vonChristian Ihle & Horst Motor 05.01.2007

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Die Idee: Bands und Künstler, die bisher noch kein Debütalbum veröffentlicht haben, aber ob ihrer bisherigen Singles, EPs oder gar nur Demos bereits für Aufsehen sorgen und deren erste Langspielplatte ungeduldig erwartet wird:

Jamie T

Jamie T ist die neue Stimme des britischen Independent-Untergrund und füllt die (bisher nicht bemerkte) Lücke zwischen Mike Skinners Streets, Reggae, Folk, Punk und Singer/Songwriter-Material.
Auf dem unwiderstehlichen „Sheila“, das wie eine reggaefizierte Version des ersten Streets-Albums vorbeitorkelt, macht Jamie auch genau das, was Mike Skinner nun nicht mehr kann: von der Straße erzählen, von den Momenten, in denen dein Bier umfällt.
Das ganze Album „Panic Prevention“ hat eine Bandbreite, wie man sie lange nicht mehr gehört hat und Jamie T ist der sicherste Tip in dieser Liste.
Die einzige Frage, die sich wiederum stellt: warum müssen wir uns mit Gentleman herumplagen, wenn England Jamie T bekommt?

Hören: Sheila, Salvador, If You Got The Money
Schauen: http://www.jamie-t.com

The Rumble Strips

Bei diesem Gesang und diesen Bläser, wie soll man hier nicht die Dexys-Referenzkarte ziehen? Die Rumble Strips waren vor einem Jahr noch allesamt Mitglieder bei den ebenfalls empfehlenswerten Vincent Vincent & The Villains, überwarfen sich aber wegen der berühmten „kreativen Differenzen“ und starteten ihre eigene Band, die sich vom Rock’n’Roll der Villains ab- und purem Blue Eyed Soul zuwandte. Mit „Motorcycle“, „No Soul“ und „Hate Me You Do“ schrieben sie bereits drei beachtenswerte Songs, die teilweise sogar mehr an den kommerziellen Selbstmord des dritten Dexys Albums denn an die luftigen Höhen des ersten erinnern (was wiederum bedeutet: sie sind musikalisch verhältnismäßig komplex, keineswegs einfach gestrickt oder einer simplen Strophe / Refrain Struktur folgend).
Definitiv ones to watch und mit erheblich mehr künstlerischem Potential als Dogs Die In Hot Cars, die vor zwei Jahren mit “I Love You Cause I Have To” auch ein hervorragendes Dexys-Pastiche ablieferten.

Hören: Motorcycle, No Soul
Schauen: http://www.rumblestrips.co.uk/webvideo/

Klaxons

Die Klaxons sind die interessanteste Band in dieser Liste, da sie als Speerspitze des „New Rave“ positioniert werden. Auch wenn eine gewisse Grundskepsis bei derartigen Szenebegriffen natürlich immer mitschwingt, muss man den Klaxons zugestehen, im Gegensatz zu allen anderen Bands, die momentan mit diesem Label beklebt werden, tatsächlich etwas Originelles machen. Ihre Songs klingen nach einer Indie/Punk-Version alter KLF-Hits, aus denen man die Stadium-House-Erfahrung, den Massenrave herausgepresst hat.
Entdeckt wurden die Klaxons vom Angular Records Label (dessen Gründer Joe Daniel auch den Begriff „New Rave“ erfand), das dank seiner anderen Neuentdeckungen wie Art Brut, The Long Blondes oder Bloc Party sicherlich eines der geschmackssichersten und besten Independent-Labels der letzen Jahre ist.
Wie lange New Rave und die Klaxons funktionieren werden, ist ein eigenes Thema, doch für den Moment kann man den drei Briten nur dankbar sein, frischen Wind und tatsächlich Originelles in die Indie-Landschaft der Insel zu injizieren.

Hören: Atlantis To Interzone, Magick
Schauen: http://www.klaxons.net/

New Young Pony Club

England geht ja Ende 2006, Anfang 2007 ganz electro-crazy und nennt das alles New Rave (oder noch schöner: Neu Rave). Die Briten um Sängerin Tahita wurden auch gleich mit in die New Rave Schublade gesteckt, wo sie doch eigentlich wunderbar kühlen Electro spielen, wie ihn Peaches vor einigen Jahren noch machte.
Wer bisher noch nichts von New Young Pony Club gehört hat, ist damit offiziell langsamer als Intel, das sich den Überhit der jungen Pferdchen, „Icecream“, zur Werbeuntermalung geholt hat: Als würden Delta 5 mit „Mind Your Own Business“ wieder vor dir stehen!

Hören: Icecream
Schauen: http://www.myspace.com/newyoungponyclub

Xerox Teens

Londons Xerox Teens werden wahrscheinlich auch in den New Rave Kontext gestellt werden, wenn sie denn mal mehr als ihre Debüt-EP veröffentlichen. Auf der klingen sie wie Mark E. Smith nach vielen, vielen Cuba Libre, die mit ordentlich Uppers versetzt wurden. Rhythmischer Wahnsinn ist zu verzeichnen. Und Schreien! Und Keyboards! Kurz: Natürlich kannst du auch nicht tanzen, aber bitte nicht hier.
Life is Xerox Teens and you are just a copy.

Hören: Darlin’, My Favourite Hat
Schauen: http://www.xeroxteens.com/

Polytechnic

Als man zunächst die Debütsingle „PEP“ von Polytechnic hörte, dachte man an eine britische Kreuzung aus We Are Scientists und Kings Of Leon und war umso mehr überrascht als die nächste Single „Man Overboard“ ein wahnwitziges auf- und abwogendes Klavierstück war, als würde es bei höchstem Seegang vom Klabautermann persönlich gespielt. Dass eine Band innerhalb von zwei Singles die Eckpunkte We Are Scientists, Kings Of Leon sowie Doves in wahnsinnig gut und die guten alten Coldplay in wahnsinnig abdeckt, lässt einen aufhorchen. Insbesondere, wenn sie dabei besser klingt als alle gezogenen Referenzen. Manchester dürfte hier wieder einmal eine große Band heranwachsen sehen.

Hören: Man Overboard, PEP
Schauen: http://www.wearepolytechnic.com/

The Duloks

Nun, würden die Duloks tatsächlich in einem Jahr bekannter sein, ich wäre selbst überrascht. Aber dennoch: wer mit „Follow Your Star Trail“ einen so wunderbaren Indie-Pop-Song schreibt und noch ein Lied namens „Help! I’m Turning Into Mick Jagger!“ in der Hinterhand hat wie diese drei Londoner Mädchen, muss einfach erwähnt werden. Besonders charmant ist, dass es noch keinen einzigen Song der drei zu kaufen gibt, aber bereits ein reizender Online-Shop mit The „Cutest! Purse! EVER!“ oder „Star Trail Hairclips“ als virtueller Wühltisch bereitsteht. Indiemädchen, hier entlang: http://www.duloks.com/shop.htm

Hören: (Gonna Follow Your) Star Trail
Schauen: http://www.myspace.com/theduloks

The Twang

Huh, 2007, und auf einmal gibt es neue Happy Mondays? Einmal „Cloudy Room“ von The Twang gehört und jede Diskussion erübrigt sich. Auch The Twang sind noch ohne jede Plattenveröffentlichung, aber darf man dem Untergrundgemurmel in England glauben, sollte dafür der bald unterschriebene Kontrakt umso höher dotiert sein. Die anderen bisher gehörten Songs der Lads aus Birmingham sind zwar noch nicht auf dem Niveau von „Cloudy Room“, aber wenn jener wie Oasis’ „Columbia“ gesungen von Shaun Ryder mit der Ian Brown eigenen Arroganz klingt und dabei Mike Skinner Lyrics vorträgt, wer mag da klagen?

Hören: Cloudy Room
Schauen: http://www.myspace.com/thetwang

The 1990s

Der bisher bemerkenswerteste Song der bei Rough Trade unter Vertrag stehenden 1990s, „You’re Supposed To Be My Friend“, beginnt wie weniger dem Rhythmus verfallene Franz Ferdinand über die ein schottischer Julian Casablancas seine Zeilen intoniert bis aus dem Nichts Primal Screams „Country Girl“ Riff auch noch die Rolling Stones Reminiszenz vorbeibringt. Nicht die schlechtesten Referenzen und dazu auch noch angenehm schmal, mit Fokus auf den Bass produziert und sehr eingängig.

Hören: You’re Supposed To Be My Friend
Schauen: http://www.1990s.tv

Les Incompetents

Leider haben Les Incompetens in dieser Liste gar nichts mehr zu suchen, denn im Oktober verkündeten die Londoner bereits ihr Ende nach lediglich zwei Singles. Da sie aber in der kurzen Zeit, in der sie existierten, genug Stoff lieferten, seien die beiden Veröffentlichungen „Reunion/Much Too Much“ und vor allem „How It All Went Wrong“ noch einmal jedem ans Herz gelegt.
Die „Reunion“-Single wurde vom überaus geschmäcklerischen Rough Trade Shops Personal 2005 in dessen Top 20 Singles des Jahres gewählt, Fred Les ist dank Liaison mit Bob Geldofs Tochter Peaches Stammgast in der britischer Yellow Press und, der traurige Teil der Geschichte, Sänger Billy Leeson wurde im Juni 2006 in einem Londoner Nachtbus von einem früheren Green Party Kandidaten und (ironischerweise) Friedensaktivisten niedergeschlagen und lag drei Wochen im Koma. Kurz nach seiner Rehabilitationsphase spielten Les Incompetents noch ein Abschiedskonzert in London um sich dann letzten Endes aufzulösen. Schade, man hätte gerne mehr gehört.

Hören: How It All Went Wrong, Much Too Much
Schauen: http://www.lesincompetents.co.uk/

Christian Ihle

Weitere Artikel aus dieser Reihe:

Teil 3: Deutschland & seine Gitarren

Teil 2: Amerika & Libanon…

Teil 4: Goth, Postrock und Kaiser Chiefs für Arme

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