vonChristian Ihle 08.04.2010

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Man sollte doch denken, dass über 30 Jahre Bühnenerfahrung einen Sänger zur Entertainmentmaschine werden lassen. Doch bei Peter Hein, in seiner Karriere Frontmann von gleich vier deutschen Punk-Institutionen wie Charley’s Girls, Mittagspause, Family 5 und nun wieder Fehlfarben, ist es bei jedem Konzert das Gleiche: er wirkt immer, als kämpfe er mit sich, überhaupt auf der Bühne stehen und ein erwartetes Programm abspulen zu müssen. Zugegeben, es hat sich im Vergleich zu Auftritten in den letzten Jahren etwas normalisiert, aber immer noch scheint sich Hein gegen die Entertainmentmaschinwerdung zu wehren.

Das verstört, beunruhigt. Und verleidet natürlich auch den einfachen Spaß, weil indirekt ja gleich das ganze Konzept des Prinzips Abendunterhaltung via Konzertbesuch in Frage gestellt wird. Doch mit der Zeit legt Hein dann doch seine Berührungsängste ab und der Auftritt entwickelt sich von schwach-verstörend zu ordentlich-abliefernd bis begeisternd-mitreissend in den Zugaben. Dabei absolvieren die Fehlfarben ein erstaunliches Set, das mitnichten nur das sehr gute neue Album abspielt noch dem epochalen Debütalbum „Monarchie & Alltag“ allzu viel Platz einräumt, sondern eine ausgewogene Werkschau selbst ihrer verlorenen Jahre darstellt. Höhepunkt ist wie erwähnt dennoch die Zugaben-Folge mit „Die wilde 13“, das nahtlos in „Nichts erreicht meine Welt“ hineingespielt wird und von dem immer noch atemberaubend guten „Paul Ist Tot“ beschlossen wird.

(christian ihle, fehlfarben in nürnberg, 29.3.2010)

Fehlfarben im Popblog:
* Das Nein als Prinzip: Fehlfarben in concert 2007
* Album des Monats Februar 2010 – Platz 1: „Glücksmaschinen“
* Album des Monats Februar 2009 – Platz 2: „Hier und Jetzt – Live“
* Plattenkritik Handbuch für die Welt
* Die 10 besten Songs 2009

Auf der Bühne:
08.04.10 Leipzig – Werk 2
09.04.10 Berlin – Festsaal Kreuzberg
10.04.10 Düsseldorf – Zakk

Im Netz:
* Indiepedia
* MySpace

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https://blogs.taz.de/popblog/2010/04/08/fehlfarben_in_concert_2010/

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kommentare

  • Hab den alten Text schon vor dem Konzert gelesen und hatte einen deutlich „misanthropischeren“ Peter Hein erwartet. Nachdem er sich ein paar Mal die Nase gewischt hatte, meinte mein Nachbar „Der ist doch auf Koks!“.
    Die Assoziation traf auf die komplette Band zu, bis auf Fenstermacher und Pyrolator. Ich denke, die hatten gestern abend für ihr Image deutlich zu gute Laune. Und zuviel Spaß an dem, was sie taten.

    Ich beschwere mich darüber nicht, im Gegenteil. 😉

  • Nicht falsch verstehen: ich glaube auch dass Hein sehr wohl das gut und richtig findet, welchen Status er hat. Es war mehr so gemeint, was du auch ganz richtig bei Ein Jahr geschrieben hast: er kämpft damit, die EntertainmentMASCHINE zu geben, die einfach abliefert. darin fühlt er sich immer noch nicht wohl. Ich habe vor 7, 8 Jahren die Fehlfarben mal gesehen, als Hein nach Zuruf eines Liedwunsches aus dem Publikum zu dem Typen nur gemeint hatte: „Hey, ich bin nicht deine verdammte Jukebox“. Und das will er immer noch nicht sein, obwohl er andererseits natürlich sehr gerne diese Figur Peter Hein gibt/ist.

    Habe ich in einem älteren Text über die Fehlfarben (und dort dann auch noch mal in den Kommentaren etwas allgemeiner) tiefer & besser ausgeführt:

    http://blogs.taz.de/popblog/2007/06/09/das-nein-als-prinzip-fehlfarben-in-concert/

  • Gestern in Leipzig hatten Peter und die Farben ausgemacht gute Laune. Ein sehenswertes Konzert, und dass Peter kein Entertainer sein möchte, würde ich mal als Interpretation behandeln.
    Der einzige, der wirklich absolut so anti-entertaining war, dass es schon wieder Freude bereitete, ihn anzuschauen, war Pyrolator. Ohne Ton hätte man meinen können, einen dieser ländlichen Alleinunterhalter am Keyboard sitzen zu sehen. Was vielleicht auch an der Garderobe lag – selbstbemalte Herrenoberhemden im Schwarzlicht, die im Laufe des Konzerts immer mehr begannen, Hawaii-Hemden zu ähneln. Die Fehlfarben im Flippers-Outfit, das ist ja wohl mal Punk!

    Insgesamt ein sehr schönes, mäßig besuchtes Konzert mit einer gewöhnungsbedürftigen Vorband (Herpes) und einem echten Gänsehautmoment: die spielen tatsächlich „Ein Jahr“, auf der überdimensionalen Setlist im Hintergrund als „Nix geht mehr“ aufgelistet. Mir war die offensichtliche Selbstüberwindung, mit dem sie dem Publikum gaben, was es vermeintlich wollte (ich wollte das nicht hören!), beinahe körperlich peinlich.

    Fazit: Mit fast vierzich mein erstes Fehlfarben-Konzert. Hat sich gelohnt, vor allen Dingen die neue Platte bringt echten Drive ins Set.

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