Nachdem Latin@rama am Freitag eine Analyse zum jüngsten Verhalten von Volkswagen in der Causa „Kollaboration von VW do Brasil mit der brasilianischen Militärdiktatur“ vorgelegt hatte und der Firma entschieden widersprach, es handle sich bei der Kollaboration der Firma im Ergebnis nur um „eine Zusammenarbeit zwischen einzelnen Mitgliedern des Werkschutzes von Volkswagen do Brasil und der Politischen Polizei (DOPS) des früheren Militärregimes“ und auch VWs Aussage in der Pressemitteilung widersprochen wurde, es „konnten jedoch keine klaren Beweise gefunden werden, dass die Zusammenarbeit auf einem institutionellen Handeln seitens des Unternehmens basiert[e], legt Latin@rama heute noch einmal nach. Denn wir haben uns auf Tipp von Dr. Werner Würtele, der im Jahre 1982 seine Dissertation als Studie zum Thema „Auf dem Weg zu einer ‚Authentischen‘ Gewerkschaftsbewegung in Brasilien. Grenzen und Chance der Entwicklung starker, unabhängiger und repräsentativer Gewerkschaften im peripheren Kapitalismus“ veröffentlicht hatte, noch einmal in unser verstaubtes Archiv des Berliner Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika begeben und dort nach einem Zeitungsbericht der Süddeutschen Zeitung vom 16. Februar 1973 gesucht, um ein bestimmtes Zitat im Original wieder aufzufinden — und sind dort fündig geworden.
In der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 16. Februar 1973 zitiert der Korrespondent, Manfred von Conta, in dem Beitrag „Ein Volk bleibt im Schatten. Eindrücke nach drei Monaten Rio“ den damaligen VW do Brasil-Chef, Werner Paul Schmidt:
„Sicher“, sagt er zwischen zwei Schluck Tomatensaft, „foltern Polizei und Militär Gefangene, um wichtige Informationen zu erlangen, sicher wird beim Politisch-Subversiven oft gar kein Gerichtsverfahren mehr gemacht, sondern gleich geschossen, aber eine objektive Berichterstattung müßte jedesmal dazufügen, daß es ohne Härte eben nicht vorwärtsgeht. Und es geht vorwärts.“
16. Februar 1973 in der Süddeutschen Zeitung
Wie schon am Freitag dargelegt, kann sich Volkswagen nicht weiter mit der Einzeltäterthese herausreden und bestreiten, die VW do Brasil-Führung sei mit der Kollaboration der Firma mit den Folterschergen der brasilianischen Militärdiktatur nicht konform gegangen. Dass die Informationen, die vom VW-Werkschutz an die Repressionsorgane der Militärdiktatur weiter gereicht wurden, auch über den Schreibtisch des Präsidenten von VW do Brasil (1973-1989), Wolfgang Sauer, deutet der Bericht des brasilianischen Gutachters Guaracy Mingardi, an, den dieser zeitgleich zum Kopper-Bericht im Auftrag der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft erstellt hat.
Guaracy Mingardi zitiert ein Dokument aus den Akten des Inlandsgeheimdienstes der Militärdiktatur SNI. Dieses Dokument besteht aus einem Telex vom 11.9.1975, das vom Ministerium für Arbeit und Rentenversicherung besprochen wurde.
Der Inhalt: VW-Werkschutzchef Adhemar Rudge erklärt darin das Vorgehen bei der Erstellung und Weitergabe von Daten an die Geheimdienststellen: „Die bekannten Daten wurden dem Direktor vorgelegt, da dieser – neben der Unterstützung der Durchführung von Operationen zur Information[sgewinnung] – als Präsident [der Firma] die Verantwortung über die Freigabe anderer Unterstützungen, auch permanenten Charakters, hat, die den OI („OI = órgãos de informação“, also Geheimdienstorgane) bereitgestellt werden. Der Direktor-Präsident, Herr Wo[lf]gang Sauer, wollte sich über die Situation besser ins Bild setzen und sie mit dem Rechtsberater Dr. Jacy Mendonça, besprechen“.
Der Gutachter Guaracy Mingardi schlussfolgert (Seite 28 des Guaracy-Berichts) daraus: „Dies zeigt klar und deutlich, dass der Werkschutz von Volkswagen sich mit dem [Geheimdienst] SNI abgestimmt hat. Und vor allem, dass es seitens des Firmendirektors [Wolfgang Sauer] Kenntnisse über diese Vorgänge gab, der überdies die Möglichkeit hatte, die „anderen Unterstützungen“ an die Geheimdienstorgane zu bewilligen.“
Das klingt doch schon nach deutlich mehr als der von VW in der Pressemitteilung vertretenen These der Einzelfälle „einzelner Mitglieder des Werkschutzes von Volkswagen do Brasil“. Was waren wohl diese erwähnten „anderen Unterstützungen, auch permanenten Charakters, die den OI bereitgestellt werden“? (siehe hierzu unseren Beitrag vom Freitag).
Die Frage „Wie viel wusste das Management, welche Verantwortung hatte die Führung?“ scheint damit unausweichlich dahin zu weisen: Das höchste Management von VW do Brasil, Herr Wolfgang Sauer, wusste Bescheid, dass und wie Informationen seines ihm weisungsgebunden unterstellten Werkschutzes an die Repressionsorgane der brasilianischen Militärdiktatur weiter gegeben wurden, ja, sehr wahrscheinlich auch mehr: Sauer ließ die von Rudge zusammen gestellten Informationen, bevor sie an die Agenten der Repression weiter gegeben wurden, zur Freigabe erst über seinen Schreibtisch laufen. Wie das, wenn es, wie Christopher Kopper schreibt, „zu einem Zeitpunkt [erfolgte], als der Einsatz von Folter durch die Politische Polizei bereits in der brasilianischen und in der deutschen Öffentlichkeit bekannt war“, nicht als vorsätzliche und wissentliche Beihilfe zur Folter gewertet werden kann, erschließt sich Beobachtern in der Tat nicht. So bleibt die Beantwortung der Frage, folgte Wolfgang Sauer seinem Vorgänger Werner Paul Schmidt in Taten und ideologisch nach? DER SPIEGEL wußte schon am 12.3.1973 über Sauer zu berichten: „Neuer Chef von VW do Brasil soll der bisherige Bosch-Generalbevollmächtigte für Lateinamerika, Wolfgang Sauer, 42, werden, der gute Beziehungen zum Medici-Regime in Brasilien unterhält.“
[…] Sauers Vorgänger wußte ebenso um die damalige Praxis der Folter in Brasilien Bescheid (siehe hierzu den Latin@rama-Bericht). In der Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 16. Februar 1973 zitiert der Korrespondent, Manfred […]