Diese ganze 68er-Generation mit der absoluten Veränderung von Werten und Zielen in der Erziehung, die war sowas von anders als meine Elterngeneration, da bin ich schon stolz drauf, ja! (Sarah Kirchknopf)
Die antiautoritäre Erziehung ist schuld! So tönt es bei Erzkonservativen, Betonköpfen und sonstigen Völkischen noch nach 50 Jahren: Zu liberal, kein Halt, keine Grenzen! Die heutigen Kinder? Kleine Tyrannen der zweiten Generation, die ihren Eltern, ErzieherInnen und LehrerInenn auf dem Kopf herumtanzen und schon vor Jahren nichts notwendiger hatten als eine „Nanny“, die sie im TV mit „Super“-Konzepten zur Räson bringt: „Das ist Florian. Florian ist fünf. Seine ungezügelte Aggressivität hält die ganze Familie auf Trab. Mit einem etwa zweiwöchigen Intensivprogramm versuchte bereits die Supernanny den Eltern zu helfen, ihren Sohn in den Griff zu kriegen.“ Schnelle Dressur war gefragt. Bis heute wird immer wieder mal mit Getöse irgendein „Erziehungsnotstand“ proklamiert und nicht wenige identitäre Volksgenossen brauchen ohnehin dringend Schuldige für das angebliche Fehlen von Ordnung und Disziplin in Deutschland: Die 68er eben, die langhaarigen, versifften Rebellen von einst. Also alles auf Anfang. Auf Führung und Patriotismus. In einer Reihe angetreten und endlich mal Stillgestanden!
Wir sind ja noch sehr autoritär erzogen worden, wir sind ja noch mit Prügelstrafe, Peitsche und mit Gehorsam groß geworden und da wollten wir, daß es auf gar keinen Fall mehr so ist und da geht man erstmal ins Gegenteil! These, Antithese, daraus entwickelt sich die Synthese. Das müssen Sie sich vorstellen, wie ich aufgewachsen bin: Als einzige Tochter einer Kriegerwitwe! Mit ganz strengen Regeln. Mit einer unglaublichen Sexualethik. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Die hat mich bis zu meiner Heirat kontrolliert, ob ich noch Jungfrau bin! (Sarah Kirchknopf)
Nachdem die Themen „Kinder“, „Kindheit“ und „Bildung“ lange genug als randständig galten, stimmte man in PISA- und Hartz4-Zeiten gern das Hohelied der „Disziplin“ (Bueb), der „Anpassung“ (von Cube) und des Gehorsams ( „RTL: Teenager außer Rand und Band“) an, bezeichnet den radikalen Aufbruch der Kinderläden in den 60er-Jahren als „systematisches Zerstörungswerk an der Jugend“ oder als komplett „gescheitert“. Manch Kritiker-Sehnsucht verweist heute mental auf die 50er-Jahre, als Mutter samt Schürze lächelnd am Herd stand, Vater samstags mit dem Schwamm den weißwandbereiften Opel liebkoste und die Welt der Erziehung angeblich noch ohne jeden Notstand und in Ordnung war: die Gören wurden zu Hause und in der Schule verprügelt, rigide bestraft und diszpliniert: „Kinder mit nem Willen, kriegen was auf die Brillen!“ . Wer widerspenstig war, wurde aggressiv gezähmt, man zeigte ihm die Instrumente – das waren noch Zeiten, meine Damen und Herren! Nichts als autoritärer, undemokratischer, gewaltätiger, postfaschistischer AfterWar, gegen den frau und mann 1968ff aufstanden. Endlich. Und gut so.
Nicht länger dieses rigide Schema: alle vier Stunden füttern, dass Kinder im Kindergarten angebunden werden und schlafen mussten, all das, was die Lebensfreude von Kindern einschränkt. Es sollte eine andere Erziehung her, weil das, was da war, einfach sehr unbefriedigend war und im Grunde auch gar nicht gebrochen war von den Zeiten der nationalsozialistischen Erziehung. Der Nationalsozialismus war auch nicht viel anders als das, was die sogenannte bürgerliche Erziehung war: Mit Schlägen, Brechung des Willens der Kinder. (Heide Berndt)
„What a drag it is getting old” – eine Plage dieses Altwerden! Schon die Rolling Stones sangen davon, Mitte der 1960er-Jahre, sangen von „Mothers Little Helpers“, jenen Pillen, die all die Hausfrauen, die „Depressive Queens“ der Nachkriegszeit, einwerfen mussten, um das Elend des Alterns, der Langeweile und der Rollenklischees ertragen zu können. Kurz darauf der Aufstand der Jungen, der „street fighting men“, die als 68er gegen den Vietnamkrieg, die Springerpresse, die Restaurationsversuche der Konservativen und damit auch gegen den „Postfaschismus“ rebellierten.
„Zwei junge Mütter sitzen ungerührt zwischen hammerschwingenden Kleinen“, „Kinderkreuzzug in Westberlin!“,...wenn sich die aufgebrachte Presse, allen voran die des Cäsaren, Ende der 60er-Jahre mit den „Zornigen Zwergen“ der neu gegründeten Kinderläden auseinandersetzte, wurde heftig polemisiert: „Mao verdrängt das Rotkäppchen!“ Vom „Mißbrauch“ der Kinder wurde gesprochen, von „Kinderverderbern“, rebellische Frauen und Mütter wurden auf der Straße als „Kommunistensäue“ und „Vietkonghuren“ beschimpft. Doch gab es auch besonnene Stimmen, sympathisierende, unterstützende: „Man geht hier nach dem Muster vor: Die Linken sind es, die Sexualität, Aggression und Schmutz in unsere saubere, friedliche Gesellschaft tragen. Diese Berichte werden der Öffentlichkeit von Bild-Lesern vorgeworfen, man spricht ihre Wut an, hetzt sie auf gegen die, die unsere Gesellschaft verändern wollen.“ (Margarita von Brentano im SFB)
Der Aufstand gegen Staat und Autorität der Nachkriegszeit polarisierte die Öffentlichkeit auf extreme Art und Weise – die innere Haltung der Kriegsgeneration hatte sich seit der NS-Zeit wenig verändert. Es war also ein Schock: In Frankfurt/Main wurde der allererste Kinderladen Ende 1967 von der Tochter Alexander Mitscherlichs, Monika Seifert, gegründet. In Westberlin kam die Initiative Anfang 1968 von engagierten Frauen, die kurz darauf den“ Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ ins Leben riefen. Auch in Stuttgart gründeten im gleichen Jahr PädagogInnen und Eltern (u.a Sarah Kirchknopf) einen „nicht-autoritären“ Kinderladen – Ziel: „Die Überwindung von Isolation und die Bewältigung von Aggression, um solidarisierungsfähig sein zu können“. All das verbunden mit der tatsächlich auch im Radio verbreiteten Hoffnung: „Es wird immer mehr Eltern geben, die nicht zur alten Moral, sondern zur neuen Freiheit erziehen!“ („Für junge Leute“, SWF 1967)
Mitte Januar 68 – sozusagen einen ganzen Monat vor dem Vietnamkongress – hat der Aktionsrat zur Befreiung der Frauen auf einen Schlag in Berlin fünf Kinderläden aus der Taufe gehoben. Helke Sander, Marianne Herzog und Dorothea Ridder haben zuvor einen Flachmann geleert und dann dazu aufgerufen, das Problem „Kinder und Emanzipation“ so zu lösen, dass Frauen sich melden, die im gleichen Bezirk wohnen – sie haben damals schon ein gemeindebezogenes Konzept gehabt. (Heide Berndt)
Es war ein wilder Aufbruch, ein provozierender, ungestümer, einer, der mit biographisch motivierter Wut, gehörigem Omnipotenzwahn, fatalem männlichen Ideologiegesülze (Helke Sander: „Genossen, Eure Veranstaltungen sind unerträglich!“), auch mit „traumatisierenden Folgen“ (Horst Petri) gegen die rigiden Ordnungssysteme der Festung „Erziehung“ anstürmte. Letztendlich erfolgreich. Selbst im Ostberlin der beginnenden 80er-Jahre ließen sich Mütter wie Ulrike Poppe inspirieren und gründeten am Kollwitzplatz einen Kinderladen,…der nach drei Jahren auf Weisung von oben zugemauert wurde.
So widersprüchlich, krachledern, fröhlich-anarchisch und mitunter wüst ideologisch die soziale Bewegung der Kinderläden in ihren Anfängen auch war, die kritischen PädagogInnen und die Kinderladeneltern der 60er und 70er-Jahre bilden im Rückblick die Avantgarde für jene moderne Erziehung, die heute mit „situativem Ansatz“ und „Gewaltfreiheit“ ganz selbstverständlich Grundlage für den Bildungsauftrag von Krippen und Kindertagesstätten ist resp. sein sollte. Und markiert gleichzeitig den Beginn einer neuen Frauenbewegung.
Kurzum: Das umstrittene Modell „Kinderladen“ bereitete ab 1968 durch Experiment und Provokation das Klima für dringend notwendige Reformen in Pädagogik und Erziehung: „Wir haben Teamarbeit, Kooperation und Kritikfähigkeit erst möglich gemacht. – Verhaltensweisen, die das Wirtschafssystem dringend brauchte und die heute selbstverständlich sind!“ (Monika Seifert im HR) – Reformen indes, die später nicht offensiv weiterentwickelt wurden und die heute von den grauen Herren längst wieder in Frage gestellt werden. Lebendige Antworten haben sie nicht.
Ihr lieben 68er
Ihr lieben 68er
Danke für alles
Ihr dürft jetzt gehen…
(Peter Licht)
Dank an’s „APO-Archiv“ des Universitätsarchivs der Freien Universität Berlin für die großzügige Unterstützung. Und meine tief empfundene Begeisterung für Gerhard Seyfried, der eigens in seine digitalen Archive hinab stieg, um Illustrationen für das Kleine Rebellarium upzuloaden.
Die wilden 68 er haben die saubere Gesellschaft verdorben und aus Kindern kleine Tyrannen gemacht. Was für ein Unsinn. Noch heute erzählt meine Mutter von der Brutalität und Verlogenheit der Nachkriegszeit in Westdeutschland.