vonChristian Ihle 07.11.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Punks und Touristen teilen sich das Problem der Unmöglichkeit: wo im Punk gemeinhin Regeln aufgestellt werden, wie man Regeln zu brechen habe, ist der Tourist am liebsten an Orten, an denen es keine Touristen gibt. Der jüngst erschienene Indie-Travel-Guide versucht zumindest letzterem Abhilfe zu schaffen.

Die Idee ist natürlich auch großartig: endlich einen Reiseführer herauszubringen, der weder eine Rundreise aus Kirchen und Museen darstellt, noch einen lonelyplanetgleich den Backpackerzufluchten und Hippiefängen zuführt oder dem trendigen „must see“-Abhaken der seligen Zeitschrift Max entspricht.

IndieTravelGuide

Da die Damen und Herren Indie-Traveller neben der Aussicht auf die besten Plattenläden der Stadt am meisten eben doch durch ihre geliebten Bands zu locken sind, kamen die Herausgeber auf die Idee, die jeweilige Stadt von dort wohnenden Musikern vorstellen zu lassen. Auch das hat einen gewissen Charme: es vermittelt jene Authentizität und Glaubwürdigkeit, nach denen das Indievolk so dürstet und befriedigt zudem noch die heimliche Stalkereigenschaft eines jeden.

Stünde die Stadtführung durch eine Band neben dem klassischen Reiseführer hätte man das beste aus zwei Welten. Leider haben es sich die Autoren in dieser Hinsicht zu einfach gemacht, da die Bandführung den kompletten Inhalt stellt. Damit ist der Leser nicht nur gänzlich auf die Vorlieben der jeweiligen Band eingeschränkt, es fehlt – natürlich – jede kritische Würdigung des Vorgestellten.
Das zweite Problem des Indie-Travel-Guides liegt im Handwerklichen: die Stadtvorstellung ist im Grunde nichts anderes als ein Interview mit einer Band, in dessen Verlauf strukturiert mehrere Punkte abgefragt werden (Beste Plattenläden? Beste Bars? Besondere Sehenswürdigkeiten? etc.). Haben die Sportfreunde Stiller (wenig überraschend) keine Empfehlung hinsichtlich der besten Schuhläden Münchens, so wird das Fragenkonzept dennoch durchgezogen, auch wenn die Antwort eben eine – in diesem Fall hübsch formulierte – Leerstelle wird. Mangelnde Eigenrecherche ist nicht durch den fehlenden Mut zum Wegstreichen zu kompensieren.

Nimmt man den Indie-Travel-Guide nun als eine Art Sammlung von Interview mit Indiebands über ihre jeweilige Szene und Stadt wahr, also sozusagen ein „Astrid Vits der Szenekunde“, ärgert eine andere Nachlässigkeit: die Interviews scheinen kaum redigiert zu sein. Selbst wenn wir leichte grammatische Fehlerlein überlesen wollen, stört die 1:1-Übertragung des gesprochenen Wortes in Schriftdeutsch den Lesefluss enorm. Es bereitet wenig Freude, einen – beliebig herausgegriffenen – Text der Wiener Band Jonas Goldbaum zu lesen:

„Samstags gibt’s dort einen super großen Flohmarkt. Der startet um fünf Uhr früh. Du bekommst dort alles. Von exotischen Früchten bis zu sonstigem Multi-Kulti. Dort treiben sich viele Künstler und junge Leute rum. Es gibt dort auch eine Menge Lokale, in denen ihr nett essen könnt. (…) Im Sommer ist das der Platz zum Abhängen. Dort gibt’s einen Hof, in dem stehen so Wannen, in die ihr euch reinsetzen könnt. Dort sind immer junge Leute mit Wein und Bier. Ihr könnt euch auch toll sonnen. In den Nebengebäuden gibt es witzige Shops, in denen ihr euch z.B. freakige alte Computerspiele kaufen könnt. Total vielfältig, total nett.“

Noch einmal: eine sehr gute Idee, die sicherlich auch für das Erste eine gewisse Berechtigung hat. Doch wären wir hocherfreut, wenn in der zweiten Auflage etwas mehr recherchiertes Inhaltsfleisch dem Bandinterviewskelett anwächst und die Gespräche in Schriftdeutsch übertragen werden. Die Interviews könnte man ja parallel als Podcast anbieten. Da entfalten sicherlich auch Jonas Goldbaum dank eines Wiener Dialekts ihren Charme und was gelesen noch nervte, mag leiwand klingen.

Christian Ihle

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