vonChristian Ihle 14.06.2022

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Die Premiere des neuen Festivals am Flughafen Tempelhof ist durchweg gelungen. Ein beinah perfekt kuratiertes Festival für den (Indie-)Gitarrrenbereich, das alte Helden (The Strokes, The Libertines) mit den neuen (Fontaines D.C., IDLES) schlüssig zusammenbringt, und im Gegensatz zu Rock im Park & Co auch keine Probleme sieht, einem halbwegs ausgeglichenen Geschlechterverhältnis eine Bühne zu bieten (von Florence & The Machine als Headlinerin über Adrienne Lenker (Big Thief) bis zu Courtney Barnett).

Darüber hinaus ist es Tempelhof Sounds dem Namen angemessen auch (fast immer) gelungen, die bekannte Soundprobleme der alten Ausgaben des Berlin Festivals an gleicher Stelle in den Griff zu bekommen. Ein paar Dezibel mehr wären wünschenswert und ein Soundmix, der nicht nur die Sänger, sondern auch die Gitarristen nach vorne schiebt, hätten mancher Band (Interpol, Maximo Park, in Teilen auch The Libertines) gut getan, aber für ein innerstädtisches Festival gibt es wenig Grund zu klagen. Die Organisation war darüberhinaus stark: kostenfreie Wasserstellen und eine Drinks- und Food-Versorgung, die auf einer Veranstaltung dieser Größe ihresgleichen sucht. So schafft Tempelhof Sounds auch dank der kurzen Wege und des schlüssigen Zeitplans für seine Besucher die Möglichkeit, wirklich viele der Bands tatsächlich zu sehen statt sie zum Schlangestehen zu zwingen.

Bereits an den Band-T-Shirts des Publikums konnte man erkennen, wer die am heißest ersehnte Band des Wochenendes war: nicht die kommerziell sehr erfolgreichen, aber der Theatralik doch arg zugeneigten Muse (war das noch Christus-Komplex oder schon Eurovision Song Contest?), sondern The Strokes, die das Festival am Sonntag beschlossen. Ein überraschend plauderlauniger Julian Casablancas (“When I play soccer football and I miss the goal, I always scream “NEIN!”. I don’t know why, I just do”) vor tighter Band und enthusiastischem Publikum mit einem Füllhorn an Hits – besser konnte diese Konzertorgie nicht enden. The Strokes spielten eine starke Setlist und konnten es sich dennoch erlauben, auf „Last Nite“ zu verzichten. Wie toll das jüngste, 2020 erschienene Album der Strokes ist, zeigt sich eben auch darin, dass Lieder wie „Bad Decision“ und „The Adults Are Talking“ keinen Einbruch der Qualität bedeuten, wenn sie neben Klassikern wie „New York City Cops“, „Hard To Explain“ oder „Reptilia“ gespielt werden. Immer noch beherrschen die Strokes wie keine andere Band, musikalische Aggression mit Nonchalance und ewiger Lässigkeit zu verbinden.

A propos lässig! Courtney Barnett spielte einen der besten Gigs des Festivals in maximaler Entspanntheit: pointenreiche Texte in Lou Reediger Erdung vorgetragen. Big Thief verlieren sich – im besten Sinn – in mehrminütigen Neil Young Gitarrenfreakouts und bringen sogar ein Maultrommelsolo auf die Bühne.

Die Libertines leiden etwas unter dünnem Sound, sind aber in professioneller Spielfreude und werden auch bei den Songs des Reunion-Albums überraschend enthusiastisch begrüßt. Das lässt sich von den alten Indie-Zeitgenossen Maximo Park leider nicht sagen: von verwaschenem Sound geplagt, sie die behuteten Briten leider die Enttäuschung des Wochenendes. Die weissrussische Waveband Molchat Doma hingegen überzeugte trotz des für ihren Schwarzkittelsound natürlich ungünstigen sommerlichen Sonnenscheinwetters auf ganzer Linie. Die besten Moves, die ärgsten Frisuren, der dunkelste Klang kam aus Weissrussland und verabschiedete sich mit „Slava Ukraini! Slava Belarus!“

In noch sonnigerem Wetter am frühen Nachmittag platzierte der Zeitplan die beiden aufregendsten Gitarrenbands der letzten Jahre: die starken Fontaines D.C., die ihre belesene Gossencoolness auch auf die große Festivalbühne übertragen können, und die Idles, die mit ihren mächtigen Punksounds und wildem Bühnengebahren natürlich sowieso für Stages dieser Größe geboren sind. Ewig angestaute Aggression, die sich dann doch nie entlädt, Pogokreise, die auf ihren Start warten, nur um immer weiter zu kreiseln – Idles sind gleichzeitig Antithese wie Unterstreichung des Festivalprinzips. Den schönsten Diss des Festivals brachten auch die Engländer mit: „Someone’s got a fragile ego“ war der Kommentar zum Bühnenaufbau, der bereits nachmittags für Muse bereitstand, aber den anderen Bands verboten war, zu nutzen…

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