vonChristian Ihle 12.07.2019

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Eine Rarität hat das Bayrische Fernsehen gestern nacht ausgestrahlt: „Neonstadt“ von 1982, ein Episodenfilm von damaligen Absolventen der HFF München – unter ihnen Wolfgang Büld und Dominik Graf.

Büld war einer der frühesten Punk-Regisseure. Neben dem zentralen „Punk in London“ von 1977, einem Bericht direkt aus dem Auge des Punkhurricanes, ist vor allem sein „Bored Teenagers – Brennende Langeweile“ ein Meilenstein des Punkfilms. Gedreht hat Büld „Bored Teenagers“ während einer Tour der Adverts durch Deutschland und zwar mit einem originellen halbdokumentarischen, halbfiktiven Ansatz – dem „Rude Boy“ – Film von The Clash nicht unähnlich. Büld ist eine heute leider zu sehr in Vergessenheit geratene DIY-Legende des deutschen Films.

Dominik Graf wiederum ist der eine große Genre-Regisseur der hiesigen Filmszene. Auch wenn er wie mit der Schiller-Biographie „Die Geliebten Schwestern“ immer wieder auch in der Hochkultur unterwegs ist und etliche Polizeiruf- und Tatort-Folgen gedreht hat, sind es vor allem seine überaus ungewöhnlichen Fernseh-Spielfilme, die in den letzten Jahren beeindruckt haben: „Das unsichtbare Mädchen“, „Hotte im Paradies“ oder „Die Freunde der Freunde“.

„Neonstadt“ ist aber nicht nur als frühe Fingerübung von Büld & Graf interessant, sondern gerade wegen seiner Attitude – versuchen die Episoden doch die Atmosphäre der Deutschen New/No Wave Wellenbewegung einzufangen – kein Wunder also, dass unter anderem DAF und Fehlfarben den Soundtrack stellen.

Der Refrain von Fehlfarbens „Paul Ist Tot“ zum Beispiel ist Überleitung von jeder Episode zur nächsten – immer mit Laienschauspielern bei verschiedenen Tätigkeiten, die „was ich haben will, das krieg ich nicht / und was ich kriegen kann, das gefällt mir nicht“ singen.

Die einzelnen Episoden haben natürlich schwankende Qualität:
Das Graf-Feature ist eine Polizeiobservationsfingerübung und klassisches Genre-Ding, das er in den folgenden Jahrzehnten verfeinern wird.
Für mich ist Bülds Schlußkapitel „Disco Satanica“ der große Höhepunkt: ein astreiner Slasher in der „Maniac“-Ecke mit einem Bauern vom Land, der – nachdem er durch einen Unfall vor einer Münchener New Wave Disco schrecklich entstellt worden ist – mit einer John-Travolta-Maske zum DAF-Song „Als wär’s das letzte Mal“ die ihn verschmähenden Discogirls abmurkst.

Bis 18.7.2019 noch in der Mediathek:

* Mediathek Link

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https://blogs.taz.de/popblog/2019/07/12/neonstadt-ein-deutscher-new-wave-film/

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kommentare

  • Danke für den Hinweis, Christian! Tatsächlich hat ein Freund irgendwo eine DVD, da gebe ich mir dann die volle Ladung. Schaue sicherheitshalber vielleicht nochmal das gesamte Werk Tsukamotos zur Vorbereitung. Dann dürfte aber nichts mehr schiefgehen.

  • „Decoder“ ist allerdings auch wirklich anstrengend, muss ich sagen.
    So arty, dass er wirklich „schwer“ ist. Aber klar, die Besetzung ein Best Of der deutschen Post-Punk-Ära: Regisseur Muscha von Mittagspause, FM Einheit von den Neubauten als Haupdarsteller, dazu Chung, Hacke in Nebenrollen. Burroughs und Throbbing Gristle-Chef Genesis P-Orridge auch am Start, Drehbuch von Maeck, einem der Typen, der das „Berlin B Movie“ gemacht hat.
    Falls du mal die DVD in die Hände bekommst, da ist ein gutes Zusatzfeature enthalten: Riots bei einer Anti-Reagan Demo in den frühen 80ern, FM Einheit mitten drin und alles auf wunderbarem Super8 gefilmt mit den Neubauten als Soundtrack…

  • Danke für diese wunderbare Reminiszens. Geboren 1962, hatte ich das Privileg, diese wahnsinnig aufregende kulturelle Phase der späten 70er / frühen 80er als junger Erwachsener in Echtzeit miterleben zu dürfen, nahezu alle relevanten Akteure dieser Zeit live in concert und teilweise auch persönlich zu erleben.

    Daher erzeugt solch ein Artikel ein euphorisches Flashback, fast rauschartig.

    „Brennende Langeweile“ wird übrigens immer noch gelegentlich spätnachts in einem der dritten Programme gesendet.

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