Der Madidi-Nationalpark im Norden von La Paz gehört zu den wichtigsten Biosphäre-Reservaten der Erde. Dort wurden über 8000 Pflanzen- und über 1400 Wirbeltiersorten identifiziert. Darunter sind auch zahlreiche endemische, nur dort vorhandene Arten. Der in der Nähe und ebenfalls im Amazonasbecken gelegene Pilón Lajas Nationalpark steht dem Madidi dabei kaum nach. Doch diese Sauerstofflungen der Welt, ihre Artenvielfalt und das Leben der angestammten indigenen Völker in der Region sind in Gefahr. Zwei Großstaudammprojekte sind geplant. Siedler und Holzfäller dringen in die Wälder vor und der Goldbergbau vergiftet Mensch und Natur.
So war die Zufriedenheit des deutschen Botschafters in Bolivien, Stefan Duppel, verständlich, als er am 9. Mai mit der in New York ansässigen NGO Wildlife Conservation Society (WCS) und dem Bolivianischen Nationalen Dienst für Schutzgebiete (SERNAP) ein Kooperationsabkommen zum Schutz dieser Nationalparks unterzeichnen konnte.
Dass zu gleicher Zeit unter Duldung der bolivianischen Behörden schweres Gerät zum Goldabbau in den Nationalpark Madidi gebracht wurde, weckt jedoch Zweifel am Setting und an den Erfolgsaussichten dieses Vorhabens, das die Bundesregierung in den nächsten 15 Jahren mit jährlich einer Million US-Dollar unterstützen will.
Geplant sind bei dem Projekt, das zum Legacy Landscapes Fund gehört, laut Informationen der Deutschen Botschaft „die Stärkung und effiziente Umsetzung eines Managmentplans, unter anderem für eine Verbesserung der Koordination im Naturschutzgebiet und in den indigenen Territorien“. Gefördert werden soll auch die „nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen, nachhaltiger Tourismus und die Stärkung der Resilienz der lokalen Bevölkerung gegenüber dem Klimawandel.“ Auch sollen weitere politische Maßnahmen „zur Milderung der Auswirkungen von Infrastrukturbauten und extraktiven Aktivitäten“ mit dem Programm verknüpft werden.
Zweifel von Umweltaktivisten am politischen Willen der bolivianischen Regierung
Ob diese Artikulation mit anderen Politikbereichen realistisch ist, daran zweifelt der Experte für Umwelt und extraktive Industrien, Marco Gandarillas. „In der aktuellen Regierung gibt es meines Erachtens kein Interesse an der Erhaltung des Madidi. Vermutlich haben sie das Projekt akzeptiert, weil sie Geld bekommen, um damit ihr Personal zu bezahlen. Sie denken wohl, dass es ihre sonstigen Interessen nicht berührt und dass es wegen dem Projekt auch keine Konflikte mit den Bergwerkskooperativen geben wird, die zu ihrer politischen Basis gehören. Bis vor wenigen Jahren war die Europäische Union ein Hauptgeldgeber des SERNAP. Dann kam es zur Krise, weil der politische Wille fehlte, die Arbeit aufrecht zu erhalten. Aber nicht, weil die bolivianische Regierung kein Geld gehabt hätte. Die haben Geld für alles mögliche, aber nicht für die essentiellen Arbeitsmittel der Waldhüter“, so der Soziologe. Ende letzten Jahres hatte es einen kleinen Skandal gegeben, weil die Waldhüter weiter auf ihre Schutzkleidung warten sollten, während Teodoro Mamani, der Direktor des SERNAP, seine Freunde aus der Kleinbauernorganisation CSUTCB, aus der er kommt, mit Weihnachtspräsentkörben beschenkte.
Wenige Wochen nach seinem Dienstantritt Anfang 2021 hatte Mamani 18 zum Teil langjährige Abteilungsleiter und 9 Direktoren der 22 bolivianischen Naturschutzgebiete entlassen. Ersetzt wurden sie durch der Partei und den Bauernorganisationen und Siedlern nahestehendes Personal, das keineswegs mehr fachliche Erfahrung mitbrachte. „Im heutigen SERNAP sind Umweltschützer nicht gerne gesehen. Die dort noch arbeiten, tun dies aus persönlichem Engagement heraus. Aber sie haben ganz schlechte Karten“, sagt Marco Gandarillas.
Drohender Öko- und Ethnozid
„Nichts hat sich seitdem geändert“, bekräftigt die Ökologin Cecilia Requena, die für die oppositionelle Comunidad Ciudadana als Senatorin im Parlament sitzt. Im Madidi drohe ein Öko- und ein Ethnozid. In ihrer Funktion als Präsidentin der Umweltkommission des Senats hat sie jüngst an einer Prüfungsmission in die Region teilgenommen. Sogenannte „Kooperativenmitglieder“, bewaffnet mit Maschinengewehren und Dynamit, hätten sie aufgehalten und bedroht, berichtete sie anschließend, während schwere Maschinen zum illegalen Goldbergbau durchgelassen würden. (Zur Goldproduktion in bolivianischen Naturschutzgebieten siehe auch den Artikel von Knut Henkel in der taz).
Ein lokaler Mitarbeiter des SERNAP spricht von der eigenen Hilflosigkeit gegenüber den illegalen Bergbauunternehmen. Hilflos fühle er sich auch, weil sie von den verantwortlichen staatlichen Autoritäten keine Unterstützung bekämen. „Dass der Madidi in Kürze zerstört sein wird, scheint sie nicht zu interessieren“. Stattdessen werden Waldschützer mit überflüssigen Berichten beschäftigt, wenn sie zu aktiv werden, hat die Senatorin Requena erfahren. In der Tageszeitung El Deber forderte sie deshalb ein Ende der Schikanen der Vorgesetzten des SERNAP gegen die eigenen Waldhüter, wenn diese illegale Aktivitäten im Naturschutzgebiet anzeigen.
Fokus auf die Verbesserung der Kapazitäten des Nationalen Dienstes für Naturschutzgebiete
Das jüngst gestartete Projekt soll den SERNAP stärken. Es sei „fokussiert auf die Verbesserung der Kapazitäten im Madidi Park“, schreibt die deutsche Botschaft. „Es wird ein festes Projektteam ausgewählt, das zum großen Teil im SERNAP sitzt. Die Auswahl des Projektteams wird von WCS eng begleitet, um die Fachlichkeit zu gewährleisten. Das Projektteam soll für die gesamte Laufzeit stehen.“ Ob das angesichts der massiven ökonomischen Interessen an den Ressourcen der Naturschutzgebiete ausreicht, wird sich zeigen.
Zum geplanten Staudammbau am Chepete und Bala gebe es noch keine Vereinbarung. Aber man sei ja auch erst am Anfang, heißt es aus der Botschaft. Auf die Frage, ob es im geplanten Projekt Vereinbarungen mit der Regierung zu den Bergbauaktivitäten im Madidi-Nationalpark gebe, antwortet die deutsche Botschaft, dass der SERNAP keine illegalen Bergbauaktivitäten tolerieren dürfe und dass die Partnerorganisation WCS in der Region bereits bislang Verbesserungen der Praktiken im legalen Goldabbau fördere. Vor allem um den Einsatz des gesundheitsschädlichen Quecksilbers zu verringern und zu kontrollieren, „so dass das Quecksilber aufgefangen und wiederverwendet wird und nicht unkontrolliert abfließt.“(Zur Problematik des Quecksilbers in der Goldproduktion siehe diesen früheren Beitrag auf latinorama und die Reportage von Karen Gil in der Zeitschrift ila).
Ein Umfeld mit kriminellen Akteuren
Marco Gandarillas vermisst bei diesen Initiativen zur verantwortlichen Goldproduktion den ganzheitlichen Blick auf das strukturelle Problem der Ausbreitung des illegalen und kriminellen Bergbaus. Die sei deutlich vom informellen Bergbau zu unterscheiden. Sicher gebe es in Bolivien zahlreiche kleine Bergwerkskooperativen, die kaum Kapital haben und hart arbeiten. Aber im Madidi gehe es vielmehr um kriminelle Akteure. „Goldsucher dringen in Territorien ein, wo indigene Gemeinschaften noch in selbstgewählter Isolation leben. Es gibt Entführungen und Handel mit Frauen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Da werden große Mengen Kapital für den Einsatz von großen Maschinen mobilisiert, auch aus Peru, Kolumbien oder China. Zum Teil kommt das Geld dafür aus dem Drogenhandel“.
Wegen unklarer gesetzlicher Regeln sei es in Bolivien jedoch schwer, juristisch zwischen legaler und illegaler Produktion zu unterscheiden, gibt Marco Gandarillas zu bedenken. Und es gebe einen Rollenkonflikt. „Denn der SERNAP ist zusammen mit der Bergbaubehörde AJAM auch zuständig für die Genehmigung von Bergbauprojekten in Naturschutzgebieten.“ Apolo, Pilón Lajas und Madidi gehören zur Projektregion. Und in allen drei Gebieten habe der SERNAP bereits Genehmigungen für Bergbau erteilt.
Korruption und fehlende Transparenz
Ab dem Jahr 2014, der Bewilligung des derzeit gültigen Bergbaugesetzes durch die Regierung Morales, hätten sich die Genehmigungen für Goldausbeutung in Naturschutzgebieten deutlich erhöht. Ein großes Problem dabei sei die Korruption und fehlende Transparenz. Bei den Genehmigungsverfahren seien häufig Abgeordnete des nationalen wie des Regionalparlaments involviert. Und: Selbst hohe Funktionsträger der Regierung zählten zu den Nutznießern der Konzessionen.
„Als ich noch beim CEDIB (Centro de Documentación e Investigación Bolivia) gearbeitet habe, haben wir Stichproben gemacht. Es war auffällig, wie viele Amtsträger und Politiker als Begünstigte der Genehmigungen auftauchten. Eine andere Arbeitsgruppe hat so etwas jüngst mit ähnlichen, aber aktuellen Ergebnissen dokumentiert. Das widerspricht klar der bolivianischen Verfassung: Kein Amtsträger, schon gar nicht in solch hohen Funktionen und nicht einmal mal nahe Verwandte dürfen mit solchen Genehmigungen zur Ausbeutung von natürlichen Ressourcen begünstigt werden. Wenn wir jetzt auf den Madidi schauen, sehen wir, dass auch hier hinter der Goldausbeutung viele Politiker stehen. Das Problem ist so groß, dass ein paar Waldhüter mehr da nichts tun können. Das ist wie eine Kopfschmerztablette gegen eine Krebserkrankung.“
Die Gelder gehen allerdings nicht nur an den SERNAP, sondern auch an die WCS. Das ist immerhin eine erfahrene und große internationale NRO, aber bei all den genannten Problemen sei fraglich, ob mit den Mitteln letztlich die angestrebten Ziele erreicht werden könnten, so Gandarillas.
Diejenigen stärken, die die Natur ausbeuten wollen?
Noch skeptischer ist Alex Villca, vom Volk der Uchopiamona und Aktivist der Nationalen Koordination zur Verteidigung der Indigenen Territorien und Naturschutzgebiete (CONTIOCAP), einem bolivianischen Netzwerk von indigenen und Umweltaktivisten: „Wir sind besorgt darüber, dass mit diesem Projekt genau diejenigen Institutionen gestärkt werden sollen, die an der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in den Naturschutzgebieten interessiert sind.“ Der SERNAP sei in den vergangenen Jahren zum operativen Arm der Bergwerkswirtschaft im Madidi geworden. „Wir haben Zweifel, dass das Projekt hier einen grundsätzlichen Wandel herbeiführen kann. Denn die Leitungsebene des SERNAP muss den Vorgaben der Regierung folgen.“ Und der WCS habe sich zwar mit Studien zur Artenvielfalt in den Naturschutzgebieten verdient gemacht und gezeigt, wie verletzlich diese Ökosysteme sind. Er meide aber Konflikte. Noch nie habe er öffentlich die extraktivistische Politik des bolivianischen Staats kritisiert.
Eine kleine Hoffnung gebe es aber doch. Da es sich bei dem Geldgeber um die deutsche Regierung handelt, erwarte er, dass diese Monitoringmechanismen im Sinne der vereinbarten Projektziele etabliere. Dabei sei allerdings die Frage, wer die Kontrollen ausüben werde. Ebenso wie Gandarillas optiert er für unabhängige zivilgesellschaftliche Institutionen. In die CPILAP, die Dachorganisation der zehn indigenen Völker im Norden von La Paz, mit dem WCS und SERNAP laut Informationen der deutschen Botschaft im Projekt zusammenarbeiten wollen, hat Villca kein so großes Vertrauen, obwohl er vor Jahren selbst einmal ihr Sprecher war. Die CPILAP sei von der Regierung parteipolitisch instrumentalisiert und kooptiert worden. Erst im vergangenen Jahr habe die CPILAP nach jahrelangen Auseinandersetzungen einen Vertrag mit der staatlichen Stromgesellschaft ENDE unterzeichnet, damit diese die technischen Vorstudien für den Staudammbau am Chepete und Bala zu Ende führen könne. Wenn auch nur mit einer knappen Mehrheit der Mitgliedsorganisationen. Für Villca, der Ökotourismus in der Region betreibt, ist der Staudammbau auch eine Gefahr für seine eigene Lebensgrundlage.
Die indigenen Organisationen sollten eine zentrale Rolle spielen – doch viele sind zerstritten
Oscar Alquizalet von der Aktionsgruppe Pueblos Vivos, der Studien zu in selbstgewählter Isolation lebenden Mosetenes in der Region durchgeführt hat, erkennt dagegen unterschiedliche Richtungen innerhalb der CPILAP. Manche stünden der Regierungspartei nahe, andere seien eher basisorientiert. Aber CPILAP sei nun einmal die einzige und von den indigenen Völkern als Vertretung anerkannte Dachorganisation dieser Region.
„Die Einbindung lokaler und indigener Gemeinden wird sichergestellt,“ heißt es in den Antworten der Deutschen Botschaft zu unseren Nachfragen an das Projekt.“ Oftmals bestünden bereits Umsetzungskomitees, „die aber zum Beispiel wegen fehlender Ressourcen nicht aktiv werden. Durch die Finanzierung wird die Aktivierung der bestehenden Komitees gewährleistet.“ Und durch die Erstellung von Arbeitsplänen mit den lokalen und indigenen Gemeinden, die es teilweise bereits gebe, sowie die Unterstützung zu ihrer Umsetzung würden die Gemeinden gleichzeitig gestärkt, erwartet die Botschaft.
Eine Schwierigkeit bei jeder Einbeziehung der indigenen Autoritäten und Gemeinden, sind die internen Konflikte und Meinungsverschiedenheiten. Und nicht nur, weil diese von von externen Akteuren wie den Kooperativen und Bergbauunternehmen, aber auch den Regierungsstellen gezielt ausgenutzt werden: „ Die Bevölkerung vor Ort sieht die ökologischen Schäden, die angerichtet werden, aber auch Zerstörung der gemeinschaftlichen Bande“, äußert sich Marco Gandarillas zu einem Dilemma: „Doch für viele Indígenas ist die Goldgewinnung eine Arbeitsmöglichkeit, wenn auch unter sehr prekären Umständen.
Sie verdienen mehr, weil sie einen kleinen Teil der Goldproduktion bekommen und das dann weiterverkaufen. Die Goldgewinnung ist auch weniger saisonabhängig als zum Beispiel die Paranuss-Ernte. So verwandelt sich das Territorium für viele in nichts weiter als ein Mittel, um Geld zu verdienen. Folge sind die Konflikte mit den anderen Indígenas, die gegen den Bergbau sind.“ Die Gräben und Auseinandersetzungen gingen in die Dörfer hinein und manchmal bis in die Familien.
Eine direkte Förderung der indigenen Organisationen ist zunächst nicht vorgesehen
Ein andere Herausforderung, um eine reale Beteiligung möglich zu machen, ist die Stärkung der Autonomie der indigenen Gemeinden und Organisationen. Alquizalet räumt ein, dass die bisherigen Formen ihrer Beteiligung durch SERNAP eher vertikal waren. Um das Machtgefälle zwischen den staatlichen Trägern und NRO auf der einen, sowie den finanziell und personell prekär ausgestatteten indigenen Organisationen auf der anderen Seite etwas abzumildern, fordern die autonomen indigenen Organisationen des Tieflandes deshalb von den europäischen Regierungen auch eine direkte Finanzierung. Dies wurde der Delegation der COICA, des regionalen Dachverbands der Indigenen Organisationen der Amazonasregion bei der Klimakonferenz COP 26 in Glasgow von verschiedenen Regierungsdelegationen zugesagt, darunter auch Deutschland (siehe das Interview mit Tomás Candia auf latinorama). Eine solche Komponente sei im jetzigen Projekt bislang nicht geplant, heißt es aus der deutschen Botschaft.
So scheint die Sorge von Alex Villca nicht ganz unberechtigt, dass durch das Projekt das Machtgefälle zuungunsten der indigenen Gemeinden eher noch verschärft werden könnte. Die Intentionen seien richtig, meint Marco Gandarillas. „Aber es handelt sich um sehr sensible Interventionen mit hohen Risiken, wo mehr Sorgfalt angewandt werden müsste, um die Ziele besser erreichen zu können und dabei keinen Schaden anzurichten.“
Nun ist es an den Projektverantwortlichen, in den folgenden Jahren zu zeigen, dass diese Bedenken im besten Fall unberechtigt sind, oder dass ihnen andernfalls zumindest Rechnung getragen wurde. Denn mehr Schutz für die indigenen Kulturen und die Natur in den Nationalparks Madidi und Pilón Lajas ist dringend nötig.