1. I’m Waiting For The Man von The Velvet Underground
Wenn ich „Waiting For My Man“ als prototypischen Velvet-Underground-Song bezeichne, widerspreche ich mir natürlich selbst, denn auf der Alben-Liste habe ich ja gerade erst ausgeführt, dass VU auf ihrem Debüt gleich eine handvoll Genres (!) erfinden und in ihrer avantgardistischen, stilistischen Vielfältigkeit gar nicht zu fassen sind.
Und doch ist der sound of the Velvet Underground, den Jonathan Richman in seinem gleichbetitelten Lied so fasziniert bestaunt, eben vor allem der „Waiting for My Man“-Sound:
„Both guitars got the fuzz tone on / The drummer’s standing upright pounding along / A howl, a tone, a feedback whine / Biker boys meet the college kind / How in the world were they making that sound? / Velvet Underground“.
Wenn 35 Jahre später die Strokes den Rocknroll wiederbeleben und ständig der Vergleich zu den Velvets gezogen wird, dann lag das einmal an Jules Casablancas lakonischer, loureediger Intonation, aber eben auch an der Kombination aus Kickdrums und schneidenden Gitarren, repetitiven Motiven und nach vorne gehender Aggressivität. Diese Gleichzeitigkeit aus coolem Verharren und Immer-in-Bewegung-sein, aus Auf-der-Stelle-treten und Nach-vorne-stürmen.
How in the world were they making that sound?
2. Death Of A Clown von Dave Davies / The Kinks
Obwohl „Death Of A Clown“ auch auf dem Kinks-Album „Something Else“ erschien, ist der Song ursprünglich als Solo-Single von Dave Davies veröffentlicht worden. Daves älterer Bruder Ray Davies – und mit ihm in berüchtigtem Gallagher-esquen ewigen Streit verbunden – schrieb üblicherweise die Hits der Band, aber „Death Of A Clown“, das zu meinen liebsten drei Songs der Davies-Brüder gehört, ist Daves großer Moment.
3. A Day In The Life von The Beatles
„A Day In The Life“ ist der songgewordene Satz „mehr als die Summe der einzelnen Teile“.
Die Struktur des Songs ist äußerst ungewöhnlich: Lennon Psych-Folk -> McCartney 60ies-Pop -> Lennon Psych-Folk -> großes Orchester -> ein Ton auf ewig.
Dürfte nicht funktionieren, tut es aber doch – und wie. „A Day In The Life“ ist nicht nur der herausragende Track auf dem „Sgt Pepper“-Album, sondern auch in der ganzen Beatles-Geschichte einer der bemerkenswertesten. Und das sagt ja dann doch etwas.
I read the news today, oh boy
Four thousand holes in Blackburn, Lancashire
And though the holes were rather small
They had to count them all
Now they know how many holes it takes to fill the Albert Hall
4. My Back Pages von The Byrds
Neues Jahr, neues Dylan-Cover der Byrds in meinen Top10 (siehe auch: 1965, Mr Tambourine Man, #5)!
„My Back Pages“ ist für mich sogar der Byrds-Song überhaupt oder trifft zumindest den Kern dieser Byrds-Ära am besten: Dylan-Songwritig, Harmonien aus dem Himmel und diese Gitarre! Jener Jingle-Jangle-Klang der Gitarren in „My Back Pages“ ist für mich für den Rest der Musikgeschichte einfach nur „die Byrds-Gitarre“, will ich einen Sound beschreiben, der die amerikanische West Coast, die Sonne und das Sehnen nach einer besseren Welt in einem Klang fasst.
5. I Am The Walrus von The Beatles
Auch wenn mir die Beatles-Vergleiche bei den frühen Oasis-Platten nicht immer sofort einleuchteten, steht außer Frage: ohne „I Am The Walrus“ kein Liam Gallagher. „Walrus“ ist von Attitude bis Sound, von Körperhaltung vor dem Mikrofon bis Weirdowahnsinn das Blueprint für Liams Karriere.
Auf derm zerrissenen „Magical Mystery“-Album der Beatles ist „I Am The Walrus“ ganz klar der beste der „ursprünglichen“ Songs: in England wurde „Magical Mystery“ als EP mit den Filmsongs veröffentlicht, im Rest der Welt dagegen als LP, die zusätzlich noch die – nicht ganz so schlechten! – Single-Veröffentlichungen „Strawberry Fields Forever“, „Penny Lane“ und „All You Need Is Love“ enthielt.
Hier ist meine Regel „nur ein Song pro Album“ dann doch fast an seine Grenzen gestoßen, denn auch „Strawberry Fields Forever“ und „All You Need Is Love“ wären klare Top-20-Kandidaten gewesen. „I Am The Walrus“ hat letztlich den Zuschlag bekommen, weil es dank seines merkwürdigen Grooves und den noch merkwürdigeren Lyrics mit nichtsdestotrotz unvergesslichen Dada-Stellen (Goo goo g’joob!) auf angemessen seltsame Weise zeitlos geblieben ist.
6. Good Times von Eric Burdon & The Animals
In den USA erschien „Good Times“ als b-Seite von „San Franciscan Nights“, das selbst seinen Platz in dieser Liste verdient gehabt hätte. Wo „San Franciscan Nights“ eine Ode von Eric Burdon und seinen neuen Animals an Haigh Ashbury und das Hippetum in San Francisco war, ist „Good Times“ urbritisch und outsmallfaced die frühen Small Faces mit seinem Pub-Sing-A-Long, das kurioserweise inhaltlich eher genau das Verschwnden von Zeit in Pubs bedauert. Den Burdon soll mal einer kapieren!
In einem völlig anderen Zusammenhang hatte „Good Times“ Ende der 80er eine schöne Wiedergeburt: in Dominik Grafs tollem Krimi „Die Katze“ sieht man die jungen Heinz Hoenig und Ralf Richter zu diesem Song in einem Auto feixen. Toll!
7. Waterloo Sunset von The Kinks
Unter all den Hits, die die Kinks in den Mitt60ern hatten, ist keiner ihrer Songs größer als „Waterloo Sunset“. Ray Davies‘ Songwriting ist hier auf dem Höhepunkt und formuliert einen Ansatz, wie er englischer – oder besser noch: London-iger – nicht sein könnte. Davies wehmütiger Blick über die Waterloo Bridge in den Momenten des Sonnenuntergangs werden auf ewig die Sehnsucht nach der englischen Hauptstadt wecken. Möchte schon nach diesen Zeilen sofort wieder meinen Koffer packen und nach London rübermachen.
8. Let’s Spend The Night Together von The Rolling Stones
Der erste Release von „Let’s Spend The Night Together“ war eine Doppel-A-Seite mit „Ruby Tuesday“. Viel besser waren die Stones zuvor nicht und auch danach nicht. Besser können sich zwei Songs auf einer Single auch kaum ergänzen: während „Let’s Spend The Night Together“ den maximalen Rocknroll in Ton und Wort symbolisiert, ist „Ruby Tuesday“ die große Baroque-Pop-Ballade, die trotzdem sich jeden Kitschs verwehrt. „Let’s Spend The Night Together“ hat hauchzart die Nase vorn und den Sprung in mein Ranking geschafft, weil es keinen Stones-Song gibt, den ich häufiger beim DJing auflege, und sich zudem das beste Lied der New York Dolls, „Personality Crisis“ musikalisch nicht nur grob an dieser Vorlage orientiert.
Kurioser Fun Fact: für die USA war die Aufforderung, zusammen die Nacht zu verbringen, dann doch etwas zu unchristlich – andererseits die Stones aber auch zu groß, um sie ganz zu ignorieren. So sang Jagger als Kompromiss beim Auftritt in der legendären Ed Sullivan Show „Let’s spend some time together“, machte aber mit Grimassen deutlich, was er von dieser Übereinkunft hielt. Smarter Feigling!
9. The Letter von Box Tops
Dass Alex Chilton – später of Big Star Fame – gerade einmal 16 Jahre alt war, als er „The Letter“ einsang, kann ich immer noch nicht recht glauben. Die Gesangsstimme von Alex Chilton ist anscheinend wie Benjamin Button: als Teenie rauh und direkt, als Erwachsener in Big Star dann sanft wie eine wohlige Decke. „The Letter“ war der Debütsong der Box Tops und wurde ein Welthit. Vier Wochen Nummer 1 in den USA und mehr als eine Million verkaufte Einheiten.
Kurios übrigens: Songwriter von „The Letter“ war Wayne Carson, der später auch noch das völlig anders klingende „Always On My Mind“ geschrieben hat, was wir alle ja von Elvis Presley, den Pet Shop Boys und Willie Nelson kennen!
10. Suzanne von Leonard Cohen
Leonard Cohen veröffentlichte im Jahr zuvor die „Suzanne“-Lyrics ursprünglich als Gedicht und seine Bekannte Judy Collins ist für die erste Aufnahme verantwortlich, denn Cohen sah sich damals selbst noch gar nicht als Sänger, sondern „nur“ als Texter.
„Suzanne“ dürfte in der Zwischenzeit neben „Hallelujah“ das meistgecoverte Lied Leonard Cohens sein. Cohen gab ‚aus Versehen‘ die Rechte am Song ab, was er einmal nonchalant damit kommentierte, dass es auch nicht richtig sein könne, mit einem Lied, das von so vielen geliebt wird, auch noch reich zu werden. Die buddhistische Gelassenheit seiner späten Jahre ist wirklich erstaunlich.
11. Somebody To Love von Jefferson Airplane
Wenige Songs gehen bereits in ihren ersten Sekunden so in die Vollen wie „Somebody To Love“ von Jefferson Airplane. Wir sind kaum im Lied angekommen, da haut uns Sängerin Grace Slick gleich ein „When the truth is found to be lies / And all the joy within you dies / Don’t you want somebody to love“ um die Ohren!
Obwohl – neben „White Rabbit“ – der mit Abstand größte Hit *der* Hippie-Band aus San Francisco, wurde „Somebody To Love“ übrigens von keinem Bandmitglied geschrieben, sondern von Darby Slick, dem Cousin der Sängerin Grace. Doch nachdem seine eigene Version mit The Great Society keinen Erfolg hatte, nahm die Cousine mit ihrer neuen Band diesen Stampfer für die Ewigkeit neu auf – und machte damit Jefferson Airplane zu Stars.
12. It’s Cold Outside von The Choir
Die Debütsingle der amerikanischen Garage-Band The Choir ist trotz des fröstelnden Titels ein sonnengeküsstes Goldstück der Garagen Rock – Ära. Die Band aus Cleveland, Ohio, verbindet so gut englische Einflüsse der British Invasion, dass ich anfangs The Choir immer für eine Band von der Insel hielt – und dennoch gelingt es ihnen, über den Status reiner Beatles-Epigonen hinauszukommen, ist doch ein kaum weniger bestimmender Bestandteil des Songs die Jingle-Jangle-Gitarre der Byrds.
13. You Keep Me Hanging On von Vanilla Fudge
„You Keep Me Hanging On“ von Vanilla Fudge ist eine der besten Cover-Versionen der Rockgeschichte. Auch wenn Vanilla Fudge ihren Ruhm hauptsächlich auf das Nachspielen berühmter, kontemporärer Gassenhauer gründeten, reicht doch ihr „You Keep Me Hanging On“-Geniestreich für einen Eintrag in jedes Rocklexikon. Denn Vanilla Fudge nehmen hier das (im besten Sinn) stampfige Original der Supremes und treiben ihm jeden Soul aus. In Vanilla Fudges Version wird dieser moderne Klassiker zu einem psychedelischen Waberkracher, der mit schier endlosem Intro und langgezogenen Strophen so gegenteilig klingt wie ein Cover es nur kann. Nebenbei begründete die Band aus dem New Yorker Vorort Long Island damit auch zu gutem Teil das, was man später Hard Rock nennen würde.
14. Let’s Go To San Francisco von Flower Pot Men
Ein Psych-Pop-Nugget und Beach-Boys-Pastiche, das viel zu unbekannt und beispielsweise dem anderen San-Francisco-Hippie-Song von Scott McKenzie (siehe #57) deutlich überlegen ist.
Fun Fact 1: “later lampooned in the fake rock documentary This Is Spinal Tap, whose fictional first hit was called „(Listen to the) Flower People“, a reference to „Let’s Go to San Francisco“” der Flower Pot Men.
Fun Fact 2: “The name The Flower Pot Men was derived from the BBC children’s show Flower Pot Men, with the obvious psychedelic era puns on flower power and „pot“ (cannabis). In the US, they were commonly deemed The Flower Men on radio airplay to avoid the drug reference.”
15. Ode To Billie Joe von Bobbie Gentry
Ein fantastisch reduzierter, rauher Country-Song ohne jeden Refrain, der tatsächlich Platz 1 in den amerikanischen Single-Charts belegte und bis Ende der 60er drei Millionen Einheiten verkaufte. Der Text zu „Ode To Billy Joe“ ist wie eine vertonte Kurzgeschichte über den titelgebenden Charakter, der Selbstmord begeht („Today, Billy Joe MacAllister jumped off the Tallahatchie Bridge“) und die Reaktion einer Familie auf dieses Unglück.
Zwischen den Zeilen lese ich hier den schwelenden Generationskonflikt der 60er heraus, dessen Thematisierung im konservativen Country-Genre eher eine Seltenheit war. Kennengelernt habe ich „Ode To Billie Joe“ übrigens an einer der unerwartesten Stellen – nämlich in einer Harald-Schmidt-Show der End90er, als Schmidt sich begeistert über Bobbie Gentrys Countrysong äußerte.
16. A House Is Not A Motel von Love
Auch wenn „Forever Changes“ vor allem ein Album-Album ist, das über seinen kompletten Soundentwurf funktioniert, ragen mit „Alone Again Or“ und eben „A House Is Not A Motel“ doch zwei Lieder heraus. „A House…“ vereint dabei den opulenten Baroque-Pop des restlichen Albums mit einer erstaunlich schneidigen Gitarre im zweiten Drittel des Songs, die mich wohl auch aufgrund der sonst so ausformulierten Arrangements jedesmal wieder in Mark und Bein trifft.
17. Bad Girl von Lee Moses
Niemand hat je „Baaaaaad girl“ eindrücklicher gesungen als Lee Moses, der zeitlebens nie die gerechte Anerkennung erfuhr, aber mit „Bad Girl“ einen der rauhesten Soul-Knaller aller Zeiten einsang. Dank seines geringen Erfolgs und der Veröffentlichung auf einem kleinen Label ist „Bad Girl“ eine Single-Rarität, die auf discogs für gut 300€ über den virtuellen Ladentisch geht.
18. Und Für Mein Mädchen von Reinhard Mey
Dass das Reinhard-Mey-Debütalbum etwas zerrissen klingt, erzähle ich ja schon im Album-Ranking. Auf der anderen Seite gehören eine gute handvoll Lieder auf „Ich wollte wie Orpheus singen“ zum Besten, was deutsche Singer/Songwriter in den 60ern hervorgebracht haben. Neben dem Titelsong gilt das vor allem für „Für Mein Mädchen“.
19. Wear You To The Ball von The Paragons
Ursprünglich bin ich vor gut 20 Jahren durch eine Compilation des Ur-Dread-Punks Don Letts auf „Wear You To The Ball“ gekommen, hier allerdings durch U-Roys 1970er Version des gleichen Stücks (die wir sicher auch in der dortigen Jahresliste wiederfinden werden). U-Roy gilt als Pionier des „Toastings“, also des über-einen-Track-Redens, weshalb seine Version auch durchaus mehr Sinn als Nährboden für den skafizierten Punk von Bands wie The Clash oder den Specials gibt.
Das Rocksteady-Original aus 1967 wurde aber von den Paragons geschrieben und eingesungen – und ist für mich der viel größere Hit als ihr ebenfalls aus diesem Jahr stammender Klassiker „The Tide Is High“, den Blondie – auch eine Gruppe mit Punkbackground – zu ewiger Bekanntheit in der nichtjamaikanischen Welt führte (Blondie waren mit „The Tide Is High“ 1980 #1 in UK & US, die Plastik-Girl-Group Atomic Kitten hievten den Song in 2002 noch einmal auf Platz 1 der britischen Charts).
20. These Days von Nico
In all dem atonalen Gedrohne des Nico-Albums finden sich mit den beiden Kompositionen von Jackson Browne – „These Days“ und „Fairiest Of The Season“ – auch zwei wunderschöne Folksongs, die mich immer an Lou Reeds „Stephanie Says“ erinnern, das zwar 1968 aufgenommen, allerdings nie zur Velvets-Lebenszeit veröffentlicht wurde.
Diese beiden Folkgoldstückchen erlebten dank Wes Andersons wie immer makelloser Musikauswahl zu seinen Filmen eine Wiedergeburt, kann man doch Gwyneth Paltrow in ihrer schönsten Rolle als Margot Tenenbaum zu diesen Songs in „Royal Tenenbaums“ so wunderbar rauchen sehen, dass man sofort selbst ein Jünger des Nikotins werden möchte.
1967:
* Die besten Songs: #21 – #50
* Die besten Songs: #51 – #100
Die bisherigen Jahre:
* 1966: Alle alles – beste Filme, beste Alben, beste Songs
* 1965: Alle alles – beste Filme, beste Alben, beste Songs
Im Rahmen einer groß angelegten Retrospektive, die auf eine Idee meines Freundes Lassie zurückgeht und in einem der letzten Podcasts mit Horst Motor zur Umsetzung gebracht wurde, blicken wir gemeinsam auf ein Jahr zurück und nominieren die besten Songs, Alben und Filme. Wer die Rankings der beiden ebenfalls lesen will und zudem die schöner aufbereiteten Listings finden will, kann sich hier auf motorhorst.de direkt vergnügen.
„We Love You“ sicher auch stark, war mir aber vor Deiner Anmerkung noch gar nicht so aufgefallen (auch eigentlich als b-Seite veröffentlicht oder?). Habe mir ja eine „1 Song pro Album“ Regel auferlegt, um auch ein wenig breiter in so einer Liste zu werden und nicht nur die üblichen Verdächtigen zu haben und da sind die Rolling Stones dann mit den zwei genannten „durchgekommen“, wobei auch noch einige andere Kandidaten gewesen wären.