Lieber Detlef,
du weißt, ich bin in Graz ins Gymnasium gegangen, in den 1970er Jahren. Graz war damals eine Stadt der puren Dialektik: Mit dem avantgardistischen, widerständigen Kunstfestival „Steierischer Herbst“ auf der einen und Deutschnationalen an den wichtigen politischen Schalthebeln auf der anderen Seite. Mein Physiklehrer in der Unterstufe war ein sogenannter Afrikakämpfer, entsprechend realitätsnah war sein Unterricht. Von ihm habe ich erfahren, dass man mitten in der Wüste auf dem Stahl von Kettenfahrzeugen Spiegeleier braten kann. Ich weiß seitdem, warum Panzerkreuzer und Kanonenboote schwimmen und trotz ihrer Tonnage nicht untergehen. Und ich habe gelernt, die Flugparabeln von Artilleriegeschossen zu berechnen.
Lang ist’s her? Alles längst Vergangenheit? Oh, nein! Nicht im Österreich des Jahres 2018 mit seiner neo-nationalistischen Regierung. Da gibt es zum Beispiel den freiheitlichen Wehrsprecher Reinhard Eugen Bösch aus Vorarlberg. Herr Bösch war nicht mit Erwin Rommel vor Tobruk, weil damals noch nicht geboren. Er mag das bedauern, der Herr Bösch. Keine Heldenabenteuer im libyschen Sand, keine Spiegeleier auf Panzerarmierungen. Herrn Bösch fehlt ein konkreter Einsatz. Also hat Herr Bösch nachgedacht: Libyen ist aktuell kein stabiles Land, es gibt keine funktionierende Armee, die das gesamte Staatsgebiet kontrolliert. Oha, da könnte man doch einmarschieren, ein bisserl Wüstenfuchs spielen und Lager für Flüchtlinge errichten. O-Ton Bösch: „Praktisch natürlich mit militärischen Kräften einen Raum in Besitz nehmen, ihn sichern, dort Versorgungseinrichtungen für diese Menschen bereitstellen und sie dann in ihre Heimatländer zurückbringen.“
Noch einmal, damit keine Missverständnisse aufkommen: Reinhard Bösch ist kein verwirrter Kriegsveteran. Er ist Wehrsprecher jener österreichischen Regierungspartei (FPÖ), der das Verteidigungsressort untersteht. Und das neutrale Österreich hat aktuell den EU-Ratsvorsitz inne.
Manchmal bin ich recht froh, dass Österreich ein kleines Land mit überschaubarer wirtschaftlicher und militärischer Potenz ist. Erst neulich sind zwei junge Frauen fast ertrunken, die an einem „Girls Camp“ teilgenommen haben, einem Schnupperwochenende des österreichischen Bundesheeres. Das Boot, auf dem sie ein Unteroffzier mit anderen Teilnehmerinnen über die Donau fahren sollte, war in den Donauwellen gekentert. Gerettet und wiederbelebt wurden die beiden Frauen von der lokalen Feuerwehr.
Auf bald
M