vonChristian Ihle 14.01.2010

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Nachdem wir jedes Jahr aufs neue nach den möglicherweise großen nächsten Dingern fahnden, dachten wir uns in diesem Jahr: fragen wir doch mal die verehrten Kollegen aus Blog- und Zeitschriftenland, welche Künstler für sie die heißesten Tipps der nächsten zwölf Monate sind. Heute: die Kollegen Blog von Spreeblick, Sounds Like Me und Coffee & TV, sowie Ex-Tonspion und Jetzt-DJ:

Daniel Erk vom Hitlerblog und dem Sounds Like Me Popblog tippt:

Afrikan Boy (MySpace)

afrikanboy

Afrikan Boy, der ’89 geborene und in London Psychologie studierende Nigerianer Olushola Ajose, hat seinen ersten Schritt ins Rampenlicht an der Seite von MIA in “Hussel” gemacht und mit seinem Rappart auf “Paper Planes (Remix)” (“I am a legend, something like Jay Jay Okocha / the greatest hustler on earth I know is my mother” etc.). Nun, da Weltmusik – dieses musikalische Pendant zum politischen Mitleid mit der dritten Welt – ausstirbt und stattdessen von lokalen Rap- und Popvarianten abgelöst wird und da sowieso das Jahr Afrikas kommen wird, wird Afrikan Boy ein großes Ding.

Das Debütalbum wird “1444 Musik” heißen, und – wie die Spex schreibt – der Titel dürfte sich auf die Eröffnung des »Mercado de Escravos«, des ersten europäischen Sklavenmarkts in Lagos, Portugal im Jahr 1444 beziehen.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=nLCYdJQ0gRc[/youtube]
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Anhören:
* Lagos Town
* One Mic

Das Blog Spreeblick tippt:

Django Django (MySpace)

Ich hab’ ein Herz für Art School-Bands. Das liegt unter anderem daran, dass ich Bands mag, die einem Gesamtkonzept folgen. Künstler die, bevor sie ihre erstes Album veröffentlichen, um ihren zeitgenössischen Platz wissen, weil sie das Drumherum außerhalb des Proberaums kennen und antizipieren. Das kann in der Nebenwirkung dazu führen, dass Art School-Bands aus dieser ständigen Selbstreflexion heraus noch prätentiöser als ihre Artgenossen aus den Secondary, Grammar Schools und geisteswissenschaftlichen Kursen sind. Aber wer will das ernsthaft einem David Bowie oder Brian Eno vorwerfen.

All dieses Spezialwissen bedeutet für die Musiker unter den Kunsthochschülern schließlich auch einen hohen Neuerungsdruck, mit dem die Meisten weniger gut klar kommen und – auch das typisch für eine Art School – wider besseren Wissens eine Menge Dreck produzieren. Und wir letzten Endes froh sein können, dass es die ein oder andere Noisecore-Band am Ende des Semesters nicht aus dem Keller des Photostudios hinaus ans Tageslicht geschafft hat.

Roxy Music, Velvet Underground, Talking Heads, DEVO, Cream – wenn Art School-Bands den Durchbruch schaffen, dann verändern sich Genres maßgeblich. Das letzte Mal als das passierte, brachten Franz Ferdinand Mitte der letzten Dekade die Beatmusik zurück in die Indie-Diskos und mit Django Django könnten 2010 die nächsten schottische Kunststudenten den Dancefloor aufmischen.

Django Django, bei denen unklar ist, ob sich der Name von Sergio Corbuccis Spaghetti-Western-Klassiker, dem Web-Framework oder Spitznamen des Hertha-Verteidigers Christoph Janker ableitet, wirken wie ein Amalgam neuerlicher Genre-Einflüsse und sind doch referentiell nur äußerst schwer zu greifen. Irgendwo zwischen Orange Juice und Hot Chip erkennt das englische Dummy Magazin, und meint damit den Hang der vier Schotten zum hypnotisch einprägsamen, weil melodiösen Gesang und minimalisierter Instrumentalisierung. Eine generelle Einordnung fällt schwerer, da die bisher im Netz verstreut zu findenden Songs zwar die zuvor genannten Eigenschaften gemeinsam haben, darüber hinaus aber grundverschieden sind. “Storm” zum Beispiel erinnert in seinem repetitiven Aufbau, dem polyphonen Gesang und seiner schlichten Hithaftigkeit an die Szene aus dem “High Fidelity”-Film in der Rob im Plattenladen die Stiffed Little Fingers Platte austauscht und ankündigt: “I will now sell five copies of the “The Three EPs” by The Beta Band,” und damit sogar Recht behalten hätte, wenn er darauf nicht die fliehenden Skater-Dieben verfolgen müßte. So wie Rob von der Beta Band überzeugt ist, so überzeugt bin ich inzwischen von Django Django, auch wenn ich kaum mehr als drei Songs und ein paar Mixetapes kenne.

“Love’s Dart”, B-Seite auf der 7”, ihrer bisher einzigen Veröffentlichung, schlägt in eine ganz andere Kerbe als der Beta Band Verweis “Storm”. Archaische Drumloops bestimmen den Titel von Anfang bis Ende. Sie beginnen mit einem Rasseln und ein Etwas, das wie die zwei Kokosnüsse aus dem Grundschul-Musikuntericht klingt, folgt und unvermittelt ist man mitten drin in der Westernwelt Ennio Morricones (und hätte damit nachträglich vielleicht auch die Namensherkunft geklärt), in der gelborange-staubigen Szenerie Südspaniens, mitsamt drückender Sonne, flimmerndem Horizont, Kakteen und im Wind wippenden Kulissen. Ein tanzbares “The Wild Horde” wenn man so will. Tanzbar und dabei doch so unaufgeregt laid-back. Da fällt es schwer sich vorzustellen, wie Django Djange die Songs in ihren Wohnungen im wuseligen Dalston, Londons neuestem Hippsterviertel, ganz im Sinne des DIY aufgenommen haben wollen, denn im East-End machen die meisten jungen Kunststudenten gerade alle irgendetwas noisiges mit jeder Menge Geschrei. Vielleicht können Django Django dieses Jahr sogar im Fahrwasser des wohl kommenden Hot Chip Albums etwas Aufmerksamkeit erreichen und vielleicht sind sie eine dieser Ausnahmen, von denen man auch in ein paar Jahren noch sprechen wird. (Nico Roicke)

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=MaqC59u8vSs[/youtube]
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Downloads:
* via Dummymag
* via Pinglewood

Daniel Kinkartz (DJ Das Daniel, Ex-Tonspion-Redaktion) tippt:

The Golden Filter (Homepage)

Man spielt mit seiner Identität; taucht in Videoclips nicht selbst auf, verbirgt auf Pressebildern sein Gesicht und Informationen im Netz sucht man zunächst vergeblich. Mittlerweile weiß man, dass The Golden Filter ein New Yorker Disco-Duo ist: Penelope Trappes und Stephen Hindman. Sie spielen glitzeresquen Disco-Sound, der nach Romantik und Mystik klingt. Man möchte sofort aufspringen und ein wildes Geknutsche mit dem nächstbesten Spiegelball anfangen. Die erste Single „Solid Gold“ und das follow-up „Thunderbird“ mutierten bereits zu erstklassigen Blog-Hymnen. The Golden Filter müssen von der gleichen Zauberbowle gekostet haben, wie ihre musikalischen Nachbarn von Hercules & Love Affair und Glass Candy. Geremixt wurde übrigens auch schon fleißig; Golden Filter hatten ihre Finger u.a. an Empire Of The Sun, Little Boots und Cut Copy.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=IcO4DUSUWcA[/youtube]
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Anhören:
* Solid Gold
* Thunderbird

Das Blog Coffee & TV tippt:

Oh, Napoleon (MySpace)

ohnapoeloen

Rest der Republik: Es tut mir leid, aber Deutschlands beste Nachwuchsbands kommen nach wie vor vom Niederrhein – diesmal aus Krefeld.

Oh, Napoleon verfolgen das beliebte System „Jungsband mit Sängerin“, aber als Referenz sind Juli und Silbermond ganz weit weg und The Cardigans sehr viel näher. Die frühen Coldplay treffen auf Kathleen Edwards, Snow Patrol auf Jenny Lewis. Katrin Biniasch hat eine Stimme, bei der auch Menschen schwach werden, die sonst „nichts mit Frauenstimmen“ hören wollen, und sie singt so wundervolle Zeilen wie „There‘s a knife in my back and I‘m going to use it tonight“, die einen vor lauter Bildgewalt sprachlos zurück lassen.

Solche Musik erregt natürlich die Aufmerksamkeit der richtigen Leute und so ist nicht weiter verwunderlich, dass Marc Liebscher (Blickpunkt Pop) die Band unter seine Fittiche genommen, Oliver Zülch die Debüt-EP und das Album produziert und Tobi Kuhn (Miles, Monta) sonstwie seine Finger mit im Spiel hat. Bei ihren Auftritten im Vorprogramm von Starsailor, Kapartenhund und Virginia, Jetzt! haben die fünf Bandmitglieder um die Zwanzig die Headliner mitunter ziemlich alt aussehen lassen. Und die Plattenfirma ist natürlich nicht irgendeine Hinterhofklitsche, sondern gleich Universal.

Die Gefahr, mit anspruchsvollem Pop zum One-Hit-Wonder auf den Erwachsenenwellen der öffentlich-rechtlichen Landesanstalten zu werden, ist zwar da, aber nur theoretisch: Von den vier Songs der selbstbetitelten Debüt-EP sind mindestens zwei („To Have (To Lose)“ und „K“) überlebensgroß. Wenn das Album (irgendwann in der ersten Jahreshälfte 2010) eine ähnliche Hit-Dichte aufweist, sollte eigentlich nichts mehr schiefgehen. (Lukas Heinser)

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=6vQ5uvCFuiQ[/youtube]
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Anhören:
* To Have (To Lose)
* K

(Oh Napoleon Foto Credits: Nina Stiller)

Weitere Teile:
* 2010 – I Predict A Riot (Teil 1: Folk und Singer/Songwriter)
* 2010 – I Predict A Riot (Teil 2: Pop)
* 2010 – I Predict A Riot (Teil 2: Pop)
* 2010 – I Predict A Riot (Teil 3: US Indie)
* 2010 – I Predict A Riot (Teil 5: Gastautorentipps Netz)
* 2010 – I Predict A Riot (Teil 6: Gastautorentipps Print)

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