Von Karen Gil/ La Brava
Wenn die Präsidenten der Anrainerstaaten sich am 8 und 9. August zum Amazonasgipfel im brasilianischen Belém do Pará treffen, um den Vereinbarungen des Amazonaskooperationsvertrages von 1978 Geltung zu verschaffen, wird der bolivianische Präsident Luis Arce Catacora wenig zum Schutz dieser grünen Lunge vorzuweisen haben. Waldbrände greifen um sich, Landbesetzer dringen in indigene Territorien ein, Bäume werden für die Agroexportwirtschaft abgeholzt und die Goldproduktion zerstört nicht nur die Natur, sondern vergiftet auch die dort ansässige Bevölkerung. So wie es in der strengen Schutzzone des Madidi-Nationalparks – einer der Weltregionen mit der höchsten Artenvielfalt – mit dem Wohlwollen der bolivianischen Regierung geschieht. Dafür hat die Nationalparkbehörde SERNAP im Jahr 2014 sogar den Nutzungsplan geändert. Und daran konnte auch das von der Bundesregierung mit jährlich einer Million Euro geförderte Projekt zur Erhaltung des Madidi bislang nichts ändern. Mindestens 11 Bergwerksunternehmen operieren deshalb mitten im Herzen des Nationalparks. Die meisten bauen ohne jede Beschränkung Straßen, die sie dann selbst mit Sperren kontrollieren. Selbst den Parkwächtern wird der Zugang zum Schutzgebiet verwehrt. Das Team von La Brava hat neun dieser Straßensperren entdeckt. Die Nationalparkbehörde hat ein paar Bußgelder verhängt, aber auf spürbare Sanktionen verzichtet. Und obwohl das oberste Agrargericht einen Stopp der Bergwerksaktivitäten im Madidi angeordnet hat, wurden auch noch einen Monat nach dem Urteil neue Maschinen in die Region gebracht.
Von der Durchfahrt von Limón aus, einem von Bergarbeitern illegal erschlossenen Wegs innerhalb des integrierten Nutzungsgebietes (ANMI) des Madidi, kann man über dem Tuichi-Fluss die Bergbauaktivitäten der Kooperative „3 de Mayo“ erkennen. Aufgrund der Entfernung und dem dichten Baumbestand ist von hieraus nur dieser Goldbergbau zu sehen, der mit schwerem Gerät den Wald am Flussbett entlang gerodet hat. Mit einer Drohne konnte das Team von La Brava aber auch weitere Goldbergbaustätten entdecken. Eine liegt Richtung Nordwesten direkt gegenüber, bereits im streng geschützten Nationalpark. Auch dorthin führt eine breite Wegschneise.
Zu den Goldabbaustätten im Madidi-Nationalpark im Landkreis Apolo zu kommen, ist praktisch nicht möglich. Die Bergarbeiter vertrauen keinen Fremden und haben zudem Wegschranken errichtet. Die Parkwächter berichten, dass nicht einmal die staatlichen Autoritäten ihre Kontrollen im Nationalpark durchführen können und deshalb auch nicht wissen, was im Kerngebiet geschieht. Wir hatten dieses Mal jedoch Glück: Die Schranke an der Durchfahrt von Limón war offen und niemand bewachte sie. So konnten wir uns der Route zur Gemeinde Azariamas nähern.
Die streng geschütze Zone gehört zu den artenreichsten der Welt, oder wie es im Nutzungsplan von 2006 heißt, eine „hervorragend erhaltene Zone, die frei von relevanten menschlichen Aktivitäten oder extern eingeführten Organismen ist“. Dort sind nur wenige Aktivitäten erlaubt.
Dort leben die meisten der 1560 Tierarten des Naturschutzgebietes, 24 davon kommen nur dort vor, wie es in den Informationen des Projektes zur Erhaltung des Madidi heißt. Es ist eine Schlüsselregion für die Artenvielfalt und wurde von der UNESCO zum Welterbe erklärt.
Die von der Drohne gefilmte illegale und weitere Bergwerksaktivitäten befinden sich inmitten dieser früher unberührten Natur. Das Team von La Brava hat elf der 32 Goldbergwerke identifizieren können, von der die Nationalparkbehörde spricht. Alle wären illegal, wenn die bolivianische Regierung unter Präsident Evo Morales im Jahr 2014 nicht den Nutzungsplan des integrierten und Nationalparks Madidi verändert hätte.
Die Folgen waren ab dem Jahr 2020 zu erkennen: Schwere Maschinen entwurzelten Bäume, legten Straßen an und bewegten Erdmassen, die am Ende im Tuichi-, dem Mojos-, dem Motosolo- und dem Amantala-Fluss abgeladen wurde. Dies zeigen Videoaufnahmen von vor zwei Jahren in Santa Clara, wo die Kooperative „Dos Amigos“ der Natur seitdem keine Ruhe mehr gelassen hat.
Der Druck der Bergwerksunternehmen und die Veränderungen der Nutzungspläne
Alle zehn Jahre sollen die Nutzungspläne von der Naturparkbehörde angepasst werden. Doch gegen die Veränderung von 2014 wurde Kritik laut, weil Bergwerksunternehmen Druck ausgeübt hatten, um mit dem Goldbergbau in den Madidi-Park eindringen zu können. Ihr Argument: Dort lebten bereits Menschen. Schon 2006 waren extraktive Tätigkeiten für Quechua-Gemeinden genehmigt worden, die sich dort angesiedelt hatten, bevor die Region zum Naturschutzgebiet erklärt worden war.
Mit den Anpassungen von 2014 wurde die „unberührbare Zone“ (in der Grafik rosarot gekennzeichnet) weiter zerstückelt. Viele Landstücke wurden zur Nutzung natürlicher oder zur intensiven extraktiven Nutzung von Ressourcen freigegeben (in der Grafik grün). Auch wurden sogenannte Pufferzonen um das Kerngebiet herum geschaffen. Damit wurde auch die Zone, in der die chinesische Firma COMABOL Bergbau betrieb für die „Nutzung der natürlichen Ressourcen“ freigegeben und damit deren Aktivitäten dort legalisiert.
“Die Einteilung geschah nach dem Geschmack und den Vorgaben der Bergleute“, sagt Marcos Uzquiano, der zwischen 2015 und 2019 Parkdirektor war und derzeit Chef der der Biosphären- und biologischen Station im Beni ist. Die innerhalb des Nationalparks und des integrierten Nutzungsgebietes beantragten Lizenzen konnten so bewilligt werden.
Neue Bergwerksaktivitäten im strengen Schutzgebiet
Im Jahr 2014 wurde auch das neue Bergwerksgesetz 535 verabschiedet. Dessen Artikel 220 eröffnet die Möglichkeit, in Schutzgebieten Bergbau zu betreiben. So wuchs laut dem Forscher Jorge Campanini vom Dokumentations- und Informationszentrum Bolivien (CEDIB) das Interesse noch weiter, im Madidi Gold zu fördern.
Das CEDIB fand heraus, dass bei den von der Bergwerksbehörde AJAM verwalteten Claims zwischen 2014 und 2022 nicht nur die Zahl der Anträge, sondern auch die illegalen Aktivitäten stark zugenommen haben, um sie später legalisieren zu lassen. Obwohl ein Antrag noch keine Abbaugenehmigung ist, beginnen viele Kooperativen nach Antragstellung bereits mit der Goldgewinnung, kritisiert die oppositionelle Senatorin Cecilia Requena.
Zu den neugeschaffenen Bergbauzonen gehört sogar Colorado, das an den Bahuaja Sonene Nationalpark in Peru angrenzt und eigentlich zu der streng zu schützende Gegend gehört. Letzeres gilt auch für Quendeque auf der Seite A des Madidi im Landkreis Apolo.
Eine Reportage der Online-Zeitschrift La Nube von 2021 spricht von 6023 Bergwerksclaims bis zu jenem Jahr. Das sind 150.575 Hektar oder 8% der Gesamtfläche des Madidi. Jorge Campanini geht davon aus, dass die Anzahl der Claims seitdem noch zugenommen hat.
Rodrigo Herrara betreut eine Reihe von Klagen zum Schutz des Madidi. Der Anwalt macht die AJAM dafür verantwortlich, da die Bergbaubehörde Flächen in Naturparks und an Flüssen für die Rohstoffgewinnung freigebe.
Herrera setzt auf rein rechtliche Maßnahmen gegen die AJAM, da sie „illegalerweise die Umweltgesetzgebung außer Acht lässt“. Sie wecke Erwartungen bei den Kooperativen, denn sie vergebe Konzessionen, obwohl sie wisse, dass die bolivianische Verfassung Bergbau an Flüssen verbiete.
Derzeit warten die Bergarbeiter auf eine neue Einteilung der Nutzungsgebiete, die für 2024 vorgesehen ist, damit die Gemeinden noch weiter in die nicht anzutastenden Gebiete vordringen können. Nicht nur die Kooperativen aus der Region fordern dies, sondern auch die Bergarbeiterföderationen, die in den Schutzgebieten arbeiten wollen.
“Es heißt, dass diese Einteilung die Kollegen und auch die Kooperativen vor Ort einbeziehen muss. Dieses Jahr läuft der geltende Vertrag aus und dann werden wir sehen, ob wir Bergwerksaktivitäten aufnehmen können oder definitiv nicht“, sagt Ramiro Balmaceda, der Vizepräsident der Goldkooperativen aus dem Norden von La Paz (FECOMAN).
Die Mitglieder seiner Organisation beschwerten sich, dass man sie nichts in der strikt geschützten Zone tun lasse, „etwa Ackerbau, Viehwirtschaft, Tourismus. Wovon sollen wir dann leben?“ Bergbau sei das Einzige, was übrig bliebe.
Straßensperren eines Staates im Staate
Eine Kette versperrt die Zufahrt zum Kanton Santa Cruz de Valle Ameno, es ist der offizielle Eingang zum Schutzgebiet Madidi. Die diensthabenden Wächter, Mitglieder der Ortsgemeinde, geben uns das Zeichen, um hineinzufahren. Wenig später lassen sie einen Pickup durch, der mit Treibstoff beladen ist. Wir befinden uns nur wenige Schritte entfernt von der einzigen derzeit funktionierenden Station der Parkwächter auf der B-Seite. Der zweite liegt im Dorf und der dritte an der Grenze zu Peru. Letzterer wurde geschlossen, weil es wegen des Drogenhandels eine zu gefährliche Zone ist.
Santa Cruz del Valle Ameno ist ein kleines Dorf inmitten intensiven Grüns. Aber auf den Höfen und sogar auf der Straße stehen Tankwagen und Lastwagen mit Diesel- oder Benzin-Kanistern. Die Parkwächter Leonardo und Benito sagen uns, dass diese für den Einsatz in den Bergwerken am Tuichi-Fluss vorgesehen sind.
Ein Tag vor unserem Besuch hat es wie aus Kübeln gegossen. Das erschwert die Fahrt nach Mohima, einer an Santa Cruz del Valle Ameno angrenzenden Gemeinde, in der es Bergarbeiterlager gibt. Aber es gibt noch ein Hindernis. Zwischen den Gemeinden wurde eine Straßensperre installiert. Sie ähnelt der im Durchgang von Limón, ist diesmal aber aus Holz. An der Absperrung stehen zwei Personen. Unsere Begleiter raten uns deshalb, Abstand zu wahren, um keine Erklärungen für unsere Anwesenheit abgeben zu müssen.
Die Sperren tauchten eine nach der anderen seit 2021 auf, als dort die Wege zum Tuichi-Fluss erschlossen wurden. La Brava hat mindestens neun entdeckt: in Santa Cruz del Valle Ameno, Mohima, Virgen del Rosario, Azariamas, Suyo Suyo, Pata, Santa Rosa, pasaje Limón und San Andrés. Letztere liegt schon außerhalb des Schutzgebietes, ist aber ein strategischer Zugang. An den Sperren von Virgen del Rosario, Azariamas und Santa Rosa gibt es kein Durchkommen, auch nicht für die Parkwächter. Es gebe ein Votum (der Ortsbewohner*innen), keinen Parkwächter durchzulassen, berichtet Leonardo. Die Mitglieder des Schutzgremiums müssten lange mit den Gemeinden verhandeln, um in gewisse Gebiete durchgelassen zu werden. Meist nur unter Bedingungen, etwa dass nur Mitarbeitende der Naturparkbehörde zugelassen würden, die nicht über Bergwerke informieren.
Einar Chávez ist Sekretär für Außenbeziehung der Provinzföderation von Apolo „Tupaj Katari“, eine der Organisationen, die sich dem Bergbau widmen. Er erklärt, dass die Schranken im Jahr 2020 während der strengen Quarantäne wegen der COVID-Epidemie installiert worden seien, damit niemand den Virus in die Region trage. Aber er leugnet auch nicht, dass sie bis heute aufrecht erhalten werden.
Ein Anwohner meint jedoch, die Schranken seien nicht 2020 wegen der Quarantäne errichtet worden, sondern 2021, als auch die meisten der elf neuen Wege erschlossen wurden, die von La Brava identifiziert werden konnten. “Sie wussten ja, dass die Bergwerkswirtschaft dort illegal ist. Die Schranken haben sie errichtet, damit die Bergbaubehörde oder andere staatliche Autoritäten nicht in die Zone kommen. Die Schranken werden von drei oder vier Personen bewacht, die sich mit einem Mobiltelefon verständigen,” erklärt er.
Chávez wiederum gibt zu, dass man das nicht machen könne, da es Wege auf staatlichem Grund seien. Mitte Mai hätten sie mit den „Brüdern“ aus den Dörfern geredet. Man habe ihnen Anweisungen übergeben, die Schranken aufzulösen. Aber noch zwei Monate später ist das nicht geschehen.
In Azariamas, der letzten Gemeinde bevor der Tuichi beginnt zum Beni-Fluss herabzufließen, verhindern die Schranken auch die Rückkehr der Familien, die dort 2022 vertrieben wurden. Francisco berichtet davon wie seine und andere Familien wegen Problemen mit den Bergwerkskonzessionen seitdem an der Rückkehr gehindert werden. Nicht einmal ihre Habseligkeiten dürfen sie holen.
Héctor Córdova, der bei der Stiftung Jubileo zur Bergwerkswirtschaft forscht, hält die Zone für einen ’superestado‘, einen Staat im Staate, der von den Bergarbeitern kontrolliert wird: “Angeblich zum Schutz werden diese geschlossenen Gebiete geschaffen, zu denen nicht einmal die staatlichen Autoritäten Zugang haben. Leider hat die Regierung nichts unternommen, um diese Entwicklung zu bremsen.“
Tatsächlich werden weder die Zentralregierung noch das Munizip aktiv und Bewohner*innen von Apolo sagen immer wieder: „Man kommt dort nicht hin“. Der Parkdirektor Rolando Pérez, der dies Amt im Mai 2023 übernommen hat, erwartet, dass man über den Abbau der Schranken nachdenken wird, sobald die Arbeit der Parkwächter verstärkt worden ist.
Drohungen gegen die Parkwächter
Die Parkwächter spüren wenig Rückhalt und im März bestätigten sich ihre Ängste, nachdem sie eine Woche zuvor La Brava von Drohungen und Einschüchterungsversuchen durch Bergleute und Anwohner*innen berichtet hatten.
Nachdem im Internet Anzeigen öffentlich geworden worden waren, hätten sie erfahren, dass in Versammlungen der Bergleute die Anwendung der Gemeindejustiz gegen alle erwogen worden sei, die sich den Ortschaften nähern würden, berichtete einer der Parkwächter. „Sie bedrohen uns, um uns einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen“; sagte er.
In der Nacht des 30. März näherte sich eine Gruppe Dorfbewohner und Bergleute mit einer Fahrzeugkarawane dem Kontrollpunkt von Santa Cruz del Valle Ameno: Fünf Schaufelbagger, 10 Lastwagen und drei Tankwagen mit Treibstoff. Sie wollten zum Lager der Kooperative „Vírgen del Rosario“.
Wegen der Reaktion der Öffentlichkeit auf eine Veröffentlichung, in der der ehemalige Naturparkdirektor Marcos Uzquiano in der Vorwoche die Ankunft des Konvois in Apolo angezeigt hatte, fühlten sich die Parkwächter diesmal unterstützt. Noch am Tag der Veröffentlichung bekamen die Parkwächter einen Anruf von der Leitung der Nationalparkbehörde, die einen detaillierten Bericht einforderten, so Ignacio der zum Personal im Nationalpark gehört.
Jene Nacht stoppten die Parkwächter die Durchfahrt der Fahrzeuge, was von R.C., dem Vertreter der Kooperative und Mitglied des Kooperativen-Dachverbandes von Apolo nicht gut aufgenommen wurde. Er beschimpfte den zu diesem Zeitpunkt verantwortlichen Raúl Santa Cruz.
Wenn sie Dokumente vorweisen könnten, dürften sie weiterfahren, sagte Santa Cruz der Gruppe von 15 Personen. So ist es in einer Aufnahme aus jener Nacht zu hören.
In der sind auch Schreie, Beschimpfungen und Drohungen von zwei Männern und Beschwerden von Gemeindemitgliedern zu hören. „Wir werden dich zerreißen, Scheiße“, sagte R.C. Er könne sich bei der Regierung beschweren, reklamierte wenig später eine Frau. Warum wohl hätte die Regierung ihnen dieses Land zugeteilt.
Der Zwischenfall erregte Aufsehen, da Uzquiano den Bericht von Santa Cruz in den sozialen Netzwerken veröffentlichte: „Er beschmipfte mich nicht nur, sondern kam näher, um mich zu verprügeln; ich konnte ihm entrinnen und habe mich in der Station in Sicherheit gebracht. R.C. holte dann voller Zorn einen Revolver aus seinem Fahrzeug. Doch seine Ehefrau lief ihm hinterher und konnte ein größeres Unglück verhindern“.
Stunden später waren dann viel zu viele gegenüber den Parkwächtern versammelt und die Fahrzeuge konnten Richtung Tuichi-Fluss weiterfahren.
Santa Cruz erstatte am Tag darauf bei der Polizei von Apolo Anzeige. Doch die wurde nicht weitergeleitet. Es gab einzig eine Dokument, in dem beide Seiten sich verpflichten, sich gegenseitig zu respektieren. Die Nationalparkbehörde schloss sich der Anzeige nicht an. Vielmehr schickte der Parkdirektor den Wächter in die Zone A des Madidi-Parks auf der Seite von San Buenaventura, angeblich zu seiner eigenen Sicherheit.
“Sie hätten mich nicht dorthin schicken sollen. Es ist eine Repressalie und nicht gerecht. Ich sollte bei meiner Familie bleiben und sie beschützen. Denn in der Zone B von Apolo gibt es viel illegale Bergwerkswirtschaft mit Leuten, die von überall herkommen”, beschwert sich Santa Cruz. Er erinnert sich daran, dass R.C. ihm einen Tag vorher schon angedroht hatte, ihn versetzen zu lassen.
Vier Monate später und weil der Zwischenfall öffentlich gemacht worden war, reichte R.C. bei der Staatsanwaltschaft von Apolo eine Verleumdungsklage gegen Santa Cruz und Uzquiano ein.
Was jene Nacht geschah war der heftigste Konflikt, den die Parkwächter in den letzten drei Jahren erlebt haben. Die Parkwächter, oder zumindest diejenigen, die sich als Naturschützer verstehen, sagen, dass sie sich ohnmächtig fühlen und auch ein wenig schämen, weil sie ihre Arbeit nicht wirksam machen können.
Sie sorgen sich nicht nur wegen möglicher Übergriffe, sondern auch wegen Repressalien durch die eigenen Vorgesetzten, so wie bei Uzquiano, der sich seit 2014 dafür eingesetzt hat, die Bergwerkswirtschaft zu bremsen und deshalb 2021 versetzt wurde.
Tausende Berichte aber fehlende Maßnahmen der Naturparkbehörde
Vírgen del Rosario ist eines der Dörfer, die man über Santa Cruz de Valle Ameno erreicht, und wo Bergwerksunternehmen Gold an den Ufern des Tuichi fördern. Eines davon ist die gleichnamige Kooperative, die mit einem chinesischen Konzern zusammenarbeitet und das Ökosystem des dort liegenden Nationalparks nachhaltig verändert hat.
Satellitenbilder zeigen, wie stark sich innerhalb von zwei Jahren der Flussverlauf verändert hat. Dies durch Becken, die nahe des Flusses angelegt worden waren, um dort Gold zu waschen. Das Sediment, das in das früher kristalline Wasser des Flusses abgeladen wird, erhöhen nicht nur das Flussbett, sondern sie machen das Wasser trübe und vergiften es mit Quecksilber. Die Folge ist, dass die indigenen Gemeinden flussabwärts kontaminierten Fisch verzehren.
In den ersten Jahren der Bergwerksaktivitäten konnten die Parkwächter noch Strafen gegen die Firmen erwirken, die sich widerrechtlich mit den Kooperativen zusammengeschlossen haben. Heute sind letztere so mächtig, dass die Waldhüter keinen Zugang mehr zu den Bergarbeiterlagern bekommen. Gleichwohl erstellen zwölf Parkwächter weiterhin ihre Berichte und einige davon dokumentieren die Bergwerksaktivitäten als Vorbereitung für Strafverfahren. Doch angesichts der Tatenlosigkeit der Behörde hat dies alles keine Wirkung.
Zwischen 2021 und 2022, dem Zeitraum in dem sich die Bergwerksaktivitäten im Madidi stark ausgeweitet haben, hat die Naturparkbehörde laut Informationen des Anwalts Rodrigo Herrera gerade einmal 12 administrative Prozesse angestrengt. Die meisten endeten mit der Zahlung eines Bußgeldes, aber nicht mit dem Stopp illegaler Bergbauaktivitäten, wie es die Gesetze eigentlich vorschreiben.
La Brava hat beim SERNAP diese und weitere Informationen angefordert, die im Zusammenhang mit der Arbeit der Parkwächter stehen. Doch trotz wiederholten Briefen, Anrufen und Besuchen hat die Behörde nicht geantwortet.
Die verhängten Bußgelder schrecken nicht ab. Laut Marcos Uzquiano liegen sie zwischen 16.000 und 45.000 Bolivianos (umgerechnet 2.300 und 6700 US Dollar). Die zahlen die Bergwerksfirmen und arbeiten einfach in der Erwartung weiter, „dass die Umweltgesetzgebung so angepasst wird, dass dies künftig legalisiert wird. Solche Beträge decken keineswegs die verursachten Umweltschäden oder gesundheitlichen Folgen für die Dörfer am unteren Flusslauf,“ betont Uzquiano.
Dabei erlaubt die Gesetzgebung dem SERNAP, die Strafen zu verschärfen und im Wiederholungsfall auch die Maschinen zu konfiszieren. Doch dafür verfügt die Behörde nicht über die nötigen Mittel. Auf der Seite B des Parks gibt es gerade einmal 12 Parkwächter, gibt der Anwalt Herrera zu bedenken. „Der SERNAP ist befugt, die Akteure aus dem Park zu weisen und die Geräte zu konfiszieren, aber die wenigen Parkwächter reichen gegen die mindestens 50 bis 100 Arbeiter pro Camp nicht aus“, so Herrera.
Leonardo bestätigt, dass es aus diesem Grund auch kein einziges Verfahren wegen wiederholter Aktivitäten gegeben habe. Und bei vielen Berichten der Parkhüter käme es nicht einmal zu administrativen Maßnahmen. „Wir machen Berichte für den Mülleimer“, sagt uns Ignacio, auch wenn es dort nur um die Informationen über die schweren Maschinen gehe, die in den Nationalpark geschafft würden.
Die Tatenlosigkeit der Naturparkbehörde wurde offensichtlich, als trotz der Berichte der Parkwächter und öffentlicher Anzeigen der gewalttätigen Verbringung der Maschinen nach „Vírgen del Rosario“, diese staatliche Instanz keine relevanten juristischen oder administrativen Aktionen ergriffen hat.
Deshalb hat die Senatorin Cecilia Requena Strafanzeige gegen den Nationalen Direktor des SERNAP Teodoro Mamani erstattet, der inzwischen allerdings wegen anderer Delikte abgesetzt wurde. Die Anzeige war vom Richter mit dem Argument abgewiesen worden, es seien keine Beweise vorgelegt worden, dass dem Staat ein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei.
Ähnlich war es mit der Grundrechtsbeschwerde (acción popular), die 2022 wegen zerstörerischer Bergwerksaktivitäten im Madidi Nationalpark gegen fünf staatliche Autoritäten eingereicht wurde. Das Gericht erließ gerade einmal eine teilweise Schutzanweisung wegen der Kontaminierung mit Quecksilber.
“Der Staat verweigert systematisch jegliche Strafe gegen die illegale Bergwerkswirtschaft. Einerseits weil er nicht die Fähigkeit hat, gegen das selbst geschaffene Monstrum vorzugehen, das er nicht mehr kontrollieren kann, und andererseits, weil es unter den Autoritäten auch solche gibt, die selbst am Geschäft beteiligt sind”, meint die Parlamentarierin Requena.
Das Urteil des Agrargerichts wird nur teilweise befolgt
Anders als die Naturparkbehörde sind Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zu den Ereignissen mit der Kooperative „Virgen del Rosario“ aktiv geworden. Nur wenige Tage nach dem Zwischenfall beantragte der Aktivist Antonio Cajías beim Agrargericht Schutzmaßnahmen wegen der illegalen Bergwerksaktivitäten in einem Naturschutzgebiet. Dem hat sich die Senatorin Requena und später auch der SERNAP angeschlossen.
Am 12 Mai hat das Agrargericht den einmonatigen Stopp aller Goldbergbauaktivitäten am Tuichi-Fluss im Distrikt Machariapu von Charopampa bis nach Azariamas angeordnet. Alles schwere Gerät müsse aus der Zone abgezogen werden. Und später ordnete das Gericht auch noch an, dass die Armee die zuständigen Behörden bei der Durchsetzung des Urteils unterstützen müsse.
Doch trotz dieses historischen Urteils dauerte es einen Monat, in dem die Beteiligten über das Urteil in Kenntnis gesetzt wurden, bis auch Aktionen ergriffen wurden. Ende Juni zog die Kooperative „Virgen del Rosario“ ihr schweres Gerät vom Flussufer ab. Dies ohne weiteren Druck. Doch keine der staatlichen Stellen (SERNAP, Bergwerksbehörde, Militär) koordinierte Aktionen um auch die restlichen Maschinen vom Tuichi-Fluss abzuziehen. Schlimmer noch: Sie verhinderten nicht einmal, dass neues schweres Gerät in den Park gebracht wurde.
Ein Dorfbewohner wies La Brava darauf hin, dass trotz des Widerstandes einiger Parkwächter der SERNAP am Fronleichnam-Feiertag zugelassen hat, dass dieser Schaufellader, der fast eine Woche in der Nähe des Kontrollpunkts gestanden hatte, in den Nationalpark gebracht werden konnte.
Der Parkdirektor Rolando Pérez bestätigte den Vorgang am folgenden Tag, und erklärte, dass sich die Dorfbewohner*innen in einem Schreiben dazu verpflichtet hätten, dass die Maschine nur zur Einebnung eines Fußballplatzes verwendet werde. Doch ein Parkwächter hat gesehen, wie die Maschine bis zum Tuichi-Fluss gebracht wurde, um dort Gold abzubauen.
Auch während des gerichtlich angeordneten Stopps für den Goldbergbau kamen immer wieder Maschinen dafür an. Auch ging der Goldbergbau einfach weiter. Auf der Suche nach Gold wird Wald gerodet, Flüsse verändern ihren Verlauf und das Wasser wird mit Quecksilber vergiftet. Das Goldfieber gibt dem Madidi keine Verschnaufpause.
Titelfoto: Heute gibt es Bergbau in der früheren strikten Schutzzone von Santa Clara, La Brava.
Edition: Mabel Franco.
Infografien: Rocío Condori und Sara Vásquez.
Videos: Sara Vásquez.
Nachbemerkung: Der Beitrag ist im spanischen Original am 10. Juli in der Zeitschrift La Brava erschienen. Danach gab es auch wegen neuer Studien zur Quecksilbervergiftung einen medienwirksamen Militäreinsatz gegen Goldkooperativen, aber nicht im Madidi, sondern im Nachbardepartament Beni. Dabei wurden rechtsstaatlich nicht ganz korrekt Bagger zerstört und auch Arbeiter festgenommen, nicht aber die Verantwortlichen der Betriebe, wie der Umweltaktivist Alex Villca von der Koordination zur Verteidigung der indigenen Territorien und Naturschutzgebiete CONTIOCAP kritisiert. Die Goldkooperativen wiederum drohen massive Proteste an, falls die inhaftierten Goldarbeiter nicht freigelassen werden. Und am 21. August läuft ihr Ultimatum aus, mit dem sie die Regierung Arce auffordern, die Raumnutzung des Madidi neu festzulegen, sprich mehr Land für den Bergbau freizugeben.
„Die grenzenlose Gier hat die große Mehrheit der Bevölkerung ins Elend gestürzt und zur Verschwinden anderer Arten geführt“, beklagte der bolivianische Vizepräsident David Choquehuanca jüngst auf einem internationalen Treffen in Oacaca und fuhr fort: „Wir haben nicht alle die gleiche Verantwortung für den Zusammenbruch, der immer näher rückt, aber wir sollten alle etwas zu einer Lösung beitragen“. In diesem August wird sich seine Regierung entscheiden müssen.