TÁR (2022, Regie: Todd Field)
im Kino
Ein in vielerlei Hinsicht erstaunlicher Film. Wie Todd Field hier die Cate-Blanchett-Show inszeniert, ist wagemutig. Welcher Film traut sich schon, mit einer 15minütigen Interviewsequenz über den Status der Oper und des Dirigententums zu eröffnen – und schafft dabei auch noch zu fesseln?
Am Besten ist dieses Eintauchen in die Welt von Cate Blanchetts Über-Dirigentin Lydia Tar immer dann, wenn Field eine hanekehafte Qualität des Unbestimmbaren, des sich Am Rand Befindlichen einfängt. Die Social-Media-Aufnahmen von dritter Hand, deren Herkunft rätselhaft bleibt, ist wie ein moderner Take auf Hanekes ‚Videokassetten vor der Haustür‘- Motiv aus „Caché“, auch der zunehmende Kontrollverlust einer Kontrollfanatikerin in bestem bourgeoisen Umfeld zielt in diese Richtung.
Während des Anschauens selbst war ich allerdings verwirrt/enttäuscht, wie Todd Field der Film im letzten Drittel entgleitet (oder er bewusst die Luft aus seiner dichten Komposition entweichen lässt?).
Mit etwas Abstand muss ich „TAR“ aber vielleicht auch stärker zwischen den Zeilen lesen. Will „TAR“ gar nicht 1:1 genommen werden? Geschieht hier wirklich alles, was wir auf der Leinwand sehen? (7/10)
Sharper (2023, Regie: Benjamin Caron)
auf AppleTV+
Unterhaltsamer, wenngleich heillos überkonstruierter Conman-Krimi nach dem Matrjoschka-Prinzip. Immer wenn es so wirkt, als sei die Ausgangssituation bereitet, enthüllt „Sharper“ noch eine weitere Ebene hinter der gerade gesehenen.
Das macht Benjamin Carons Film mit Julianne Moore und Sebastian Stan in den Hauptrollen zwar schön abwechslungsreich, aber man darf auch nicht allzuviel darüber nachdenken, denn natürlich wären all diese sich aufeinander stapelnden Eventualitäten von niemandem vorherzusehen und sind deshalb als großer Plan absurd. (6/10)
You People (2023, Regie: Kenya Barris)
auf Netflix
Erstaunlich kurzweilige Culture-Clash-Komödie Netflix’scher Provenienz.
Hip-Hop-Head Ezra (Jonah Hill), jüdischer Sohn von Shelley (Julia Louis-Dreyfus), verknallt sich in Amira, die aus einer Schwarzen Familie stammt, in der Vater Akbar (Eddie Murphy, stark) glühender Anhänger der Nation Of Islam ist.
Natürlich ist absehbar, wie sich diese Black vs White / Jews vs Muslims – Variante von „Meine Braut, ihr Vater und ich“ entwickelt, aber der anscheinend grenzenlose Charme von Jonah Hill rettet die süsslichen Momente und die Kriege der Elternschaften ergeben ein schönes Komikduell aus Eddie Murphy vs. Julia Louis-Dreyfus, das in einem nacktekanonigen Abendessen kulminiert, während dem Louis-Dreyfus aus Versehen eine Mütze in Brand setzt, die Eddie Murphys Charakter einst von Nation Of Islam – Führer Louis Farrakhan geschenkt wurde und von diesem wie ein Heiligtum verehrt wird.
P.S.: erstaunlich den Unterschied zwischen Sagbarem/Unsagbarem in der US-Kultur im Vergleich zur hiesigen zu sehen: als beim Abendessen der Holocaust thematisiert und eine Parallele zur Sklaverei gezogen wird, ist nicht etwa der Holocaust das Thema, das keinesfalls relativiert werden sollte, sondern die Sklaverei. Die Szene würde hierzulande aber sicher anders spielen. (6/10)
Zeugin der Anklage (1957, Regie: Billy Wilder)
zur Leihe bei AppleTV
Gerichtskrimikomödie, deren extrem guter Ruf mich doch etwas überrascht. Der Film lebt stark von seinem Twist – nur dass hier einer kommen wird, ist nun wirklich sehr früh sehr klar. Wie sich die Geschichte dann letztlich entfaltet, ist durchaus überraschend, aber eben auch ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
Marlene Dietrich spielt lang ganz toll einen Eisvogel, hat aber auch eine Szene in einer Bar, die wirklich lachhaft ist. Charles Laughton ist als malader Star-Anwalt Herz & Seele des Film und seine Kabbeleien mit der ihm zugeteilten Krankenschwester sind überwiegend unterhaltsam, wie überhaupt „Zeugin der Anklage“ für seine 2 Stunden Spielzeit rasch an einem vorbeifliegt.
Dennoch: Blly Wilder hat schon auch besseres gedreht („Sunset Boulevard“, „Double Indemnity“). (6/10)
Clean (2021, Regie: Paul Solet)
auf Amazon Prime
Normalerweise sind diese „alternder Kämpfer auf Revengetour“-Filme ja klassisches Straight-To-Video-Material.
Das Gnadenbrot Helden früherer Tage.
Doch scheint „Clean“ für Adrien Brody tatsächlich mehr ein Labour Of Love gewesen zu sein. Denn Brody spielt nicht nur die Hauptrolle, sondern hat auch das Buch geschrieben, die Musik komponiert und den Film produziert.
Trotzdem setzt sich „Clean“ nun nicht weit von den üblichen Werken der späten Liam-Neeson- oder mittleren Bruce-Willis-Ära ab, doch Brody kann nun mal sehr gut allen Weltenschmerz in einen Gesichtsausdruck legen.
So überzeugt „Clean“ kurioserweise weniger in seinen dunkel und zuweilen unsauber gefilmten Fight-Momenten (für die der Film wahrscheinlich hauptsächlich geliehen/gekauft wird), sondern in der Tragik, die Brody in seinem Charakter immer wieder andeutet.
Zwiespältiges Urteil also: das Herz überzeugt, die Faust weniger.
Nur ist der Rahmen für die Faust gemacht, nicht fürs Herzelein. (5/10)
Der Kastanienmann (2021, Creator: Søren Sveistrup)
auf Netflix
Gut wegzuschauende Thrillerserie auf Netflix. Ein nicht zu dämlicher Nordic Noir. Angenehm knackig-kurz.
Allerdings ist in der Plotenwicklung einiges bemüht bzw. aus Plot Convenience passierend, da waren vor allen „The Killing“, aber auch „Die Brücke“ schon gründlicher konstruiert. (6/10)
Cate Blanchett ist ein bewundernswerter Mensch, denn sie setzt sich in besonderem Maße für Nachhaltigkeit ein. Dafür kommt sie im Oktober sogar nach Wien.