vonDetlef Berentzen 30.10.2017

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Education is the most powerful weapon which you can use to change the world.“
(Nelson Mandela, Ehrenpräsident United-World-College 1999-2014)

Julia Schetelig (s. Foto) lebt in Berlin. Eigentlich. Und sie schreibt. Ihr letztes Buch, das sie tapfer als „Kindle-Edition“ verbreitete“, trug den Titel „Engelsflügel“. Ihre eigenen Flügel haben sie inzwischen weit fort getragen: Nach Singapur.
Vor mehr als einem Jahr traf ich sie in Berlin während einer Lesung für junge Nachwuchskräfte. Und als sie mir damals erzählte, dass sie für zwei Jahre qua Stipendium an einem „United World College“ in Südostasien studieren wird, fand ich es keine schlechte Idee, sie um ein paar Notizen zu bitten. Um zu erfahren, was so läuft – in Singapur, am College und überhaupt. (db)

 

Stress ist schon ein seltsames Phänomen. Psychologisch gesehen gibt es gar keinen so großen Unterschied zwischen der körperlichen Reaktion auf Stress und die Liebe. Rational gesehen ist es nicht sonderlich effizient, Zeit zu vergeuden indem man sich emotional darüber aufregt, dass man keine Zeit hat. Philosophisch gesehen hat sowieso alles keinen Sinn, und ich sollte einfach versuchen glücklich zu sein. Und realistisch gesehen sind hier alle einfach ziemlich k.o. Nachdem ich solange mit Updates für diesen Blog ausgesetzt habe, fange ich lieber nochmal von vorne an. Ich heiße Julia, bin inzwischen 18 Jahre alt und lebe seit einem Jahr im Internat in Singapur – dank eines Stipendiums von den United World Colleges (UWC).

 

Während die meisten meiner internationalen Freunde über die Sommerferien zwischen der 11ten und 12ten Klasse nach Hause fuhren, bin ich den Sommer über hier in Südostasien geblieben. Trotz einer seltsamen indonesischen Krankheit, die mich in Bali packte, und ein paar Schularbeiten war das eine wunderschöne Chance, vor allem Singapur einmal ohne die schützende Bubble der UWC-Welt zu erleben. Ich flog außerdem für eine weitere Friedenskonferenz nach Thailand, hatte ein sehr spontanes Praktikum bei einer Communications-Freelancerin und wurde durch Zufall Dolmetscherin für FC Bayern München. Die restliche Zeit habe ich mich mit Freunden getroffen und jede Menge Schlaf nachgeholt.

 

Das ist jetzt ungefähr zwei Monate her. Was dazwischen passiert ist? Gefühlt alles. Und dann auch wieder nichts.

Wir wurden alle vor dem berüchtigten ersten Semester der 12ten Klasse gewarnt. Was zunächst nicht verstand, war, dass es bei dieser Warnung gar nicht um den Berg an Schulaufgaben geht, die am Anfang anstehen, auch nicht um den Druck, der wächst je näher die finalen Klausuren rücken und es geht noch nicht mal um die Universitätsbewerbungen, die wir schreiben müssen. Es geht um konkrete Zukunftsfragen, die jetzt plötzlich relevant werden: Das Thema „Studium und Beruf“ ist keine hypothetische Konversation mehr, sondern es braucht eine konkrete Entscheidung, die getroffen werden muss. Eine Entscheidung, die vor 48h den “Senden”-Knopf gedrückt hat.

Und nun sitze ich hier an meinem Schreibtisch (eigentlich ist es gar nicht mein Schreibtisch, aber der Besitzer dieses Schreibtisches tut hier nichts zur Sache) und gebe mir Mühe, meinen eigenen Motivationssprüchen zu glauben: “Das wird schon alles” oder “Noten und Uni werden nicht unser gesamtes Leben bestimmen”. Und trotzdem weiß ich so gut wie jeder andere, dass das eine Lüge ist. Aber auch die Wahrheit.

Allerdings weiß ich auch nicht, wie ernst ich mich selbst nehmen kann, in Anbetracht der Tatsache, dass ich in ein paar Stunden (vielleicht, hoffentlich, vielleicht auch nicht) meine finale Hausarbeit in meinem Krümelmonster-Onesie (Loose-Fit-Jumpsuit) abgeben werde. Doch Krümelmonster und Hausarbeit hin oder her – Ich stehe zu meinen ursprünglichen Mottos: “You are responsible for your own happiness” (Deutsch: “Du bist für Dein eigenes Glück verantwortlich”) und “Sometimes the weirdest and most difficult situations bring you closer to the most amazing people” (Deutsch: Manchmal bringen Dich die seltsamsten und schwierigsten Situationen zu den inspirierendsten Menschen”)

 

 

Genau das wird mich motivieren, jetzt ins Bett zu gehen und die nächsten Wochen nicht nur so gut wie möglich zu überleben, sondern all die Herausforderungen anzunehmen und an ihnen zu wachsen – so wie ich es bisher geschafft habe! Mit ein bisschen Mut, Selbstvertrauen und Liebe klappt das schon. Es warten eine Präsentationsprüfung auf mich, eine Mathe- und Film-Hausarbeit, eine Tanzshow, das Finanzieren einer Friedenskonferenz, eine Kurzfilmproduktion und Konversationen, die hier weiterhin mein Leben und mich selbst prägen werden. Die ersten zwei Wochen des nächsten Semester sind immerhin bereits geschafft.

Es ist kurz nach Mitternacht und da ist glücklicherweise nur noch eine einzige Entscheidung, die ich jetzt treffen muss: Mache ich mir die Mühe mich umzuziehen oder schlafe ich einfach in meinem Krümelmonsterkostüm?

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https://blogs.taz.de/spurensuche/2017/10/30/julia-college-newz-5/

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