vonBenjamin Kiersch 08.06.2010

Latin@rama

Politik & Kultur, Cumbia & Macumba, Evo & Evita: Das Latin@rama-Kollektiv bringt Aktuelles, Abseitiges, Amüsantes und Alarmierendes aus Amerika.

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Das hätten sich Llajtaymanta nicht träumen lassen: Anfang Mai brach eine Welle von wutschnaubenden chauvinistischen Kommentaren über eine der bekanntesten Folklore-Gruppe Boliviens herein. Eine auf Facebook gegründete Protestgruppe hat bereits über 13000 Mitglieder. Selbst die bolivianische Kulturministerin bestellte die Musiker ins Ministerium ein.

Was war passiert? Die Gruppe hatte zum Karneval einen Tanz für das Centro Cultural Andino komponiert und aufgenommen – was professionelle Musiker halt machen, um Geld zu verdienen. Der Titel heisst „Mi corazón está contigo“ und ist im Rhythmus des Caporales komponiert, einem traditionellen bolivianischen Tanz, der aus der afrobolivianischen Tradition entlehnt ist, und jedes Jahr von zahllosen Gruppen zum Karneval aufgeführt wird. Der Tanz symbolisiert die Unterdrückung der ArbeiterInnen während der Kolonialzeit: der Vortänzer („Caporal“) „motiviert“ die übrigen TänzerInnen, seine „Untergebenen“, mit Peitsche und Schellen zum immer schnelleren Tanz.

Der Text der Llajtaymanta-Auftragsarbeit scheint unauffällig:

Centro Cultural Andino

el umbral divino,

caporal genuino

bailando contigo

mi gran cultural….

Suenan los bombos

y cascabeles

al ritmo alegre del caporal

Mi corazón contigo está…

viva mi gran cultural…

Centro Cultural Andino

Die heilige Schwelle

Echter Caporal

Ich tanze mit Dir

Die große Kultur

Es klingen die Trommeln und Schellen

Zum lustigen Rhythmus des Caporal

Mein Herz ist bei Dir

Es lebe meine große Kultur!

Undsoweiter, was halt Folkloregruppen so einfällt. Den TänzerInnen des Centro Cultural Andino hat’s gut gefallen, wie auf ihrer Webseite zu sehen ist.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=hzvOtyfPDDo[/youtube]

Warum also die Aufregung? Das Centro Cultural Andino liegt in Puno, eine Stadt im Altiplano am Ufer des Titicacasees, den sich Bolivien und Peru teilen, nur eben, und das ist das „Problem“, der den Aufschrei in Bolivien auslöste, auf der peruanischen Seite.

Auf der Facebook-Seite „Llajtaymanta te aplazaste – te vendiste al Peru“ – „Du hast Dich an Peru verkauft“ wird die Gruppe als „Volksverräter“ bezichtigt, deren Platten jeder Bolivianer, der etwas auf sich hält, „zerstören“ solle, usw. usf. Dass es in Bolivien Chauvinisten gibt, die keine Gelegenheit auslassen, das Nachbarland, mit dem Bolivien kulturell viel verbindet, und bolivianische „Deserteure“ auf diese Weise zu beschimpfen, ist bereits beunruhigend.

Äußerst besorgniserregend ist jedoch die Reaktion der bolivianischen Regierung. Die bolivianische Kulturministerin Zulma Yugar, selbst bekannte Folkloresängerin, bezeichnete die Zusammenarbeit von Llajtaymanta mit dem peruanischen Centro Cultural Andino als „Fehlgriff“ und bestellte die Musiker ins Ministerium ein. Dort präsentierten Juristen der Gruppe eine Mahnung mit der Aufforderung, die Textzeile „Caporal genuino“ zu ändern, mit der Begründung, die Gruppe habe mit ihrer Auftragsarbeit für das peruanische Kulturzentrum die „Normen, die das kulturelle Erbe Boliviens schützen“ verletzt.

Der Sänger von Llajtaymanta stellte zunächst klar: „Natürlich haben wir die Aufnahmen gemacht, aber wir haben zu keiner Zeit behauptet, dass der Caporales peruanisch sei… dem Centro Cultural Andino hat unsere Interpretation gefallen und deshalb haben wir den Titel für sie aufgenommen. Das ist unsere Arbeit.“ Angesichts der Wellen der Kritik, „bolivianische Kultur zu verkaufen“ gab er aber ein paar Tage später klein bei: „Der Titel wird nicht auf unserer neuen CD erscheinen. Nächstes Mal werden wir besser aufpassen.“ Die Gruppe signalisierte auch, der Aufforderung des Ministeriums Folge zu leisten und den Text zu ändern.

Die Affäre um die Gruppe Llajtaymanta ist kein Einzelfall: auch die beliebte Frauen-Folkloregruppe „Grupo Bolivia“, sah im vergangenen Monat ähnlicher Kritik ausgesetzt, nachdem sie eine Morenada für einen peruanischen Kulturverein in Puno aufgenommen hatte. Auch sie wurde ins Kulturministerium zitiert.

Das Verhalten der Kulturministerin hat einen einfachen Namen: Zensur. Niemand stellt in Frage, dass Caporales und Morenadas in Bolivien entstanden sind. Aber zu behaupten, die Tänze gehören Bolivien und die Regierung könne darüber entscheiden, von wem, wann und unter welchen Umständen sie aufgeführt werden dürfen, ist absurd.  Jeder weiß, dass der Tango in Argentinien enstand, aber würde die argentinische Regierung deshalb gegen die Tausenden Tangotänzer und -musiker in Berlin vorgehen? Dass die bolivianische Regierung offiziell diese widersinnige Position einnimmt und in die Arbeit von bolivianischen MusikerInnen eingreift, ist alarmierend.

Die Position ist im Fall Boliviens besonders fragwürdig, da das Land sich nach der neuen Verfassung als Plurinationaler Staat versteht, der sich von dem neokolonialen Staatsmodell abgrenzen will. Die Aymara, eine der wichtigsten Ethnien Boliviens, zu denen sich auch Präsident Evo Morales zählt, leben seit Jahrhunderten im Hochland um den Titicacasee – auf beiden Seiten der von den Spaniern gezogenen Grenze zwischen Bolivien und Peru. Kulturell verbindet Puno mit Oruro viel mehr als La Paz mit Santa Cruz. Dass Morales’ Regierung die aus der Kolonialzeit stammenden Grenzen zum Anlass für die Polemik um das „kulturelle Erbe Boliviens“ nimmt , ist nicht mit dem Konzept des Plurinationalen Staates vereinbar.  Es ist inkonsequent, innerhalb des Landes die Integration der Nationen zu propagieren, aber die gewachsenen kulturellen Beziehungen zu den Nachbarländern auf diese Weise zu beeinträchtigen, statt sie zu fördern.

Glücklicherweise sehen das viele Menschen in Bolivien ähnlich, wie beispielsweise der Kommentator der Tageszeitung Los Tiempos vom 20. Mai:

„Es lohnt sich, über diesen Fall nachzudenken, denn er zeigt ein gefährliches Verständnis von Kultur sowie der Rechte, die der Plurinationale Staat für sich beansprucht, um künstlerische Ausdrucksformen zu regeln. Falls die unglücklichen Erklärungen und Handlungen der Ministerin die offizielle Haltung der Regierung widerspiegeln, sollten wir uns nicht wundern, wenn, ähnlich wie in anderen Fällen von autoritärer Machtausübung, Beamte darüber entscheiden, was erschaffen, publiziert und anerkannt werden darf und was nicht, und dass [diese Beamten] dem freien Austausch zwischen den Völkern Grenzen setzen. Wir hoffen, dass das nicht der Weg [der Regierung] ist.“

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https://blogs.taz.de/latinorama/zensur_in_bolivien_der_fall_llajtaymanta/

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kommentare

  • @Moritz: Diese Statue richtet sich nicht gegen Peru, sondern wohl eher gegen Chile. Bolivien und Peru kämpften gemeinsam im Salpeterkrieg gegen Chile. Einen Krieg, den Bolivien durch Nichteinhaltung bilateraler Abkommen provoziert hatte. Mit der Folge, dass Bolivien (wieder) zum Binnenstaat wurde. Auch Peru musste Land an Chile abtreten. Bis heute wird in Bolivien am Tag des Meeres dem Verlust des Zugangs zum Meer gedacht. Und auch im Alltag fehlt es nicht an Polemiken gegenüber Chile. So schieben Bolivianos gerne Chile die Schuld an der katastrophalen wirtschaftlichen Situation zu.

  • Ja, man muss die ganze Geschichte erzählen, bevor man etwas kommentieren will. Ja, das ist halt europäisches journalismus.

    Von tuten und blasen keine Ahnung

    Que viva la libertad y cultura

  • Sich bei einem Präsidenten, der jüngst “Vaterland oder Tod!” als neue Parole für die Streitkräfte ausgerufen hat, über Nationalismus zu wundern, spricht schon für eine sehr selektive Wahrnehmung…
    Nur mal so, am Titicacasee auf bolivianischer Seite hab ich letztens eine Statue “zur Ehre des Meeres” gesehen. Darauf abgebildet waren grimmig dreinschauende bolivianische Soldaten und eine Fliegerstaffel die gegen Peru fliegt; sinngemäß unterschrieben mit “wir holen uns das Meer zurück”…

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