vonChristian Ihle 05.06.2013

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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1. Der Film in einem Satz:


„Wenn mein Vater anruft, sag ihm, dass ich die nächsten Tage auf einem Workshop für sakralen Tanz bin“ …sagt die Diplomatentochter bevor sie die Arbeiterklasse im Kampf gegen das Establishment revolutionär unterstützt.



2. Darum geht‘s:


Der junge Gilles ist Sohn eines bürgerlichen Drehbuchautors, unterstützt aber in den frühen 70ern auf Seiten der Revolution die alten Kämpfe der 68er-Generation. Umstürzlerische Slogans werden an Schulen gesprüht, politische Artikel geschrieben und auch mit Molotow-Cocktails und Pflastersteinen gegen die französische Polizei agiert. Außerdem kennt der junge Gilles viele gut aussehende Hippie-Mädchen und zieht mit ihnen durch die Lande (wenn er wenigstens am Strand liegen würde statt durch Wälder zu flanieren, könnte man immerhin annehmen, Assayas wollte den alten Situationisten-Slogan „sous les pavés la plage“ mit zusätzlicher Bedeutung „aufladen“).





„Carlos“-Regisseur Olivier Assayas nimmt in „Die wilde Zeit“ eine stark persönlich gefärbte Sicht auf die Post-68-Jahre ein. Jene Jahre werden wie in einem subjektiven Weichzeichner präsentiert, in denen sein alter ego Gilles die ersten Schritte Richtung Erwachsenwerden nimmt. Im Gegensatz zu dem zur gleichen Zeit spielenden und mit einer ähnlichen Originialanmutungs- und Ausstattungs-Obsession arbeitenden „Baader Meinhof Komplex“ wird hier also gottlob keine Strichlisten-Chronologie der Marke „und dann passiert das, und dann das, und dann geschieht jenes“ abgehakt, sondern versucht, ein Gefühl für die Zeit zu transportieren, das über den Einsatz von 60ies-Frisuren und -Autos hinausgeht.

Doch ist die Geschichte des aus bürgerlichen Verhältnissen stammenden Gilles, der sich somnambul durch die ach so revolutionäre Zeit treiben lässt, bei aller Liebe zum Detail auch schlicht zu vage, ja, zu uninteressant, als dass wir mehr als Episödchen aus einem Leben mitnehmen, das im Grunde nur auf der Suche nach eigenen Problemen ist.

Dass beinah alle Frauenfiguren nur Skizzen bleiben (am schlimmsten Gilles erste Freundin, furchtbar hölzern gespielt von Carole Combes), mag man nur mit sehr viel Wohlwollen als Kommentar zu einer Zeit sehen, die den gesellschaftlichen Fortschritt mit Molotow-Cocktails forderte, aber in der Zweisamkeit trotzdem nicht über die Rollenbilder-Klischees der Geschlechter hinauskam – oder man könnte Assayas Portrait der Liebschaften in diesem Film auch als latent sexistisch begreifen.

Alles in allem ist „Die wilde Zeit“ eine Enttäuschung. Eine schön gefilmte Ausstattungsorgie, die in zwei Stunden Spielzeit so ziemlich keinen Kommentar von Wert abgibt, der über ein „früher dachten wir, wir würden etwas ändern können“ hinauskommt. Und das ist dann doch weniger als diese Generation verdient hat.



3. Der beste Moment:


Es sind eher die kleinen, atmosphärisch gelungenen Momente, die den Film kurzzeitig sehenswert machen. So zum Beispiel das Zusammentreffen mit Hippies und Dropouts in Italien, wenn gemeinsam von freier Liebe geträumt wird, während Protestsongs über Journalisten gesungen werden (in einer Gastrolle spielt hier übrigens der von uns hochgeschätzte britische Singer/Songwriter Johnny Flynn einen amerikanischen Studenten, der den anderen Hippies die „Ballad Of William Worthy„, im Original von Phil Ochs, vorspielt):


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=FYLZpD2Oz3U[/youtube]


4. Diese Menschen mögen diesen Film:


Post-68er, die dann am Ende doch die freie Liebe heißer fanden als diese ganzen Molotow-Cocktails…


* Regie: Olivier Assayas
* imdb

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