vonChristian Ihle 22.04.2010

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Generell ist es hierzulande in Kenner- und Hipsterkreisen üblich, den NME zu schmähen. Denn wer will schon zugeben, dass ein britisches Wochenmagazin die eigenen musikalischen Vorlieben beeinflusst, das Klatsch, Text und Hype verbindet wie kein Zweites?

Doch immer noch ist – Pitchfork hin, Pitchfork her – der NME Schrittmacher der (gitarrenorientierten) Musik in England… und damit weltweit. Zwar leistet sich der NME manches Mal zuviel der Euphorie, doch andererseits hat er in seinen guten Zeiten Bands tatsächlich erst auf die Landkarte gesetzt. Bestes Beispiel für seinen Wagemut, der im Folgenden dann nicht für einige Monate eine Band zur wichtigsten des Planeten gemacht hatte, sondern im Grunde die komplette Musikwelt auf Jahre umkrempelte, ist die Covergeschichte mit den Strokes im frühen 2001. Als die fünf New Yorker noch nicht mehr als drei Demosongs als „Modern Age EP“ auf dem Indielabel Rough Trade veröffentlicht hatten, der NME aber die Eier besaß, die Strokes trotzdem mit einem (von Legende Pennie Smith geschossenen) schwarz-weiß Foto und der Überschrift „The Strokes. Why New York’s Finest Will Change Your Life – Forever!“ auf den Titel zu heben:

strokes nme

Wie sehr wünscht man sich, dass die deutsche Musikpresse ähnlichen Mut und Willen, sich aus dem Fenster zu lehnen, beweisen würde. Aber wann war zuletzt eine junge deutsche Band vor dem Debütalbum auf einem Cover von Rolling Stone, Spex, Intro oder Visions? Wann überhaupt?

Doch die kulturelle Signifikanz des NME schwand in den letzten Jahren. Einerseits wurde der NME von der Blogosphäre bedroht: die Meinungsmacher saßen nicht mehr zwangsläufig in einem Hochhaus in London, sondern genauso gut in einer Farm in Texas oder einem Keller in Sheffield. Bestes Beispiel waren die Arctic Monkeys: bis der NME sich zu einem Titelbild durchringen konnte (das klar an die vorhergehenden ersten Titelbilder mit den Strokes und Libertines mahnen sollte und so den Willen zur Verkündung einer neuen Zeitrechnung in sich trug), waren die Arctic Monkeys bereits da. Das Netz, ein Libertinesforum namens „dot org“ (und übrigens nicht MySpace, wie die Legende meist erzählt), hatte die Arctic Monkeys bereits zur Band einer Generation gemacht bevor der NME reagieren konnte oder wollte.

Neben dem schleichenden Bedeutungsverlust des NME ob der äußeren Begleitumstände, derer sich keine Zeitung entziehen kann, waren seine Probleme hausgemacht. In den letzten Jahren unter der Ägide von Herausgeber Conor McNicholas verkam der NME zu einem Klatschblatt mit grässlichem Layout. McNicholas trieb dem NME die Attitude aus – etwas Schlimmeres konnte dem Blatt nicht passieren. Das Magazin trieb orientierungslos durch die Musiklandschaft. Man versuchte Genres zu etablieren, die nicht existierten (Shroomadelica, anyone?) – und im Gegensatz zu früheren Zeiten gelang es dem NME eben nicht, eine journalistische Klammer zu finden, um den Eindruck einer nicht vorhandenen Szene den Lesern als Illusion zu schenken. Dass Bilder die Texte zunehmend verdrängten, wäre nur halb so schlimm gewesen, wäre in den Bildern wenigstens Kraft und Stil zu verorten gewesen! Stattdessen entwickelte sich das Layout des NME in Richtung kostenloser U-Bahn-Blätter, die ihre eigene Nichtigkeit schon mit ihrem Aussehen schreiend kommunizieren.

Kein Wunder, dass das Aufatmen allenthalben groß war, als Krissi Murison den Posten von Conor McNicholas Ende 2009 übernahm. Und tatsächlich: bereits in den ersten Monaten konnte man behutsame Änderungen verfolgen. Das kreischbunte Layout, das bisher offensichtlich blinde 15-Jährige fabrizierten, wich nach und nach einer klaren und einfacheren Darstellung. Die Textstrecken wurden länger, ruhiger. Das „Next Big Things“ – Heft im Januar 2010 war eines der besten seit Jahren.

Letzte Woche nun wurde mit einem Schlag der new New Musical Express verkündet, all die angedeuteten Entwicklungen zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammengeführt und mit einer Sonderproduktion von zehn verschiedenen Covern gefeiert, die alle signalisieren, wohin die Reise des NME gehen soll: Klare Bilder, wieder tastemaker, Standortverkünder werden und zwar über die Einheit von Text und Bild, der Ruhe des Blattes gegenüber der flirrenden Welt des Netzes.

Wenn es Krissi Murison nun noch gelingt zu den vorhandenen guten Redakteuren wie Emily Mackay, Gavin Haynes, Matt Wilkinson, Ben Patashnik oder dem Relikt Mark Beaumont neue, polarisierende Genies wie einst den großen Steven Wells (oder noch früher Nick Kent) zu finden, dann kann der NME trotz aller Widrigkeiten wieder werden, was er einst war: der entscheidende Platz, um die Welt für eine Idee bereit zu machen, aus ihr eine weltumspannende musikalische Bewegung zu schaffen.

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https://blogs.taz.de/popblog/2010/04/22/die_renaissance_des_nme/

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kommentare

  • interessante ansichten zum nme, aber ich denke pitchfork stellt nach dem abgang von stylus die speerspitze im aktuellen musikjournalismus.
    greets

  • Ich wundere mich auch immer, wie man das Prinzip Hype beim NME nicht verstehen kann. Man muss das Ding ja nur regelmäßig lesen, dann merkt man zwischen den Zeilen schon, was wie gemeint ist. Und auf der anderen Seite teilen sie ja auch stärker aus als all die anderen Magazine (so wie Brian Molko gern dann nur noch als “bald dwarf” bezeichnet wird), also ist das schon ok so. ist mir lieber als dieses ewig lauwarme Herumgeeiere, das man sonst oft in der Musikpresse bekommt. Anhören muss ich mir die Musik sowieso selbst und wenn sie mir nicht gefällt, ändert auch der NME nichts dran. Aber dass er mich manchmal eben erst dazu bringt, mir eine Band anzuhören, weil er so begeistert ist, das finde ich doch schön. So solls doch auch sein. Und ich freue mich auch andererseits darüber, wenn ich selbst eine Band gerne mag und die dann auf einmal vom NME begeistert gefeaturt wird (wie bei den Girls letztes Jahr oder in diesem Jahr mit den Smith Westerns sich das andeutet).

  • ich muss zugeben, ich hab die argen schmähungen gar nicht so mitbekommen (vermutlich häng ich aber auch zu wenig in kenner- und hippsterkreisen herum..), aber ich schätze den nme generell sehr. und dass ich nicht meinungen 1:1 übernehmen kann, sondern mir eine eigene bild ist sowieso klar. somit stört mich gehype auch nicht, wenn es übertrieben ist, merk ich das schon. im übrigen ist die leserbriefseite genial lustig! ich liebe diese pöbelei.

    das neue design erinnert mich übrigens stark ans spex.

  • Irgendeiner muss ja auch mal den NME verteidigen. Und die Entwicklung unter Krissi Murison ist wirklich sehr positiv: lustigerweise trug ich schon seit einiger Zeit den Gedanken in mir, so einen Artikel zu schreiben – unwissend, dass all die kleinen Verbesserungen schrittweise zum kompletten Relaunch führen sollten.

    Und mit den zehn wunderbaren Covern (v.a. von Laura Marling) war dann doch der nötige Aufhänger vorhanden.

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