vonChristian Ihle 26.11.2022

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Über die Jahre hat sich das Synästhesie-Festival, das in der Zwischenzeit eine feste Heimat in der Kulturbrauerei gefunden hat, zu einem der liebevoll kuratiertesten Veranstaltungen der Stadt entwickelt und ist ein Fixpunkt am Ende eines Festivaljahres geworden.

Auch der 2022er Ausgabe gelingt es wieder, ein in sich schlüssiges Genre-Programm zu bieten, das zwar klar auf gemeinsame Wurzeln (Krautrock, Post-Punk, Shoegaze und Psych-Rock) setzt, aber aus diesem Verständnis heraus auch immer wieder ausbricht. Bestes Beispiel ist in diesem Jahr der zweite Headliner Tricky, der mit seinem Trip-Hop die düstere Grundstimmung der anderen Genres aufnimmt, aber eben im Rahmen des Festivals doch einen eigenen Punkt setzt. Leider war sein Auftritt eher erratisch und ihm das Rampenlicht als Performer wortwörtlich wohl unangenehm, forderte er doch die eh schon spärliche Lightshow zu beenden und führte das Konzert in kompletter Dunkelheit fort.
Slowdive waren der Headliner des zweiten Abends und präsentierten ihren Shoegaze druckvoll und zur offensichtlichen Begeisterung des Publikums.

Neben den Heritage-Acts bietet Synästhesie aber immer auch jüngeren Künstlern eine Bühne – manche schon etabliert wie Die Nerven, die etwas grummelig über das Publikum schienen (was nicht so recht nachvollziehbar war), oder Tess Parks, die zuweilen klingt, als würde PJ Harvey das Brian Jonestown Massacre anführen. Gewalt wiederum sind zwar erst bei ihrem Debütalbum, aber dank Patrick Wagner of Surrogat Vergangenheit natürlich ein Fixpunkt der Berliner Musikszene. Waren Gewalt früher vor allem Konzept und gestreckter Mittelfinger der ganzen scheiss Welt gegenüber, ist seit ihrem Neuzugang Jasmin Rilke am Bass – zu dem immer noch überzeugenden Konzept und weiterhin gestrecktem Mittelfinger – eine enorm druckvolle Liveperformance gekommen, was die Band tatsächlich zum Höhepunkt des ganzen Festivals machte.

Ebenfalls stark waren Warm Graves und Vacant Lots auf der kleinen Bühne. Während letztere very New York mit Sonnenbrille im stockdunklen Raum den White Noise Ansatz von A Place To Bury Strangers mit dem Rocknroll-No-Wave von Suicide verheirateten, spielte die Leipziger Band Warm Graves sphärischen Postrock, der aber dank der überraschend präsenten elektronischen Elemente weit druckvoller war, als ich das nach der neuen Platte erwartet hätte. Auf der allerkleinsten Bühne überzeugten die aus Berlin stammenden Roomer, die ihren Dream-Pop mit einem Psychic TV Cover veredelten. Hier darf man auf das Debütalbum gespannt sein, das im nächsten Jahr auf dem Staatsakt-Sublabel Fun In The Church erscheinen wird.

So war auch das diesjährige Synästhesie-Festival eine gelungene Kombination aus selten in Berlin spielenden Legenden, Bands auf dem Höhepunkt ihrer Bühnenkraft und einigen ganz frischen Künstlern. Die größte Stärke von Synästhesie bleibt aber die kohärente Idee, die auf ein wildes Potpurri im Booking verzichtet und dafür die Besucher wie ein gutes Mixtape von Band zu Band leitet.

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