The Brutalist (2024, Regie: Brady Corbet)
im Kino
Ein wirklich ungewöhnlicher Film, da er zugleich das Große zeigt wie er im Kleinen erzählt und damit so einige Konventionen des Bio-Pics auf den Kopf stellt.
„The Brutalist“ ist ein gewaltiger, dreieinhalbstündiger Entwurf eines Lebens und doch impressionistisch bis zuletzt. Zwar geschehen Katastrophen und Triumphe im Großen, doch sind sie immer durch ihre Wirkung nach innen, auf die Figur im Zentrum erzählt, auf Adrien Brodys Architektur-Legende, die als Flüchtling in Amerika beschwerlich Fuß fasst und sich tellerwaschend, kohleschaufelnd nach oben arbeitet, aber doch nie den Stolz seines früheren Lebens ablegen kann.
So sehr „The Brutalist“ auch wie eine filmische Biographie einer lange verkannten Legende wirkt, ist er doch eine erfundene Geschichte, die diesen erdachten Lebensweg nutzen mag, um nicht nur exemplarisch über das Amerika des letzten Jahrhunderts zu erzählen, sondern gleich auch noch zwischen den Zeilen – manchmal etwas zu deutlich – die Probleme des Jetzt mitzubeklagen.
Brady Corbet gelingt mit seiner doch recht faszinierenden Inszenierung eine ungewöhnliche Gleichzeitigkeit von großen Momenten und inneren Spiegelungen. Auch verfällt er nur selten den Genre-Klischees, sondern bricht in Score und Bildern sowie einer oft den Zuschauer desorientierenden Sprunghaftigkeit diese glatteste aller „Großer-Film-Erzählungen“. Auch deshalb wirkt sein „Brutalist“ trotz der wirklich enormen Dauer nie lang, sondern das Mindestnötige, um dieses Leben zu erfassen (das natürlich nur wie ein Exempel für den Charakter und die Probleme eines Landes steht). (8/10)
American Ultra (2015, Regie: Nima Nourizadeh)
zur Leihe bei den üblichen Anbietern
Ein Incel-Traum: in Wirklichkeit bist du gar kein nutzloser Kiffer, sondern ein hochausgebildeter Sleeper-Agent, der nicht nur gegen Establishment & Deep State kämpft, sondern auch noch Kristen Stewart zur Freundin hat!
Trotz dieser Geschichts aus Absurdistan beginnt „American Ultra“ recht passabel, was natürlich der tollen Besetzung mit Jesse Eisenberg und Kristen Stewart zu verdanken ist. Wie gerade letztere selbst diese Rolle noch mit einer gewissen Präsenz befüllt, ist schon bemerkenswert.
Je weiter sich „American Ultra“ allerdings zum „richtigen“ Actionstreifen entwickelt, desto egaler wird auch der Film und zieht sich gegen Ende, wenn Shoot Out auf Shoot Out folgt, doch enorm. (5/10)
Nightbitch (2024, Regie: Marielle Heller)
auf Disney+
Eine Geschichte um den Horror des Mutterseins. Ähnlich wie „Tully“ vor einigen Jahren befasst sich „Nightbitch“ mit den unangenehmen Konsequenzen des Kinder-Kriegens, wenn sich das Leben nur noch um den kleinen Derwisch dreht, aber von Beruf bis Liebe alles andere in der letzte Bank sitzen muss.
In seiner ersten Hälfte erzählt „Nightbitch“ angenehm flockig von diesen eher unangenehmen Zuständen, die so selten in der Popkultur thematisiert werden. Schräg ist nur, dass der Film sich zwar einen Body-Horror-esquen Twist einfallen lässt, den aber einfach wieder fallen lässt – was war der Punkt?
Dank einer tollen Performance von Amy Adams und der starken ersten Hälfte ist „Nightbitch“ aber doch sehenswert. (6/10)
Ein Mann wie Dynamit / 10 to Midnight (1983, Regie: J. Lee Thompson)
auf amazon prime
Dieser Früh-80er-Reißer von Charles Bronson ist offensichtlich ein Lovechild der Horror-Ära. „10 To Midnight“ hat zwar die üblichen Bronson-Tropes – zynischer konservativer Typ, der an der Wokeness der Welt verzweifelt und im Zweifel das Gesetz lieber in die eigene Hand nimmt – ist aber deutlich näher an einem Slasher gebaut als am üblichen Dirty-Harry-Blueprint.
Durch die leicht bizarre Entscheidung, den Killer in seinen Eskalationsmomenten ausschließlich nackt auftreten zu lassen, erreicht „10 To Midnight“ durchaus ein Alleinstellungsmerkmal (und zuweilen unfreiwillige Komik, wenn die Blocking-Fähigkeiten von Regisseur Thompson und seinem Kameramann unmenschliches leisten müssen, um zwischen all dem Blut und Titten nur ja keinen Penis ins Bild zu bekommen).
Von Bronsons 80er Jahre Filmen neben dem Gonzoalarm von „Death Wish 3“ sicherlich die abgedrehteste Variante.
So sleazy wie der italienischste Giallo. (7/10)
Beverly Hills Cop: Axel F (2024, Regie: Mark Molloy)
auf Netflix
In der Reihe der in der Zwischenzeit wohl unvermeidlichen Legacy-Spät-Sequels darf „Axel F“ seine Stimme für die originalgetreuste Variante seiner selbst erheben. Nicht nur sieht Eddie Murphy wirklich EXAKT genauso aus wie vor 40 Jahren, auch ist die Geschichte und der Look maximale ’80er Jahre Action-Comedy‘.
Leider ist allerdings das Drehbuch auf komplettem Autopilot. Die Geschichte ist natürlich eh nie spannend und wirklich kein einziges Mal lustig, auch wenn Murphy seinen ikonischen Axel Foley mit ordentlicher Präsenz spielt.
Einerseits schade, dass solche Filme in der Zwischenzeit nur noch im Netflix-Regal verstreamen, andererseits aber auch genau von dieser Güte. Kann man sich schön anschauen, ist aber auch sowas von egal. Immerhin keine Zuschauerbeleidigung wie das „Prinz von Zamunda“ – Spätquel.
Ich sag’s mal so: ChatGPT und seine Brüder hätten hier mit Sicherheit keine blassere Kopie abgeliefert.
Ist das die Zukunft? (5/10)
Einer von uns beiden (1974, Regie: Wolfgang Petersen)
Was Roland Klick mit seinem phänomenalen „Supermarkt“ für das Hamburg der 70er geleistet hat, vollbringt hier Wolfgang „Das Boot“ Petersen für das West-Berlin dieser Dekade.
Wie grau die Stadt aussah, wie verfallen ihre Hinterhöfe!
(im Grunde also genau so, wie man Ost-Berlin 25 Jahre später zum Mauerfall dann kennenlernen durfte…)
Aber es beeindrucken nicht nur diese tollen eingewohnten Bilder aus einer Stadt, die gleichzeitig Verfall wie immerwährenden Aufbruch signalisiert, sondern auch Petersens starke Genre-Story um eine Erpressung, die nicht nur völlig eskaliert, sondern im Verhängnis von Jedem endet.
Dabei beginnt alles ganz harmlos: das Plagiat einer Doktorarbeit bringt einen Stein ins Rollen, der von keinem der Beteiligten noch aufzuhalten sein wird. Wer jetzt denkt „“VroniPlag – der Film“, das klingt aber eher öde“ täuscht sich mehr als der Herr Professor bei seiner kopierten Dissertation! Der junge Prochnow mit seinem pockennarbigen Gesicht spielt so überzeugend den Hallodri, der den einen großen Zahltag ersehnt, dass sowohl seine Lebenslust wie auch die pure Angst vor dem Kommenden sofort glaubhaft wird. Klaus Schwarzkopf als sein professoraler Gegenspieler betätigt die Hebel der Macht, hat aber doch Furcht vor der eigenen Zynismus-Courage und verzweifelt nicht minder am Schlamassel, das sich die Beiden gegenseitig bereiten.
Vielleicht das Beste, was Petersen je gedreht hat! (8/10)
The Dating Game Killer / Woman of the Hour (2023, Regie: Anna Kendrick)
auf amazon prime
Diese auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte um einen Serienkiller, der in der Ami-Vorlage von „Herzblatt“ teilgenommen hat, gäbe ein schönes Double Feature mit „Last Night With The Devil“, tauchen beide Filme doch tief in Style & Attitude des 70er Jahre US-Fernsehens ein.
Anna Kendricks Regiedebüt zwirbelt dabei eine größere Geschichte von den Taten und letztlich der Festnahme des Killers um ihr zentrales Setpiece der Kuppelshow und will zudem noch von der allgemein vorherrschenden Misogynie der 70er erzählen, die auch dazu führte, dass Rodney Alcala viel später gefasst wurde als es eigentlich möglich gewesen wäre, hätte man nur den Frauen mehr Glauben geschenkt. Das ist manchmal etwas zu viel des Guten, aber vor allem dank der wirklich unangenehmen Präsenz von Alcala-Darsteller Daniel Zovatto doch aufwühlend.
Zwei Szenen, die allein den Film sehenswert machen: ein Dialog auf dem Parkplatz des Studiogeländes zwischen den beiden Kuppel-Show-Gewinnern, der sich schleichend von Flirt zu Morddrohung entwickelt, und das Zusammentreffen von Alcala mit einem jungen Opfer, der Außreisserin Amy, die von Autumn Best mit einer faszinierenden Vielschichtigkeit in ihrer kleinen Rolle gespielt wird.(6/10)
Instinct (2019, Regie: Halina Reijn)
auf amazon prime
Besser als das unangemessen kitschige Plakat vermuten lässt, aber auch nicht so stark wie der Film selbst von sich zu denken scheint.
Es ist schon eine Gratwanderung: eine Therapeutin in einer Betreuungsanstalt für Gewalttäter, die selbst Vergewaltigungsphantasien hegt und sofort in ein 1:1 gegen den hübschen jungen Vergewaltiger mit tollem Körper und frechem Iro einsteigt. Zunächst als Hardlinerin gegen jeden Freigang, dann offensichtlich seine Nähe suchend bis es natürlich zur unweigerlichen Eskalation kommen muss.
Der Film von Halina Reijn, die gerade ihren Hollywood-Durchbruch mit Nicole Kidmans „Babygirl“ erlebt, hat seine Stärken eindeutig in seiner ersten Hälfte, wenn wir uns die Motivation der Therapeutin (Carice van Houten aka „Melisandre“ aus Game Of Thrones) noch selbst zusammenreimen müssen. Leider bleibt vor allem Iro-Guy eine Chiffre, dessen Niceness bei gleichzeitigem dämonischem Grinsen nie recht ergründet wird.
Das Ende ist trotz kontroverser Doppel-Eskalation seltsam stumm. (5/10)
Dein Schicksal in meiner Hand / Sweet Smell of Success (1957, Regie: Alexander Mackendrick)
auf amazon prime
In seinen jazzigen, rauhen Bildern der New Yorker Nacht wirkt „Sweet Smell of Success“ (unpassender deutscher Schmonzetten-Titel: „Dein Schicksal in meiner Hand“) beinah wie ein Vorläufer zur Bildsprache der Nouvelle Vague. Mackendrick erzählt eine vielschichtige, anfangs gar nicht leicht zu durchschauende Geschichte, in der alle Hauptprotagonisten auf ihre Weise amoralische, zynische Charaktere sind:
Der PR-Mann, der millionenfach gelesene Kolumnist, sein Konkurrent, der für die ihm zugeführte Frau ein Schmiergeschichten in der Zeitung platziert… schon erstaunlich, wie tief im Dreck des Zwischenmenschlichen dieser Film von 1957 steht. (6/10)
P.S.: Dass die Vorlage der Geschichte sogar umbenannt werden musste, weil man damals das Wort „Smell“ nicht in Zeitungen schreiben wollte, scheint mir da doch das kleinste Problem gewesen zu sein:
„Lehman’s story had originally appeared in the April 1950 issue of Cosmopolitan, renamed „Tell Me About It Tomorrow!“ because the editor of the magazine did not want the word „smell“ in the publication.“
Der Rabe (1943, Regie: Henri-Georges Clouzot)
Was „Kleine schmutzige Briefe“ als empowernde Krimikomödie letztes Jahr aufbereitete, hat Henri-Georges Clouzot im zweiten Weltkrieg als waschechten Whodunnit-Krimi präsentiert: ein ganzes Dorf erhält von einem mysteriösen Absender dreckige Verleumdungsbriefe, die Zwietracht und Misstrauen säen.
Eine breite Figurenpalette möglicher Verdächtiger drängt „Der Rabe“ beinah in Agatha-Christie-Terrain, aber die größere Ernsthaftigkeit, womöglich auch der Situation des von Nazis besetzten Frankreichs zu dieser Zeit geschuldet, vermeidet jede Krimiknuddeligkeit. (6/10)
Done!