vonNora 02.03.2023

Gesellschaft auseinander puzzlen

Gesellschaft: ein Puzzle aus vielen Teilen. Blog-Autorin Nora nimmt es kritisch auseinander und schafft ein gerechteres Bild.

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Bei der neuen Comedy Show „CRINGE!!! Das Musical.“ von Fil kommt mir nicht als erstes das Wort “cringe” in den Kopf, sondern unreflektierter, diskriminierender, alter, weißer Mann. In seiner Show deutet Fil zwar Selbstkritik an, indem er sich selbst als alten, weißen Mann bezeichnet, aber zu einem wirklichen Nachdenken über seine Privilegien und somit Verantwortung hat es offensichtlich nicht geführt.

Es wird mit Begriffen wie pansexuell, nicht-binär und genderfluid um sich geschmissen, ohne ganz offensichtlich die Definition dafür zu kennen oder die Identitäten von diesen Menschen zu respektieren. Etwas wird in eine „nicht-binäre Box“ gepackt. Seiner Aussage nach fühlen sich pansexuelle Menschen mal als Frau und mal als Mann, was jedoch nichts mit der Sexualität sondern der Geschlechtsidentät zutun hat. Glaubt nicht, ich nehme alles einfach zu ernst, es sei immer noch eine Comedy Show. Ich verstehe sehr wohl Spaß, aber nur, wenn dabei nicht unter dem Deckmantel des Witzes über marginalisierte Gruppen hergezogen wird. Denn der Hintergrund dieser Witze, ist ganz klar zu erkennen: Es wird sich nicht etwa darüber lustig gemacht, wie es sein kann, dass Sexualität und Geschlechtsidentität immer noch in heteronormativen Mustern gedacht wird, sondern, dass das doch jetzt alles „zu viel“ und „zu kompliziert“ ist. Es wurde auf die Spitze getrieben, als Fil anfängt, ein Lied darüber zu singen, dass er „punksexuell“ sei. Ganz ehrlich: Dabei kriege ich einfach nur Bauchschmerzen. Wäre er doch weiter auf dem Pfad geblieben: Ich bin ein alter, weißer Mann und mache mich über mich selber lustig. Stattdessen wird mit der Wortneuschöpfung unterstrichen, was bei queerfeindlichen Aussagen häufig mitschwingt: Es wären zu viele Begriffe und somit Identitäten. Jeder könne sich mittlerweile als alles mögliche bezeichnen. Noch erschütternder, als die Tatsache, dass es Fil anscheinend nicht peinlich ist, sich queerfeindlich zu positionieren, ist, dass zu diesen „Witzen“ auch noch herzhaft gelacht und schallend applaudiert wird. Da kann ich nur fassungslos dasitzen und voller Unbehagen auf die nächsten „Witze“ warten.

Es bleibt nicht bei Queerfeindlichkeit. Es fallen Aussagen, die Gemüsehändler in Verbindung mit Osama bin Laden bringen. Wie  islamfeindlich und rassistisch geht es noch? Außerdem wird gesagt, man dürfe nicht mehr „Indianer“ sagen. Dann sag es doch bitte auch nicht! Diese Aussage unterstreicht so sehr die Ignoranz gegenüber diskriminierten Gruppen und das stete Hinwegsetzen über die Thematisierung von diskriminierender Sprache und Verhalten. Fil schlägt damit nur weiter in die Kerbe der Privilegierten, die der Meinung sind, sie dürften nichts mehr sagen. Das ist einfach nur peinlich und respektlos. Wie kann man mit so vielen Privilegien aufwachsen und Geld dafür bekommen, sich über andere lustig zu machen und sich dann beschweren, wenn diskriminierte Gruppen einfordern, dass diskriminierende Sprache doch bitte nicht mehr benutzt wird? Ich kann es nicht verstehen! Privilegierte fordern, dass sie sich über nichts Gedanken machen müssen. Wie blind kann man für die Lebensrealität anderer Menschen sein?

Dieser Abend hat mir leider mehr Ärger und Bauchschmerzen beschert, als dass er mich zum Lachen gebracht hat. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass Fil die Inspiration und Kreativität gefehlt hat, um ein unterhaltsames Programm zu schreiben und er sich dann ein Programm rund um die Themen überlegt hat, die Leute in seinem Alter wohl lustig finden, aktuell sind und mit denen man, ohne von seinem typischen Publikum gecancelt zu werden, sich diskriminierend über Leute lustig machen kann. Insgesamt eine große Enttäuschung.

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https://blogs.taz.de/puzzlen/peinliches-cringe-musical/

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kommentare

  • Sie beschweren sich, dass Fil Menschen diskriminiert, haben aber kein Problem damit, zu schreiben, dass “Leute in seinem Alter” das wohl lustig finden. Das ist Age-Bashing par excellence, denn damit sagen Sie, dass ältere Menschen alle queerfeindlich und von vielen Geschlechterwahlmöglichkeiten überfordert sind. Ich bin Ende 50, meine Tochter ist lesbisch (und ja, ich bin Veganerin, aber das nur nebenbei) – und ich bin ich kein Boomer, der in ein Kabarettprogramm geht, weil da “Themen für Leute in meinem Alter” behandelt werden. Was für ein Bild von älteren Menschen haben Sie?
    Außerdem hängen Sie sich so sehr an dieser einen Thematik auf, dass man überhaupt keinen Eindruck bekommt, wie der Abend insgesamt war. Es wird ja wohl noch mehr Themen gegeben haben. Vielleicht waren die ja witzig, aber Sie wollen das gar nicht erwähnen, weil das Ihren Rant kaputt machen würde? Das ist m.E. kein Journalismus, sondern nur eine einseitige “ich bin dann mal beleidigt”-Predigt.

    • Vielen Dank für den Kommentar. Das waren sehr unreflektierte Aussagen. Natürlich ist mir bewusst, dass Toleranz und Diskriminierung je unabhängig vom Alter möglich sind. Ich entschuldige mich für meine Aussagen.

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