Es ist beinahe ein wenig zum Heulen, dass die theoretisch perfekte Festival-Location des Flughafen Tempelhof durch Fehlplanung und Gerichtsurteile von einem Thema dominiert wurde: dem Sound.
Die ursprünglich im Freien geplante Hauptbühne wurde in einen riesigen Flugzeughangar verlegt und die zweite Bühne musste so gedreht werden, dass sie die Betonwand des Flughafens beschallte. Ein Albtraum für Mischer, keine Frage.
Insbesondere am ersten Tag mussten die Acts in der Haupthalle mit einem derart schlimmen Soundbrei kämpfen, dass beispielsweise der Auftritt der These New Puritans einem 45-minütigen Instrumentalset glich. Auch der gute Dendemann hätte auf Suaheli rappen können und man hätte nicht weniger verstanden. Dass ausgerechnet der unberechenbare Doherty um die Ecke kommen muss, um den ersten Festivaltag zu retten, sagt wohl genug.
Offensichtlich wurde über Nacht doch noch einmal am Sound gewerkelt, so dass Tag 2 zumindest auf der Nebenbühne ordentlich, auf der Hauptbühne leidlich gut funktionierte. The Thermals spielten ihren hymnischen Schrammelpunk so gut es ging am späten Nachmittag und waren trotz eines guten Sets aber nur zweite Sieger gegen das, was 1000 Robota mehr oder minder zeitgleich auf der Nebenbühne vorstellten. Natürlich sind die drei Hamburger – und vor allem Sänger Anton Spielmann, der jüngste Soziopath Deutschlands – immer noch unerträgliche Idioten und selbst der Pazifist in einem möchte ab und an Spielmann das Mikrofon aus der Fresse schlagen, aber dennoch: sie sind die beste Band des Landes. War schon das Debütalbum eine Offenbarung sind die vielen neuen Stücke, die die Hamburger auf dem Berlin Festival spielen, sogar noch überraschender. Zum tighten Gang Of Four – Shouting gesellen sich auf einmal Gitarrenwände, bei denen man sich fragt, wie sie diesen Sound überhaupt in dieser minimalistischen Besetzung so brillant hinbekommen. Nachdem die parallel beginnenden The Rifles schön, wenn auch mit nationalistischem Unterton, beleidigt (und parodierend nachgespielt) wurden, spielen 1000 Robota den letzten Song des Abends und tauchen in Neu!-Welten ab. Wenn man Spielmanns Bühnenansagen glauben darf, wäre das zweite Album längst fertig, aber das Label will es nicht veröffentlichen – mag man kaum glauben, hört man diesen Auftritt.
Ebenfalls überaus interessant präsentieren sich Micachu & The Shapes mit ihrem Liliput-goes-DIY-Hip-Hop Ansatz. Immer leicht weird, aber doch mit genügend melodischen Haken, dass man in den Songs hängenbleibt.
Der große Höhepunkt des zweiten Abends war dann aber selbstverständlich der Mann mit den Jesus-Christus-Initialen (der aber dennoch den Abwasch macht): Jarvis Cocker. Mädchen jeden Alters verlieben sich in Jarvis, macht er nur den ersten Hüftschwung, das erste linkischperfekte Zappeln, die erste seiner berühmten Handbewegungen. Es ist ein Zeichen seiner Güte als Entertainer, als Lichtstreif am dunklen Himmel eines jeden cordjackentragenden Nerds, dass er nicht einmal gute Songs braucht, um ein fantastisches Konzert zu spielen. Das okaye neue Album macht den Großteil der Setlist aus, „Fat Children“, „Don’t Let Him Waste Your Time“ und „Black Magic“ von Solo-Album-Nummer-Eins komplettieren seinen Auftritt. Im Gegensatz zu Doherty also kein wildes Wühlen im eigenen backcatalog, aber dafür mit „I Never Said I Was Deep“ und „Leftovers“ zwei grandiose Versionen neuer Stücke. Er mag die gleichen Initialen wie Jesus haben, aber auf der Bühne ist er: Gott.
Da können die im Anschluss bei absurd großem Publikumsandrang spielenden Deichkind nicht mithalten. Ihr Cirque-du-Soleil-Electro-Trash-Hop ist für zehn Minuten amüsant anzusehen, aber leider eben musikalisch auch derart öde, dass alle Trampolins und Neonfarben dieser Welt nichts retten können. Mehr Schwarzlicht bitte. Für immer.
Unbeschädigt von allen Soundproblemen war die Aftershowparty am Sonntag abend im Festsaal Kreuzberg dann noch einmal eine Offenbarung. Nicht nur dass Crystal Antlers einen mitreissenden Psychedelic Punk spielen, der die 13th Floor Elevators stolz machen würde, nein, HEALTH aus Los Angeles präsentieren im Anschluß ein derart wirr-gutes Set mit der mächtigsten Percussion, die Berlin seit Jahren gesehen hat. Die lauteste Band diesseits von T-Shirt-Tragen: like Godzilla on drugs, dancing like a madman.
(Text: Christian Ihle, Fotos: Martin Brommont)
Nun, da ich nicht in den Grenzen von 1939 denke, zähle ich Ja, Panik tatsächlich nicht als deutsche Band.
Abgesehen davon: Ja, Panik werden hier hochgeschätzt, mehr als beinah jede andere Band.
Beispiele?
* Eine Hymne, verkleidet als Plattenkritik: http://blogs.taz.de/popblog/2009/10/30/album_des_monats_oktober_platz_1_ja_panik_-_the_angst_the_money/
* und sogar unsere Auszeichnung als Bestes Album des Jahres 2009: http://blogs.taz.de/popblog/2009/12/27/die_zehn_besten_alben_2009/
(„das beste deutschsprachige Album seit Jahren“)