Ich bin nach Erreichen des obligatorischen Rentenalters von 62 bei der UNCTAD ausgeschieden. Um dem kritischen ökonomischen Denken eine neue Plattform zu geben, habe ich Flassbeck-Economics gegründet, eine Institution zur Erweiterung der wissenschaftlichen Basis der Volkswirtschaftslehre. Spätestens am 1. April wird Flassbeck-Economics mehrfach pro Woche mit eigenen Analysen auf einer eigenen homepage an den Start gehen. Diese Plattform für kritisches Denken sieht sich als Ergänzung und Erweiterung der Nachdenkseiten, denen wir inhaltlich und freundlich verbunden sind und bleiben. Ich werde auf Flassbeck-Economics mit Friederike Spiecker und einigen anderen Kollegen zusammen kritische Bestandsaufnahmen des wirtschaftlichen Geschehens in Deutschland, Europa und der Welt in deutsch und englisch vornehmen. Diese werden sich fundamental vom Mainstream unterscheiden, und zeigen, dass es eine rationale wissenschaftliche Basis der Volkswirtschaftslehre gibt und dass nur auf dieser Basis eine realistische und erfolgversprechende Wirtschaftspolitik möglich ist. (Heiner Flassbeck)
Der „gute Weg“, den die „Retter“ Griechenland aufgezwungen haben, war der Weg in eine unglaubliche Katastrophe.
Die offenkundige Blindheit der Politiker im Norden für die Verhältnisse im Süden droht, Europa zu sprengen. Es scheint, als hätten die Politiker des Nordens bei den Verhandlungen am Montag in Brüssel einen von der Kommission ausgearbeiteten Kompromiss ausgeschlagen (so berichtet es Bloomberg, zitiert von der WELT). Das bedeutet nichts anderes, als dass einige Leute an einer linken Regierung ein Exempel statuieren wollen. Es soll nach dem Scheitern von SYRIZA von vorneherein niemand mehr auf die Idee kommen, links zu wählen.
(…) Die griechische Regierung kann, wenn es weiter so schlecht läuft, in wenigen Tagen vor der Wahl stehen, entweder ein Ausstiegsszenario aus dem Euro ins Auge fassen zu müssen, das für ganz Europa Schock und Chaos bedeuten kann, oder sich dem Diktat aus Berlin zu beugen und dann sofort zurückzutreten. Auch das zöge voraussichtlich Chaos nach sich, und zwar – anders als sich das offenbar viele Politiker in Deutschland vorstellen – nicht nur in Griechenland.
Warum ist es so schwer zu begreifen, dass sich die Mehrheit der Griechen zurecht weigert, ein Hilfsprogramm weiterzuführen, das niemals so funktioniert hat, wie es die Geldgeber versprochen haben, und das der Masse der griechischen Bevölkerung offenkundig gewaltigen Schaden zugefügt hat und weiter zufügen wird? Die Fortführung dieses Programms ist gegen jede Vernunft und wird in den anderen von der Krise und ähnlichen Programmen betroffenen Ländern einschließlich Italien und Frankreich den radikalen Anti-Europäern auf der rechten Seite des politischen Spektrums enormen Auftrieb geben.
Die Verantwortung für diese Entwicklung trägt überwiegend Deutschland, das sich von Beginn der Währungsunion an geweigert hat, die grundlegenden Spielregeln einer solchen Vereinigung zu benennen, anzuerkennen und sich daran zu halten, und das seit Ausbruch der Krise weitgehend kollektiv leugnet, dass die Missachtung dieser Spielregeln die Hauptursache der Krise darstellt. (flassbeck-economics)
Heiner Flassbeck, Wirtschaftswissenschaftler, war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf, wo er aus Altersgründen ausschied.
DLR-Interview (23.02.2015)