vonChristian Ihle 23.09.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Ja, es mag vielleicht gewagt sein, ausgerechnet dieser Tage mit einer – zumindest für den deutschen Markt – revolutionären Idee aufzutreten, die das bandeigene Album finanzieren soll und sich des Aktienmarkt-Vokabulars bedient.

Vor einigen Jahren galt die Kölner Band Angelika Express einmal als Hoffnung für den deutschen Indie-Pop, hatte einige sehr hübsche Teenage Fanclub bis Francois Truffaut zitierende Texte sowie den großen Peter Hein als Gastsänger im Gepäck, doch so richtig durchstarten wollte das Projekt nie. Nach Album Nummer Zwei hieß es 2005 dann „Klappe zu, Angelika tot“ und man dachte, das isses nu’. Aber wie diese rheinischen Frohnaturen nun mal so sind, lassen sie sich den Spaß am Auftreten nicht nehmen. In neuer Besetzung mit altem Mastermind Robert Drakogiannakis wurde 2008 das Projekt unter dem gleichen Namen wiederbelebt. Erst wurden einige Songs über die Homepage verschenkt und Auftritte absolviert bis nun „der Plan“ gereift ist: von der britischen Band Morton Valence wurde die Idee geklaut, sich das Debütalbum von Angelika Express Mk 2 nach dem Shareholder-Prinzip finanzieren zu lassen. Meint: Fans/Interessierte kaufen sich vorab eine „Aktie“ an Angelika Express. Der Erlös wird in die Albumproduktion gesteckt, die Aktieninhaber erhalten nach Erscheinen das Album kostenlos sowie 80% des anfallenden Gewinns durch Album-/Downloadverkäufe.

Maximal 500 Aktien werden ausgegeben, womit AE ein Produktionsetat von 25.000 € zur Verfügung steht. Interessant wird es nun, die Shareholder-Seite zu betrachten: 50 € investiert der geneigte Fan in das Albumprojekt und erhält dafür ein Album sowie die angesprochene Gewinnbeteiligung. Bei einem handelsüblichen Preis von 15 € stehen effektiv 35 € auf dem Spiel, die es zu refinanzieren gilt. Bisher hat Angelika Express noch nicht formuliert, wie sie den Gewinn ausweisen bzw. welche weiteren Kosten den Einnahmen gegenüberstehen – bei 500 Aktionären à 35 € müsste der Gewinn jedenfalls 17.500 € betragen, damit die Anteilseigner in den Plusbereich gelangen. Die interessante Frage, die ohne Kenntnis der Kostenstruktur nicht beantwortet werden kann, wäre natürlich wie viele Platten AE verkaufen müsste, um den Break-Even zu erreichen. Dass es sich dabei auf jeden Fall um eine für heutige Verhältnisse recht ordentliche Menge handeln dürfte, wird klar, wenn man allein nur den Verkaufspreis durch die zu erzielende Summe teilt: selbst wenn keine weiteren Kosten anfallen würden und die 15 € pro Albumverkauf tatsächlich der Gewinn wären (die Angelika-Express-Seite spricht allerdings nicht von 80% der Einnahmen, sondern von 80% des Gewinns), müssen vierstellige Verkaufszahlen zustande kommen. Setzt man „15 € Einnahmen“ = Gewinn an, betrüge die Aktionärseinnahme pro Platte 12 € (= 80%). Um die eingesetzten 17.500 € bei einer Einnahme von 12 € pro Platte zu refinanzieren, benötigte man bereits 1.459 abgesetzte Einheiten.

Dem entgegen steht aber natürlich für 500 Fans der ideelle Mehrwert, eine neue Angelika Express Platte ermöglicht zu haben. Auch wenn wir an einem finanziell glücklichen Ausgang für die „Aktionäre“ zweifeln, applaudieren wir dennoch der cleveren Idee. Man darf gespannt sein, ob und wie sich das Projekt weiter entwickelt. (Christian Ihle)

Angelika Express im Popblog:
* Die schlechtesten Liedtexte aller Zeiten

Im Netz:
* Homepage
* Indiepedia

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2008/09/23/auf_zur_indie-wallstreet_mit_angelika_express/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Haha, was ist denn bitte dann im Umkehrschluss unwahres Interesse? Ich nehme einmal ganz naiv an, jedes Interesse, das nicht von der rosa Fanbrille getrübt ist, ja? Das ein Projekt, das sich als Investition anpreist, eine höhere Gewinnwahrscheinlichkeit als eine Lotterie hat, das möchte ich jedenfalls hoffen. Geringer wäre ja auch noch alberner.

  • Schön geschrieben Christaian, weniger schön Daniel. Verfolgte man das Geschehen mit wahrem Interesse, konnte man schon ein wirkliches Interesse seitens der Fans beobachten, und das war bereits mit der Online Offensive wiederhergestellt: Jede Woche ein neuer Song, und den zum Gratisdownload. Da war noch nix mit Aktien… Und Wirbel muss man halt auch ein wenig um sich selbst machen, sonst kann man den Entertainmentbereich doch gleich verlassen! Die Songs jedenfalls sind stark genug, dass sie womöglich mehr als nur die Kosten einspielen. Ich würde sagen, hier ist man sicherer als in der Lotterie.

  • Daran zweifle ich keine Sekunde. Meine Geld-Erhalt-Frage galt auch eher den „Investoren“, ob bei denen jemals etwas von den avisierten „80% Gewinn“ ankommen kann. Glaube: nein.

  • Vermutlich ist das Ziel doch gar nicht, das Geld zu erhalten, sondern genau die Öffentlichkeit, die du hier herstellst, Christian. Wenn hätten AE nach den belanglosen Soloausflügen von Drakogiannakis noch interessiert? Genau, keinen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert