vonMarkus Szaszka 03.12.2018

Der Nirgendsmann

Markus "Nirgendsmann" Szaszka - Streuner und Schriftsteller aus Wien - schreibt über die Herausforderungen unserer Zeit und Romane, die zum Nachdenken anregen. Weitere Informationen: www.grossstadtballaden.com

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Ich setzte mich, klappte die alte Kiste auf, tippte ein viel zu leicht zu knackendes Passwort ein, öffnete den Browser, um später schneller an Informationen gelangen zu können, griff nebenbei auf meinen Cloudspeicher zu und öffnete die Textdatei mit dem Titel CRM.

Zehn bis zwanzig Minuten musste ich noch an der Arbeit schreiben, die ich an diesem Morgen angefangen hatte. Es war eine wissenschaftliche Hausarbeit über Kundenbeziehungsmanagement, ein vergleichsweise einfaches, dafür maßlos langweiliges Thema. Eine Lebensmittelvergiftung wäre lustiger gewesen, als sich mit diesem Stumpfsinn zu beschäftigen.

Zwölf Seiten waren es, also fast nichts. Um kurz nach zehn hatte ich mit der Themenfindung und der Gliederung begonnen, bis dreizehn Uhr hatte ich geschrieben, Teile zumindest, andere wiederum aus früher verfassten Arbeiten über ähnliche Themen kopiert. Dann ging es in die Badewanne und danach raus, einen Cheeseburger zu Mittag essen. Von vierzehn bis siebzehn Uhr hatte ich weitergeschrieben. Nur noch die Seitenzahlen waren einzufügen, das Literaturverzeichnis fertigzustellen sowie der Text in verschiedenen Formaten zu speichern. Fertig.

Ich gab meine über dem Laptop gebückte Haltung auf und merkte, während ich mich zurücklehnte, dass mir der Nacken wehtat. Meine Halswirbel litten zusehends und ich unternahm nicht genug dagegen. Einfache Übungen zur Stabilisierung meiner Nackenmuskulatur halfen zumindest ein bisschen gegen die Verspannung. Wie lange hatte ich schon geplant eine Maus und eine externe Tastatur zu kaufen, um sie an den Laptop anzuschließen, diesen wiederum auf einem Bücherstapel zu platzieren und so wenigstens etwas ergonomischer sitzen zu können? Doch es hatte sich nie ergeben. Wenn ich daran dachte, war nie ein Elektronikladen in der Nähe, und wenn ich an einem vorbeiging, dachte ich an andere Dinge. Jedes Mal. Online zu bestellen, darauf kam ich dummerweise nicht. Es war verflixt und meine Halswirbel verloren.

Das war’s.

Für diesen Tag war ich fertig, konnte aufatmen und musste keine weitere Sekunde mehr mit dieser Tätigkeit verbringen, die mir über die Jahre so verhasst geworden war. Früher, als ich mit ihr begonnen hatte, war es noch interessant für mich gewesen, alle paar Tage in ein neues Thema einzutauchen, zu lernen, anderen einen Dienst zu erweisen und Geld mit der Hilfestellung für angehende Wissenschaftler zu verdienen.

Mittlerweile dachte ich anders über meinen Job, den ich ausübte, weil ich schließlich irgendwo schlafen und etwas essen musste. Was genau mich daran störte, vergaß ich aber jedes Mal, wenn ich auf Senden klickte und die vorgefertigte E-Mail mit der Arbeit im Anhang in Richtung Kunde davonflog.

Drauf geschissen, dachte ich, und klappte den Laptop unsanft zu.

*

Textauszug aus dem Tatsachenroman Der Nirgendsmann, Erscheinungsdatum: 03.12.2018.

Mehr Informationen unter folgendem Link 🙂

Bis bald, euer Nirgendsmann

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