vonNora 08.03.2023

Gesellschaft auseinander puzzlen

Gesellschaft: ein Puzzle aus vielen Teilen. Blog-Autorin Nora nimmt es kritisch auseinander und schafft ein gerechteres Bild.

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Ich habe oft das Gefühl, dass der Feminismus es heutzutage schwerer hat, weil in Deutschland viel offensichtliche Diskriminierung über die letzten Jahrzehnte abgeschafft wurde. Die gesetzliche Gleichberechtigung ist überwiegend hergestellt. Wir dürfen wählen, unseren Beruf selbst wählen, Kreditkarten besitzen, etc. Das erweckt bei einigen den Eindruck es wäre doch schon alles getan. Frauen wären doch schon gleichberechtigt. Ja, der Gender-Pay-Gap, der würde noch bestehen, aber sonst?

Die Diskriminierung, die in unserer Gesellschaft hinsichtlich FLINTA* (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) besteht, liegt tiefer. Sie lässt sich nicht einfach mit Gesetzen von einen auf den anderen Tag abschaffen. Mit den Strukturen und Machtverhältnissen müssen wir uns auseinandersetzen. Dabei kann es helfen, die vermeintlichen Einzelfälle oder versteckten Diskriminierungen in Zahlen zu fassen und zu hinterfragen: Warum sind so viele FLINTA* von Gewalt betroffen? Warum werden an jedem dritten Tag Femizide begangen? Warum leisten FLINTA* mehr Care Arbeit? Warum leiden FLINTA* unter sexueller Belästigung? Warum leisten FLINTA* mehr emotionale Arbeit? Warum werden FLINTA* soziale und schlechter bezahlte Berufe zugeschrieben?

All das ist der Ausdruck eines Weltverständnisses. Eines Weltverständnisses, in dem Männer einen größeren Raum einnehmen und glauben, über diesen verfügen zu können. Das Patriarchat. Das äußert sich in Debatten und Bezeichnungen wie Mansplaining, Manspreading, etc. Diese werden oft als Kleinigkeiten abgetan, dabei sind es Symptome, die die Weltsicht des Patriarchats zeigen. Um das zu durchdringen und systematisch zu verändern, braucht es alle. Diese verinnerlichten Gedankenzüge und Einstellung, die auf unseren Erfahrungen basieren, die wir unser Leben lang in der patriarchalen Welt machen, können sich nur ändern, wenn wir uns vertieft mit den Strukturen auseinandersetzen und sie versuchen zu verstehen.

Also bitte: Tragt alle euren Teil dazu bei. Das wünsche ich mir. Das brauchen wir, um Gleichberechtigung herzustellen. Gesetze können ihren Beitrag leisten, in dem Rechte von FLINTA* gestärkt werden, Traditionen aufgebrochen und der Bruch damit belohnt wird (oder nicht mehr bestraft wird). Etwa durch die Ermöglichung der Elternzeit beider Elternteile oder das Recht auf gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit trotz verschiedener Verhandlung. Und falls das simple Argument der Gleichberechtigung für manche noch nicht reicht, obwohl die Abschaffung der Diskriminierung von FLINTA* genug Argument sein sollte, auch Männern hilft der Feminismus. Auch sie werden in eine Rolle gedrängt, die es gilt aufzubrechen. Die männlichen Geschlechterrollen tragen unter anderem zu einer höheren Suizidrate und späteren Behandlung von Krankheiten bei Männern bei. Denn wie das Rollenbild es will, müssen Männer stark bleiben. Bis es eben nicht mehr geht.

Auch Intersektionalität, also die Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungen und somit Verstärkung der Benachteiligung, muss mehr in unseren Blick geraten. Viel zu lange lag der Fokus des Feminismus auf weißen, cis Frauen mit hohem sozioökonomischen Status. Diese Frauen wurden mehr gehört und erkämpften die Rechte vor allem für sich allein. Wir müssen aufhören, uns von anderen FLINTA* abheben zu wollen, damit wir in der privilegierten Welt der Männer einen Platz bekommen. Wir alle haben diesen Platz verdient oder besser gesagt: Das Patriarchat und somit die Schaffung der Hierarchien muss aufgelöst werden, anstatt einigen Ausgewählten auch einen Platz in diesem System zu schaffen. Dabei ist es sehr bedeutend, die eigene, internalisierte Misogynie zu hinterfragen und unter FLINTA* zusammenzuhalten. Denn was wir am Wenigsten brauchen ist die Aussage: Das kommt doch von einer Frau. Das kann doch nicht sexistisch sein. Leider schon, wir alle sind im Patriarchat groß geworden und haben das System dieser Welt in uns aufgenommen.

Ich konzentriere mich in meinen Überlegungen auf die Lage in Deutschland. Trotzdem darf der Hinweis nicht fehlen, dass FLINTA* in vielen Bereichen der Welt noch immer für ihre fundamentalen Rechte kämpfen müssen. Ich betrachte die Entwicklungen mit äußerster Bewunderung für alle Feminist:innen in dieser Welt und mit äußerstem Erschrecken über die Gewalt und Unterdrückung in diesem System.

Wir haben noch eine ganze Menge vor uns und es wird nicht leichter werden. Der Feminismus hatte es schon immer schwer. Immer, wenn den Mächtigen etwas Macht entzogen werden soll, wird es schwer. Immer dann gibt es die Angst, dass FLINTA* zu viel Macht bekommen und sie kontrolliert werden müssen.

Lasst uns trotzdem nicht die Hoffnung verlieren. Lasst uns alle zusammenhalten und gemeinsam für eine bessere Welt kämpfen. Lasst uns von einer Welt träumen, in der jede Person ganz nach ihren Persönlichkeitsmerkmalen und Bedürfnissen ohne Unterdrückung leben kann und wir nicht mehr in binären Rollenbildern denken. Wir Geschlecht nicht als binär betrachten. Wir alle einfach Menschen sind. Der feministische Kampftag muss ein Schritt in diese Richtung sein.

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kommentare

  • „Wir müssen aufhören, uns von anderen FLINTA* abheben zu wollen, damit wir in der privilegierten Welt der Männer einen Platz bekommen.“
    Das trifft es so auf den Punkt. Hab ich mir gleich aufgeschrieben. Toller Beitrag!!! 🙂

  • Genau diese Denkweise braucht es, um unser jetziges System aufzubrechen. Auch wenn viele Probleme benannt werden und gezeigt wird, dass noch viel zu tun ist, ist die Hoffnung auf Änderung dabei nicht zu übersehen. So kann ich heute voller Mut in den Feministischen Kampftag starten! Danke!

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