vonChristian Ihle & Horst Motor 29.01.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Im vergangenen Jahr empfahlen wir jedes Monat drei Alben, die unserer Meinung nach des Hörens wert waren. Da Pop aus Prinzip immer jetzt ist, schwankt die Halbwertszeit von Platten beträchtlich.

Deshalb eine kleine Spielerei: wir stellen alle Alben des Monats des vergangenen Jahres noch einmal vor und der jeweilige Schreiber sagt, was ein Jahr später noch von der Faszination des Augenblicks übrig geblieben ist. Mancher starrt noch immer ehrfurchtsvoll in die Sonne, ein anderer hatte nur Spaß ein Augenzwinkern lang…

Alben des Monats Januar:

1: The Good, The Bad & The Queen: „The Good, The Bad & The Queen“

Das sagten wir damals: „Damon Albarns neuestes Projekt nach Blur und den Gorillaz überrascht erneut: fantastischer Avantgarde-Pop und das beste Album der letzten zwölf Monate.“

Das meinen wir heute: Auch zwölf weitere Monate später schmeckt Damon Albarns letztes Meisterwerk nicht schal und wurde sogar des Popblogs Album des Jahres. Das beruhigendste und coolste Album des Jahres.

2: Naked Lunch: „This Atom Heart Of Yours“

Das sagten wir damals: „Für Menschen, die Indie nicht in erster Linie bei H&M einkaufen und zuhause noch ein Album anhören können, ohne die Skip-Taste zu betätigen. Ideal für Wintertage und Fahrten durch herrlich trostlosen Schneematsch und Dreck zu einem besseren Ziel, das irgendwo ganz schwach in der Ferne schimmert. Gottseidank gibt es diese Band immer noch.“

Das meinen wir heute: Ein Album, das mich leider nicht sehr lange begleitet hat, wenn ich mir aber auch sicher bin, dass ich es im richtigen Moment immer wieder aus der Plattenkiste hervorholen würde – ich schwör.

3: Benjy Ferree: „Leaving The Nest“

Das sagten wir damals: „Zwischen Fugazi und Tom Waits: Benjy Ferree schafft mit seinem Debüt “Leaving the Nest” den Spagat und bietet damit das interessanteste Folkalbum des noch jungen Jahres.“

Das meinen wir heute: An Benjy Ferree bleibt alles anders. Sein sonderbarer Folk hat sich über die 365 Tage erhalten. Weil er so fernab alle Klischees Musik machen kann.

Alben des Monats Februar:

1: Jamie T: “Panic Prevention”

Das sagten wir damals: „Mit „Panic Prevention“ ist Jamie T – wie in unserer Jahresvorschau erhofft – ein fantastisches Debütalbum gelungen, auf dem mit „Sheila“ der größten The Streets Hit ist, den Mike Skinner nie geschrieben hat und das gerade ob seiner Vielfalt besser unterhält als alles andere im Februar 2007.“

Das meinen wir heute: Auch im Januar 2008 macht dieses Album noch Spaß. Kommt erst wieder Sommer und Sonne werden wir auch Panic Prevention wieder auflegen und vermehrt in Gedanken den hübschen Mädchen auf der Straße hinterherpfeifen, während wir uns an unserer Bierflasche festhalten im Wissen, dass es Jamie genauso machen würde. (Platz 7 bei den Alben des Jahres)

2: Arcade Fire: “Neon Bible”

Das sagten wir damals: „Wer in der Kirche sitzt, sollte nicht mit Loorbeeren werfen: Kanadas exklusivster Musikexport legt mit “Neon Bible” nach. Ob “Neon Bible” ein neues Meisterwerk ist? Schwer zu sagen, die Zeit wird es zeigen. Zumindest für den Moment hätte Arcade Fire nicht besser nachlegen können.“

Das meinen wir heute: Weiterhin bleiben Arcade Fire das wohl außergewöhnlichste Musiker-Kollektiv, das zur Zeit tourt. „Neon Bible“ hat zwar inzwischen ein paar Schwachstellen offenbart – aber „Ocean of Noise“ wird wohl auf Jahre ungeschlagen bleiben.

3: Dustin’s Bar Mitzvah: “Get Your Mood On”

Das sagten wir damals: „“Get Your Mood On” zieht auf eine unverwechselbar britische Art die frühen Platten der New Yorker Genre-Urväter Ramones als Referenz heran und freut sich mit der Unbändigkeit der Jugend an kleinen, schnellen, schmutzigen, rumpelnden Songs. Macht die Bierflaschen auf, Dustin’s Bar Mitzvah sind in der Stadt!“

Das meinen wir heute: Die wilde, unbändige Jugend, sie kann nicht ewig dauern. Wenige Wochen nach Albumveröffentlichung spielten die Dustins ein legendäres, mehr berüchtigtes denn berühmtes Konzert in Berlin und lösten sich sofort danach auf. Sie brannten kurz, sie brannten hell, sie tranken viel.

Alben des Monats März:

1: The Rakes: “Ten New Messages”

Das sagten wir damals: „Alan Donohoe formuliert treffend wie kein zweiter diesen ganzen Mist, der da draußen vor sich geht. Passend, dass die Briten das zweite Album nun mit “The World was a mess but his hair was perfect” eröffnen. The Rakes sind des Fight Clubs Edward Norton zum Brad Pitt von Franz Ferdinand. Die Wahrheit. Die schlaflose, traurige Wahrheit.“

Das meinen wir heute: Ein hervorragendes, leider gänzlich unbeachtetes Album. Das beste Zweitwerk des neuen britischen Post-Punk-New-Wave, der die letzten Jahre beherrschte. Mit Ausnahme von Franz Ferdinand, vielleicht. Brad Pitt mag eine Lüge sein, gut aussehen tut er aber immer noch. (Platz 10 bei Popblogs Alben des Jahres)

2: LCD Soundsystem: “Sound Of Silver”

Das sagten wir damals: „James Murphy untermauert im schnelllebigen Hype- und Electro-Geschäft seine Vormachtstellung. Mit seinem Produktionsteam und Label DFA war er für die erste Post-Punk-Welle verantwortlich und ist über seine Produktionen maßgeblicher Einfluss für die zweite Welle, die in England nun New Rave genannt werden mag und schreibt unter eigenem Namen dazu noch sehr gute Alben. Murphy ist der Timbaland und der Pharrell des Post-Punk. Die alten Griechen hätten ihn Midas gerufen, mit seinem Sound Of Silver.“

Das meinen wir heute: Platz 3 in den Jahrescharts des Popblogs spricht Bände – dieses Album wurde über die Monate besser und besser. Hatte man ursprünglich nur die Discoknaller verstanden, schlichen sich die kontemplativen, zweiflerischen Stücke (All My Friends, Someone Great, New York I Love You) Monat für Monat weiter in den Vordergrund. Noch nie konnte man so gut zur Midlifecrisis tanzen.

3: GoodShoes: “Think Before You Speak”

Das sagten wir damals: „“Think Before You Speak” ist intelligenter, unzweifelhaft britischer Pop, der sich auf XTC wie die Futureheads rekurriert und dabei im gleichen Moment ungemein eingängig als auch ob seiner Reduktion verwirrend und verstörend wirkt. Zuckerbrot und Peitsche in Albenform.“

Das meinen wir heute: Definitiv eines der Alben, das gekommen ist, um zu bleiben. Eine der angenehmsten Überraschungen in einem schwachen britischen Gitarrenjahr. Gerade die Reduktion in Songlänge und Instrumentierung, die die repetitiven Lyrics unterstützt, hat sich als langlebige Idee erwiesen.

Alben des Monats April:

1: Shitdisco: “Kingdom Of Fear”

Das sagten wir damals: „Doch auf Albumlänge bringen Shitdisco nun erstmals New-Rave–Ästhetik und -Sound überein. Wie bei den Klaxons schwirren Sirenen durch die Nacht, sind die Punkgitarren am Start und werden darüber im Falsett Hymnen aus Absurdistan intoniert. Der Irrsinn hat ein Zuhause und das heißt Shitdisco.“

Das meinen wir heute: Kingdom Of Fear ist immer noch kein schlechtes Album, aber die frühen Singles und EPs sowie die Liveauftritte von Shitdisco sind doch bei weitem unterhaltsamer.

2: Feist: “The Reminder”

Das sagten wir damals: „Feist beweist, dass Singer/Songwriter-Pop durchaus für die breite Masse verfügbar sein kann und sich Folkmusiker, vielleicht besser als andere, als Role-Models eignen. Auf der einen Seite die für Coverseiten geeignete Schönheit, auf der anderen die versierte Musikerin und Künstlerin. Warum dieser Spagat allerdings zu Lasten der Künstlerin gehen soll, wie neuerdings häufig zu vernehmen, ist mir noch nicht so recht begreiflich. Zu Lasten der Kunst jedenfalls geht es nicht. “The Reminder” beweist das.“

Das meinen wir heute: Die ununterbrochene Kaffee-Haus Beschallung und die unzähligen Werbeclips haben ihre Spuren hinterlassen. Feist nutzt sich eben doch irgendwann ab.

3: Blonde Redhead: “23”

Das sagten wir damals: „Mit „23“ stellen Blonde Redhead einmal mehr unter Beweis, dass sie zu den geheimnisvollsten und vor allem schönsten Lethargiker unserer Zeit zählen. „23“ legt man für nicht weniger als 43 Minuten auf.“

Das meinen wir heute: Seit 23 finde ich bei jeder zweiten Band Blonde Redhead Anleihen. Vielleicht spinne ich auch, aber es kommt mir so vor, als hätten die extrem abgeliefert!

(Autoren: Christian Ihle, Robert Heldner, Säm Wagner, Louis Parker, Horst Motor)

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kommentare

  • als einer, der „neon bible“ auch in einem 10-jahresrückblick eine prominente platzierung in den top 5 zusprechen würde, tät mich eine nähere erläuterung bezüglich der entdeckten schwachstellen natürlich sehr interessieren. ob sich da noch was nachreichen ließe? bin gespannt wie ein flitzebogen 🙂

  • Schade, kaum Selbstkritik. Sogar Jamie T darf nochmal gelobt werden – die alten Gäule bekommen eher Zuckebrot als Peitsche.

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