Seit ich vor einigen Jahren Baran Bo Odars Kindermörderthrillerdrama „Das letzte Schweigen“ gesehen habe, bin ich Fan. Deshalb war ich a) sehr erfreut und b) gespannt, als Netflix ankündigte mit Bo Odar *die* deutsche Serie produzieren zu wollen.
Staffel 1 hat mich dann auch auf fast allen Ebenen begeistert: Kamera, Soundtrack, Story und – vor allem – Atmosphäre war optimal, zumindest in den Hauptrollen auch die Schauspieler (Louis Hofmann unterstreicht nach „Freistatt“ hier noch einmal dass er der kommende deutsche Schauspieler werden wird). Allein fand ich die beiden letzten Folgen etwas irritierend, wurde hier doch die äußerst komplexe Storyline um eine weitere Ebene ausgebaut und schien sich mir „Dark“ so in der Aufschichtung von Komplexität selbst zu verlieren und in eine gewisse Beliebigkeit zu rutschen.
Staffel 2 ist nun aber etwas gelungen, was ich wirklich nicht vermutet hätte: die Komplexitätslevel potenziert, alles noch schneller und weniger erklärend erzählt und es dennoch retroaktiv geschafft, dass ich Staffel 1 noch besser finde, weil nun auch jene beiden letzten Folgen der ersten Staffel in diesem dunklen Königreich ihren notwendigen Platz gefunden haben und ich Sinn, Ziel und Zweck „verstanden“ (haha) habe.
Durch das deutlich höhere Erzähltempo und schnelleren Sprünge zwischen Charakteren und Zeitebenen verändert sich der Charakter der Serie. Die beiden Staffeln wählen verschiedene Schwerpunkte: Dark S01 war mehr Kleinstadtmystery mit dem einem großen Geheimnis im Hintergrund, wohningegen Dark S02 nun stärker das eine große Geheimnis im Vordergrund ist und alle Figuren (in ihren verschiedenen Ausprägungen) wie Fäden an diesem einen zentralen Punkt hängen.Staffel 2 ist aber ohne die erste nicht denkbar, weil nur dank der Verankerung der Charaktere in der Kleinstadtmystery in Staffel 1 die plotgetriebene Sprunghaftigkeit der zweiten Staffel funktionieren kann.
Zudem bemerkenswert: erst in der Mitte dieser Staffel schält sich wirklich der Kern heraus, werden die Zuschauer an die Hand genommen. E04 erinnert mich beispielsweise an die legendäre „Zen oder die Kunst einen Mörder zu fassen“-Folge aus der ersten Twin Peaks Staffel, indem sie ähnlich geschickt ohne Off Kommentar noch einmal die verschiedenen Fäden zusammenträgt und eine dringend nötige Übersichtlichkeit bringt.
Dark ist womöglich die komplexeste Serie, die ich je gesehen habe. Es ist bewundernswert, in welche Höhen Bo Odar mit seiner Co-Schreiberin Jantje Friese hier driftet, wie offensichtlich er uns Zuschauer auch überfordern will. Das Arbeitszimmer in meinem Kopf sieht aus wie das Büro in „Zodiac“: Fotos, Artikel, Querverweise, rote Bänder zwischen den Personen, um halbwegs den Überblick zu behalten. Wahnsinn. Ich muss mal wieder zur Erholung „Primer“ schauen.
Ich bin sehr erfreut, dass diese Überkomplexität sich problemlos durch die zweite Staffel trägt, dass einfach jede weitere Erzählschicht, die aufgetragen wird, bisher schlüssig bleibt und bin immer noch SEHR gespannt bin, wie sich diese Welt auflösen wird (im doppelten Wortsinn). Das ist, kurz gesagt, meisterhaft gemacht von Drehbuch, Regie und – vor allem – Schnitt. Gerade letzteres ist das entscheidende Bindemittel, dass dieses wilde Hin- und Herspringen zwischen Figuren, Zeiten und Stimmungen überhaupt funktionieren kann.
Für mich ist „Dark“ die weit bessere Netflix-Serie als „Stranger Things“, ich würde sogar sagen: das beste, was Netflix je gemacht hat.
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