker Onyx Lorenzoni insgesamt 310.000 Reais an Wahlkampfspenden zukommen lassen.
Lorenzoni ist heute mächtiger Strippenzieher des Präsidialamts von Bolsonaro. Als die Wahl Bolsonaros sich klar abzeichnete, explodierten die Börsenkurse von Taurus nachgerade, lag der Börsenkurs Ende August 2018 noch bei 2 Reais, so stieg dieser bis Ende Oktober 2018 auf 9,70 Reais, da die Anleger:innen von Bolsonaros Waffenliberalisierungsplänen einen Boom bei Taurus erwarteten.
Doch die Meldungen über Marktöffnungen auch für ausländische Waffenhersteller haben dem Kurs von Taurus wieder zugesetzt, so dass der mittlerweile, Stand Juni 2020, wieder bei knapp über 5 Reais für eine Taurus-Aktie liegt. Dazu hat auch Eduardo Bolsonaro beigetragen.
Angesichts seiner erklärten Verherrlichung von Folter und Militärdiktatur, Putsch und Waffen, muss gefragt werden, was ist Eduardo Bolsonaros Interesse? „Ich betone noch einmal meinen Wunsch, den nationalen Markt im Sinne freien Wettbewerbs und für die Verbesserung der Produkte unserer Konsumenten zu öffnen“, erklärte Eduardo Bolsonaro bereits 2016. Dies ist nach wie vor sein erklärter Wunsch.
Fragt sich nur, wer sind denn die Konsument:innen und: Um welchen freien Wettbewerb – etwa den des Schießens und Tötens? – geht es denn? Eduardo Bolsonaro jedenfalls, der waffenliebende Präsidentenspross, posiert im Internet gerne mit seiner vergoldeten, aus Österreich stammenden Glock 19, Kaliber 9 Millimeter. Der entsprechende Post erzielte über 5.500 Likes, wie die Zeitschrift Época seinerzeit zu berichten wusste.
Aber auch Sig Sauer hat es ihm eben angetan. Laut Folha de São Paulo werde Eduardo Bolsonaro als „eine Art Propaganda-Boy von Sig [Sauer] angesehen“. Eduardo Bolsonaros Einsatz für die deutsche Waffenschmiede schuf sogar bei einigen, namentlich nicht genannten Vertreter:innen des brasilianischen Militärs für Unbehagen, hatte doch Präsident Jair Bolsonaro erst vor kurzem in dem vom Obersten Gerichtshof freigegebenen Video der mittlerweile berühmt-berüchtigten Kabinettssitzung vom 22. April erklärt, er wünsche sich „ein bewaffnetes Volk, denn dieses würde nie versklavt werden“ und unterzeichnete im April dieses Jahres ein Dekret, dass die zulässige Menge an Munition, die jede:r Bürger:in erwerben dürfe, hochsetzt und gleichzeitig die Rückverfolgung von aus Kasernen verschwundenen Waffen und Munition deutlich erschwert.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die große bürgerliche Tageszeitung Folha de São Paulo konstatierte: „Bolsonaro will uns bewaffnet – und tot“. Sein Sohn Eduardo postet derweil weiterhin, fröhlich grinsend, Fotos von sich mit Waffen von Glock und Sig Sauer. Laut Folha de São Paulo sagte Eduardo Bolsonaro im Januar dieses Jahres, er sei von Sig Sauer kontaktiert worden und er gehe davon aus, dass es weitere ausländische Waffenhersteller gebe, die ein Interesse daran hätten, sich im brasilianischen Markt festzusetzen.
Die Lobbyarbeit von CBC/Taurus mit Blick auf den Präsidialamtsminister Onyx Lorenzoni scheint also nicht hinreichend gewesen zu sein: Die anderen Kapitalfraktionen der Waffenhersteller scheinen den internen Interessensmachtkampf in Brasiliens Regierung um die Frage, wer die Marktanteile an Brasiliens Todesmaschinerien gewinnt, verloren zu haben. Eduardo Bolsonaro selbst erwähnte auch die italienische Beretta, passenderweise heißt Eduardo Bolsonaros Haushündin „Beretta“.
In solch einer brisanten Situation schickt sich – laut einer Pressemeldung der Folha de São Paulo vom 8. Juni – der deutsche Kleinwaffenhersteller Sig Sauer nun an, auf Drängen und eifriger Lobbyarbeit eben des Präsidentensohnes Eduardo Bolsonaro in Brasilien eine Joint-Venture-Waffenfabrik zu eröffnen. Laut Folha de São Paulo werde derzeit von Eduardo Bolsonaro, selbst Senator für den Bundesstaat Rio de Janeiro im brasilianischen Nationalkongress, eine Partnerschaft zwischen der amerikanischen Tochtergesellschaft von Sig Sauer und dem brasilianischen Waffenhersteller Imbel ausgehandelt.
Imbel ist ein staatliches Unternehmen, das dem Oberkommando des brasilianischen Heeres unterstellt ist. Es stellt Munition, Gewehre und Pistolen her. Im Jahr 2019 subventionierte der brasiliansche Staat Imbel laut Folha de São Paulo mit 152,2 Millionen Reais (damals umgerechnet rund 35 Millionen Euro), um den Betrieb im Jahr 2019 fortzusetzen. Laut dem Medienbericht der Folha stehe die Entscheidung über das Jointventure von Sig Sauer und Imbel kurz bevor, es bedürfte nur noch der Zustimmung der „jeweiligen Regierungen, um ein Abkommen über die gemeinsame Produktion in Brasilien zu unterzeichnen“.
Fragt sich, welche Regierungen? Nur die Brasiliens, die der USA oder auch die der Bundesrepublik Deutschland? Immerhin stammt die Ursprungstechnologie der Kleinkaliberwaffen aus Deutschland.
Vor dem Hintergrund der Meldungen der vergangenen Tage, hierzulande in der Bundesrepublik Deutschland, die deutsche Firma Sig Sauer werde gegen Ende dieses Jahres ihr Traditionswerk Werk in Eckernförde schließen, 125 Mitarbeiter:innen entlassen und die Firmenproduktion hauptsächlich im Werk in Newington im US-Bundesstaat Connecticut und zum geringeren Teil im Werk in der Schweiz fortsetzen, so bedeutete dies, dass Sig Sauer der bundesdeutschen Waffenexportkontrolle in Zukunft entkäme.
Ein große deutsche Tageszeitung umschrieb dies vor wenigen Tagen schlicht: „Damit verpuffen die deutschen Waffenexportverbote“. Bliebe die Frage, ob der Umzug der deutschen Firma, mit Know How und Produktionskapazität, was nun eventuell auch eine neue Zweigstelle in Brasilien bedeutet, dort, wo Polizei und mit der Polizei eng verbandelte Mafiamilizen eine Nekropolitik gegen arme, junge Schwarze betreiben, ob dies nicht von der Deutschen Bundesregierung dringendst auf Rechtmäßigkeit geprüft werden müsste.
Sig Sauer, bisher einer der Großlieferanten der Deutschen Bundeswehr, ist Menschenrechtsaktivist:innen hierzulande – neben Heckler&Koch – schon seit Langem ein Dorn im Auge. Dies sahen dann im April 2019 dann auch bundesdeutsche Gerichte endlich ein und verurteilten drei Sig-Sauer-Manager, darunter einen der Miteigentümer, vor einer Wirtschaftsstrafkammer zu Bewährungs- und Geldstrafen in Millionenhöhe.
Die Firma hatte zwischen 2009 und 2011 47.000 Pistolen vom Typ SP 2022 in die USA geliefert, wofür sie eine Ausfuhrgenehmigung durch die Bundesregierung erhielt. Von dort aber wurden mehr als 38.000 Pistolen illegal nach Kolumbien weiterverkauft, für rund 14 Millionen Euro.
Und nun stehen Expansionspläne in Brasilien an, dem Land der tödlichen Polizeigewalt.
[…] 2017 waren es 59.128 Menschen, die in Brasilien ermordet wurden. 2018 wurden 51.558 Menschen ermordet. 2019 waren es 41.726 Menschen. Dabei sind rund 75 Prozent der Opfer Schwarz. 2018 wurden 5.716 Menschen durch die Polizei erschossen. 2019 waren es 5.804 Menschen. Die Polizei Brasiliens gehört damit zu den tödlichsten der Welt. […]