vonChristian Ihle 07.04.2025

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Val Kilmer – Ein Leben zwischen „Top Gun“ und „The Doors“ (2021, Regie: Leo Scott, Ting Poo)
in der ARTE-Mediathek

Diese Dokumentation über Val Kilmer ist zugleich eine Doku von Val Kilmer, denn der Iceman war seiner Zeit voraus, ein Insta-Posterboy vor der Always-Online-Zeit. Immer mit dem Camcorder unterwegs, tausende Stunden Leben archiviert auf alten Bändern.

„Val“ nimmt diesen Schatz ernst, so ernst dass Kilmer sogar in den Credits als „Cinematography by: Val Kilmer“ auftaucht und Bonnie ‚Prince‘ Billy zum Ende sein „I Am a Cinematographer“-Lied singt*.

Das hat natürlich einen besonderen Charme, aber selbstredend auch das Risiko des Über-POV des Stars im Zentrum. Eine kritische Betrachtung ist aus einem Zusammenschnitt der Kilmer’schen Homevideos demnach auch nicht zu erwarten. So bleibt „Val“ an der Oberfläche durch all das Originalmaterial zwar faszinierend, durchdringt Kilmer aber nie wirklich – außer der Thematisierung seiner schweren Erkrankung, aufgrund der er nur noch schwer verständlich durch ein Loch im Hals krächzen kann. Insbesondere seinen Ruf als „schwierig“ und den damit einhergehenden Abstieg von schönstem Mann der Welt und Lead der größten Rollen zum Nebendarsteller und Quasi-Mickey-Rourke-mit-Bärchengesicht wird kaum aufgearbeitet. (5/10)

P.S.: eine irre Trivia aus dem Film – dass Kilmers erste eigene kreative Arbeit auf dem 70ies-Untergrund-Schreiben von Bommi Baumann beruhte, der in „Wie alles anfing“ von seiner Zeit zwischen umherschweifenden Haschrebellen und mordenden RAF in der Bundesrepublik der späten 60er berichtete.

P.P.S.: völlig unverständlich, warum Kilmer seinen Karrierestart „Top Secret“ so wenig schätzt. Immer noch eine der besten Komödien der 80er!

* übrigens in einer neu aufgenommenen Variante des ursprünglich unter seinem 90ies Namen ‚Palace Music‘ veröffentlichten Variante – soweit ich sehen kann, aber nirgends im Netz zu finden:

www.youtube.com/watch?v=ThzRScleUU4

Fussball Hinter Dem Eisernen Vorhang / Stasi FC (2024, Regie: Arne Birkenstock, Daniel Gordon, Zakaria Rahmani)
Im Kino

Dokumentation über die Verstrickungen der Stasi in den ostdeutschen Fußball, namentlich BFC Dynamo Berlin. „Stasi FC“ erzählt die Bestrebungen Erich Mielkes, einen der wenigen unreglementierten Bereiche der DDR einzuhegen. Zunächst wurden Dynamo Berlin par ordre du mufti die besten Spieler des Landes zugeführt und wenn das immer noch nicht zur Meisterschaft reichen sollte, taten die Männer in Schwarz ihr Übriges – das sind wahrscheinlich auch die faszinierendsten Szenen, wenn eklatante, entscheidende Fehlentscheidungen von damals gezeigt werden (und zu meiner Überraschung das DDR-Fernsehen diese auch mit genug Luft zwischen den Zeilen kommentierte).

Dieser enge Blick weitet sich in der zweiten Hälfte der Dokumentation auf den Zustand Ostdeutschlands Mitte/Ende der 80er Jahre, die letztlich zum Fall der Mauer führte. Hier eine fantastische Szene aus den sterbenden Tagen der Deutschen Demokratischen Republik: Mielke hält eine Rede in der Volkskammer und schwadroniert, anscheinend es selbst glaubend, dass er doch alle Menschen lieben würde und engen Kontakt zum arbeitenden Volk habe, während die Abgeordneten zu lachen beginnen und Mielke ungläubig in diesem Moment seinen Machtverlust erfährt.

Technisch ist die Dokumentation relativ bieder mit dem üblichen Gesprächspartner-Setup ausgestattet, mit Falko Götz und Dirk Schlegel hat man zwei berühmte „Republikflüchtlinge“, mit Ralf Minge einen im alten Staat verbliebenen Fußballstar vor der Kamera. Hier könnte „Stasi FC“ manchmal tiefer in seine Kalter-Krieg-Agenten-Geschichte einsteigen, wenn von Götz/Schlegels Flucht unter Decken berichtet oder der traurige Fall des Lutz Eigendorfs erzählt wird, der als erster prominenter, sich in den Westen absetztender DDR-Sportler Anfang der 80er Jahre verstarb, mit guter Wahrscheinlichkeit einer Ermordung durch DDR-Agenten. (6/10)

Mond (2024, Regie: Kurdwin Ayub)
im Kino

Kurdwin Ayubs „Mond“ folgt auf ihre „Sonne“, mit der sie vor zwei Jahren eine unglaublich frische, mitreissende Coming Of Age-Geschichte mit maximalem Ösi-Schmäh gedreht hatte, die so urmodern war wie ein 80-minütiges Insta-Reel mit Hasenohrfiltern!

Wie im Vorgänger befasst sich Ayub auch hier wieder mit dem Leben junger Frauen, die zwischen westlicher Kultur und östlichen Traditionen zerrissen werden. War „Sonne“ aber hell und warmherzig, fährt „Mond“ in die düsteren Gegenden.

Eine österreichische Martial-Arts-Trainerin (die skandalumwitterte Performance-Künstlerin Florentina Holzinger) erhält von einem offensichtlich reichen Typen einen lukrativen Auftrag, in einem herrschftlichen Haus in Jordanien seine drei Schwestern in Kampfsport zu unterrichten. Ein NDA wird unterzeichnet, Fotos sind verboten, WLAN nicht vorhanden. Nach und nach schält sich ein düsteres Geheimnis heraus, das über die „normale“ Zweitrangigkeit von Frauen hinausreicht.

„Mond“ erzählt ruhig, mit erneut eher dokumentarischem Blick von einer Annäherung der Figuren untereinander und entwickelt sich gegen Ende zunächst zum Thriller, dann zum Drama. (6/10)

Xoftex (2024, Regie: Noaz Deshe)
Im Kino

Ein Leben im Flüchtlingslager. Die Tage verbringen zwischen Zeittotschlagen und Traumabewältigung, Auflehnung und Resignation.

Nach einem recht eindrucksvollen ersten Drittel, das die Zustände des Lagerdaseins erleben lässt, entwickelt sich „Xoftex“ zu einer kryptischen Abhandlung über Träume und die zerstörerische Wucht der Realität. Immer poetischer wird der Film in seinen tollen Bildern, aber umso schwieriger wird es für uns Zuschauer, die Last der Charaktere zu spüren. (5/10)

Boy Kills World (2023, Regie: Moritz Mohr)
auf Netflix

Wie eine brutale Sci-Fi-Version von „Scott Pilgrim vs The World“, aber leider ohne dessen Witz. Nimmt Anleihen bei „Kill Bill“ und Arcade-Video-Spielen wie „Streetfighters“ oder „Mortal Kombat“, ist aber emotional näher an einer Konsole als an QT. (3/10)

Mädchen mit Gewalt (1970, Roger Fritz)

Man muss Roger Fritz wirklich zugute halten, dass er in „Mädchen: Mit Gewalt“ etliche Seherwartungen unterläuft. Seine Geschichte um zwei misogyne Typen, die die nächste Braut aufreissen wollen und sich im Zweifel bei Widerwillen eben nehmen, was ihnen aus ihrer Sicht „zusteht“, beginnt als deutscher ‚Reveneamatic‘, biegt aber ständig ab.

Das ist einerseits frustrierend, wenn sich die drei Figuren in dieser Kiesgrube der Hölle wie in einem Kammerspiel über Stunden ständig gegenseitig an den Rand des Erträglichen bringen, hat aber womöglich dadurch sogar einen tieferen Impact als wenn sich die Rachegewalt der Frau Bahn brechen würde. Denn am Ende scheint Fritz sagen zu wollen, dass die Strukturen der Gesellschaft es der Frau so verunmöglichen, sich selbst zu behaupten, dass sie selbst den Gedanken an das Aufbegehren schon erschlagen.

Frustrierend, aber auf dieser Ebene auch verstörend.
Stark: Klaus Löwitsch als Verkörperung ausgestellt viriler, aber im Grunde völlig verunsicherter Männlichkeit. (5/10)

Cop Car (2015, Regie: Jon Watts)
zur Leihe bei den üblichen Verdächtigen

Bin einfach kein Freund von naseweisen Kleinkindern. Auch dann nicht wenn sie in einem Polizeiauto on the run sind und von einem schnauzbärtigen Kevin Bacon in bestem Redneck-Modus verfolgt werden. „Cop Car“ strapaziert die Glaubwürdigkeit zu sehr für mein Dafürhalten. (4/10)

Die Magnetischen (2021, Regie: Vincent Maël Cardona)
zur Leihe bei den üblichen Verdächtigen

Einer der besten Soundtracks überhaupt. Wie hier geschmackssicher in die deep cuts der Post-Punk- und Minimal-Wave-Ära* eingetaucht wird, macht diesen Coming-Of-AgeFilm vor dem Backdrop einer tragischen Familiengeschichte schon allein sehenswert.

So macht man Filme, deren Protagonisten ein Piratenradio gründen und sich dort die Post-Punk-Finger wundspielen!

In seiner Geschichte hat mich „Les magnétiques“ dennoch kälter gelassen als der durchschnittliche Cold-Wave-Albumfüller, weil zwar Sound und Zeitkolorit hervorragend eingefangen sind, aber die Hauptfigur im Zentrum eine Leerstelle bleibt, deren Sehnen und Suchen ich nie recht nachvollziehen konnte. (6/10)


* spontan fünf Knaller aus dem Film:
– „Decades“ von Joy Division („Here are the young men, the weight on their shoulders / Here are the young men, well where have they been? / We knocked on the doors of Hell’s darker chamber / Pushed to the limit, we dragged ourselves in“)
– „Grey Skies“ von Turquoise Days
– „Mit Dir“ von DAFs Robert Görl
– „Wahre Arbeit, Wahrer Lohn“ (12inch version) von Die Krupps
– „Pour La Gloire“ von Camera Silens

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