Vier Folgen vorbei und kein bißchen weise! Am Ende der vierten Episode, gerade als Twin Peaks zum ersten Mal eine mehr oder weniger stringente Plotinie anzudeuten scheint, spricht der von David Lynch selbst dargestellte FBI elder statesman Gordon Cole: “I hate to admit this, but I don’t understand the situation at all”.
Überhaupt scheint David Lynch uns Zuschauern gerade in seiner Rolle als Gordon Cole den einen oder anderen Wink zu geben, wie wir mit Twin Peaks umzugehen haben, hängt doch in Gordon Coles Büro neben einem großformatigen Foto einer Atombombenexplosion auch ein Portrait von Franz Kafka – und was als ein kafkaeskes Labyrinth ist Twin Peaks auch sonst?
“The absurd mystery of the strange forces of existence”
In den beiden jüngsten Episoden 3 & 4 wurde selbst für Twin Peaks – Verhältnisse das Prinzip der Abstraktheit und Absurdität noch einmal zugespitzt. Episode 3 beginnt mit einer langen Szene im sprichwörtlichen Nichts, in das Dale Cooper stürzt und sich im Folgenden in einer Apparaturwelt verliert, die an Lynchs Debütfilm Eraserhead erinnert. Anscheinend ist die uns bisher bekannte Black Lodge nicht etwa die Anderwelt an sich, sondern lediglich ein Eingang zu anderen Welten, unser bisheriges, mühsam zusammengetragenes Verständnis dieser weiteren Ebene in und über der Unseren nur rudimentär.
Aber auch nachdem wir die Anderwelt verlassen und in die echte zurückkehren, verweigert sich Twin Peaks herkömmlicher Narration oder gar nur klassischer Charakterzeichnung. Der in die Welt zurückgeworfene, aber kaum funktionale Dale B. Cooper ist dabei nur am offensichtlichsten *anders*, aber doch am Ende kaum weniger wunderlich als beispielsweise der von Michael Cera gespielte Sohn von Lucy & Andy aus dem Twin Peaks’schen Sherrif Department, der nicht nur Wally Brando heißt, sondern auch offensichtlich eine jungspund’sche Version des Marlon Brando Charakters aus „The Wild One“ darstellt („Hey, Johnny, what are you rebelling against?“ – What’ve you got?“).
“This brings back some memories“
Auch wenn Twin Peaks sicherlich revolutionär und hinsichtlich des Erzählens immer seiner Zeit voraus war, wirkt Lynchs Serie dennoch wie ein Anachronismus in seiner Weigerung, sich dem schnellen Schnitt, der flotten Entwicklung zu ergeben. In den beiden jüngsten Folgen wird dieses Zerdehnen der Zeit noch verstärkt und beginnt die Geduld zu strapazieren. Doch gerade vor diesem doppelten Backdrop des Unzugänglichen – das undurchdringlich Abstrake und das unerträglich Zerdehnte – zeigt sich Lynchs Meisterschaft als Regisseur. Es sind kleine, manchmal nur kurze Sequenzen, die uns Zuschauer ins Herz der Serie zurückholen. Nachdem wir einer beinah „Fargo“-haften Clownsparade im Sherriffbüro beim abendlichen Arbeiten zusehen, entdecken wir den alten Teenager-Rebell, Herzensbrecher und Teilzeit-Koks-Dealer Bobby Briggs als graumelierten Deputy. Kaum haben wir Zuschauer den Schock des Wiedererkennens überwunden und sind uns der Vergänglichkeit alles irdisch Teenagerhaftem bewusst geworden, schwenkt die Kamera auf *jenes* Laura Palmer – Bild, erklingt Angelo Badalamentis „Laura Palmer Theme“ und steigen Bobby – Lauras Boyfriend zur Zeit ihres Mordes – die Tränen in die Augen. Und so auch uns. “This brings back some memories“, fürwahr Bobby.
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Yrev very good to see you again, old friend!
Wo uns diese Laura-Bobby-Szene nun emotional ins Herz der Serie zurückholt, gelingt das mit der a propos of nothing eingeführten Wiederbegegnung zwischen Gordon Cole, Albert Rosenfield (!) und Cooper (böse Variante) auf der Plot/Thriller-Ebene. Cole & Rosenfield haben wie wir Cooper seit 25 Jahren nicht mehr gesehen und halten Bad Cooper noch für den real deal. Doch weil sich der aus einem nicht näher erklärten Delikt eingekerkerte Bad Cooper ungewöhnlich verhält und tatsächlich ein kleines Wörtchen rückwärts (hallo Black Lodge!) spricht…
…setzt die folgende Konversation zwischen den beiden FBI Agents Cole & Rosenfield die Thrillerebene in Gang.
Fire Walk With Me, 20 Years on.
Neben den offensichtlichen Absurditäten ist das Verwunderlichste an der neuen Twin Peaks Staffel ihr Scope. Wir haben bereits im letzten Recap die geographische Ausdehnung angesprochen, aber hinzu kommt auch noch eine mythologische, die eben nicht auf die Twin Peaks – Serie allein zurückgreift, sondern vor allem den über-fragmentarischen Prequel-Film „Twin Peaks – Fire Walk With Me“ als Quelle vieler Referenzen einen zentralen Platz im Kanon zuweist. So auch in dieser Cole & Rosenfield – Sequenz, in der zum zweiten Mal eine Nebenfigur aus „Fire Walk With Me“ als mysteriösen Dreh- und Angelpunkt nennt: Philipp Jeffries, damals in maximaler Flamboyanz von David Bowie gespielt, und mit einem ungeklärten Schicksal versehen, das möglicherweise dem von Good Cooper nicht unähnlich gewesen sein könnte.
Überhaupt ist die neue Staffel Twin Peaks in Ton und Entwurf dem vielgeschmähten und übrigens höllisch unterschätzten Spielfilm (erst letztes Jahr noch einmal von mir geprüft!) näher als den Original-Folgen. Das neue Twin Peaks bleibt weitgreifend, undurchdringlich, böser, gemeiner und kompromissloser als es die alte Serie je war. Es könnte kaum mehr Lynch sein: 18 Stunden Spielzeit als Antwort auf die sehnsüchtigst erwartetete Fernsehfortsetzung ever zu drehen, nur um die Zuschauer daran zu erinnern, dass sie doch vor 20 Jahren besser mal zwei Stunden den verhassten Film hätten schauen sollen.
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