vonChristian Ihle 09.08.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Mae Shi
(The Mae-Shi, Photo: Amund Ostbye)

Auf, auf! Auf die gruenen Wiesen im Herzen Oslos. Wir wollen Rock. Wir wollen Roll.
Nachdem Ane Bruen uns zunaechst beinahe gleich wieder vertrieben haette, kommt gluecklicherweise ein Indie-Doppelpack, der ansteckend, wild, wirr, chaotisch sein wird.
Zunaechst unsere blutjungen Freunde von Los Campesinos!. Die englisch-walisische Siebenmannband geht mit juegendlichem Enthusiasmus an das Erbe der C86-Generation heran und produziert mit Geige, Keyboard, Glockenspiel, Gitarre und Geschrei, immer wieder Geschrei wunderbarsten Indie-Pop, der spaetestens bei “You! Me! Dancing!” auch am fruehen Nachmittag das norwegische Publikum vollends infiziert. And I never cared about Ian MacKaye / Calvin Johnson never meant anything to me / but the International Tweecore Underground will save us all!.

Ziemlich sicher haben sich dagegen The Mae-Shi in ihrer Jugend fuer Ian MacKaye interessiert, sind doch die (Post-)Hardcore-Einfluesse trotz allem Pop immer noch deutlich herauszuhoeren. The Mae-Shi koennen in einer Sekunde Melodieseligkeit per mehrstimmigen Gesangs verbreiten, nur um direkt danach loszubruellen wie die Blood Brothers. Einen energiegeladeneren Auftritt wird man dieses Festival nicht mehr sehen, fantastisch.

Weniger wildem Geschrei, dafuer aber auch wirrem Ausdruckstanz zugewandt ist der junge Blog-Liebling Lykke Li, die allein dafuer Punkte bekommt, Vampire Weekend zu covern und mit ihrem eigenen Hit “Dance Dance Dance” zu verschmelzen. An Dance war dagegen nicht einmal in einfacher Ausfuehrung bei Iron & Wine zu denken, der grossen Enttaeuschung des heutigen Tages. Was fuer wundervolle, einfache Songs hat der baertige Amerikaner doch einst produziert als er allein mit seiner Gitarre auf der Buehne stand. Was aber soll denn bitte diese Achtmannband, die jeden Song in ein anderes Soundgewand kleiden will? Einmal World Music, dann wieder Reggae, gefolgt von Mississippi-Blues. Ueber jeden dieser Songs walzt die backing band drueber als gaebe es kein tomorrow. Von Singer/Songwriter-Geheimtipp zu mundgerechtem musthave fuer das linke Bildungsbuergertum. Ein Aergernis.

Wenigstens unpraetentioes bleibt dagegen die Hoffnung der norwegischen Szene Ida Maria mit ihrem amtlichen Rock. Fuer “*I like you* sounds better when you are naked” und “Oh My God” wuerde das amerikanische Management von Avril Lavigne wahrscheinlich Millionen zahlen. Und das ist immer noch sympathischer als die Gigantomanie der nachfolgenden Kaizers Orchestra, deren groesstes Verdienst ist, dass wir nun fuer immer dankbar sein werden, dass Die Toten Hosen wenigstens nie auf die Idee gekommen sind, wie wild auf Muelltonnen einzutrommeln.

Minuten spaeter auf der Nebenbuehne dafuer eine Offenbarung: Girl Talk. Ein DJ-Set? Bastard-Pop? Whatever.

Girl Talk ist trashigster White Trash und legt doch ein Set auf, bei dem man nur noch durchdrehen kann – wie es auch die Hundertschaft an Konzertbesuchern macht, die nach 10 Minuten vor Begeisterung die Buehne stuermt und sich den letzten Anstand aus dem Leib tanzt. Faellt auch nicht schwer: bis zum Ende des Konzertes wird Mister Girl Talk selbst sich das Muskelshirt zerrissen und die Hose weggetanzt haben. Letzteres ist im uebrigen kein sprachliches Bild, er tanzt und springt tatsaechlich bis die Hose faellt. Gluecklich heben die Buehnenstuermer Girl Talk nach seinem Set in die Luft und tragen ihn von der Stage. Unfassbare Bilder, grossartige Musik. Girl Talk rules the world.

Girl Talk
(Girl Talk wird nach dem Auftritt von der begeisterten Menge von der Bühne getragen, Photo: Jan Erik Svendsen)

Die Stilkritik:

* Ane Brun: eine Mischung aus Folkfrollein und Rotkaeppchen. Kann nicht jeder tragen, Ane Brun zum Beispiel nicht.

* Los Campesinos: die Jungs unauffaellig, die drei Girls mit Hang zum Rock. and Roll.

* The Mae-Shi: baertige Nerds, aber in Teilen schon ueberdurchschnittlich gut aussehend.

Lykke Li

* Lykke Li: bizarr ausladendes schwarzes Kleid, das waehrend ihrer Ausdruckstanzversuche doch gefaehrlich wallte. Hatte man sich anders vorgestellt, als sie in “Little Bit” and for you i keep my legs apart sang.

* Ida Maria: Ein blindes Truck Stop Mitglied haette mehr Glueck beim Griff in den Kleiderschrank. Ida Maria ist dann doch der Beweis, dass Maedchen eben nicht gut & stylish aussehen muessen, um Erfolg zu haben. Dafuer ein Dankeschoen.

* Girl Talk: White White Trash Trash. In Vollendung. Sleeveless Shirt zu knielanger grauer Jogginghose, weißen Socken und danach nur noch mit grauer Unterhose bekleidet. Im Trailer Park (oder Berlin-Mitte) wahrscheinlich der Hit.

(Christian Ihle)

Mehr Oya:
* Tag 2: Don’t say motherfucker, motherfucker
* Tag 3: Trashing Days
* Tag 4: Don’t Piss On Me And Tell Me It’s Raining
* Festrest: Love Is The Egg

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