vonPhilipp Rhensius 26.04.2023

Reality Glitch

Alltagsszenen anhalten, während sie passieren. Sie neu zusammensetzen. Mal poetisch, mal hyperreal, mal wtf!?

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Eine Person wird in eine Ansichtskarte verwandelt. Und noch eine.

Klick.

Dann schwarze, übereinander geschichtete Steine. Dann Wellen. Dann ein weißer Strohhut. Dann zwei Personen, die ihre Gesichter aneinanderpressen.

Klick.

Dann Eiskugeln mit bunten Zuckerperlen, die zwischen hastigen Zungenschlägen verschwinden.

Zeichne ein Storyboard dieser Szene:

Wofür stehen die Fotos? Sollen sie die Gegenwart überwinden als Aktien für eine entfernte Zukunft oder die Gegenwart einfrieren als Investition für eine zukünftige Vergangenheit?

Wofür stehen die Zuckerperlen? Für die Feier des exzessiven Überschusses oder die seltene Ausnahme zur Regel der mittelständischen Sparsamkeit? Was ist der Mindestlohn der Person, die die Perlen auf dem Eis drapiert hat?

Was sind die Geschlechter und Gender der Kids und ihrer Eis-spendierenden Eltern?

Sind das die richtigen Fragen?

So oder so, die Fragen sind einfach so gekommen. Sie mussten gestellt werden. Sie haben sich in die Szene geschmuggelt. Wie Kinder, die sich nachts aus dem Bett schleichen, um den Gesprächen der Eltern zu lauschen.

Nein, Mama, keine Sorge, ich habe trotzdem Spaß. Ich kann beides: leben und reflektieren zugleich. Das eine schließt das andere nicht aus. Auch wenn es lange gedauert hat, mir den Hirnfick Soziologie-Studium abzutrainieren.

Ich mag das. Eine Fremde sein, eine Seltsamkeit sein. Irgendwie von hier kopiert und random dort wieder eingefügt.

Manchmal schmecke ich den Anflug eines Gedankens, den ich nicht ausformuliere und speichere ihn zwischen als Ding zwischen vagem Gefühl und eindeutiger Tatsache. Dann rutsche ich in den nächsten Moment. Denke an Krieg, Zärtlichkeit, den Salat in der Tupperdose – und wie mich das alles aus dem Gleichgewicht bringt.

Ist copy-and-paste als beliebteste Form des Reisens eine gut getarnte Fortführung des Kolonialismus?

Ich verlasse die Szene und merke: Fuck, ich habe den Zwischenspeicher gelöscht.

Ich klicke vorsichtshalber auf strg+s.

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